Maßregelvollzug unter Druck: Plätze und Personal fehlen
Der niedersächsische Maßregelvollzug stößt an seine Grenzen - räumlich und personell. Jeder neue Patient stellt die Beschäftigten vor Herausforderungen. Das Land prüft Möglichkeiten der Entlastung.
Zehn Einrichtungen des Maßregelvollzugs gibt es in Niedersachsen. Dort werden jene Straftäter untergebracht, die nicht verurteilt werden können, zum Beispiel aufgrund einer psychischen Erkrankung. Ziel des Maßregelvollzugs ist es, sie zu resozialisieren. Insgesamt gibt es dafür landesweit 1.271 verfügbare Planbetten. Zu wenige: Laut Sozialministerium fehlen aktuell 221 Plätze. Das größte Maßregelvollzugszentrum des Landes befindet sich in Moringen (Landkreis Northeim).
Wohin mit neuen Patienten im Maßregelvollzug?
Auch hier ist der Aufnahmedruck täglich spürbar: "Wir bekommen einen Anruf 'Nehmt auf' und dann verdrehen wir die Augen und fragen uns: Wohin eigentlich?", sagt Dirk Hesse, ärztlicher Direktor, über die angespannte Situation. "Man muss Patienten hin- und herschieben, was mitunter schwierig ist, weil Patienten eben keine Pakete sind, sondern Menschen." Im Maßregelvollzug gibt es auch sogenannte Isolierräume für aggressive Patienten. Diese sind vergittert und besonders gesichert. Aus Platzmangel wurden in Moringen aber auch zeitweise nicht-aggressive Patienten untergebracht, bis ein reguläres Zimmer frei wurde.
Weitere Plätze für Straftäter geplant - und dringend nötig
"In dem Fall war es dann so, dass eben die Türen offengelassen wurden und die Patienten sich frei bewegen konnten", sagt Hesse. Über Tage, manchmal über Wochen, fehlt dann aber ein Isolierraum, wenn Situationen eskalieren. Laut Gerrit Holzapfel, Referatsleiter für den Maßregelvollzug im niedersächsischen Sozialministerium, sollen noch bis Ende März 50 weitere Plätze geschaffen werden. Diese sind dringend nötig, denn aktuell warten allein 119 suchtkranke Straftäter auf einen Platz im Maßregelvollzug.
Sozialministerium will zusätzlich entlasten
Darüber hinaus will das Sozialministerium noch einen weiteren Lösungsansatz prüfen: "Wir sind überzeugt, dass es auch Fälle gibt, bei denen eine halbstationäre oder eine tagesklinische Versorgung ausreicht", sagt Holzapfel. Damit würden man die Belegungssituation zusätzlich entlasten. Aber was ausreicht, entscheiden Gerichte und nicht die Politik.
Ausgang ist Teil der Therapie im Maßregelvollzug
Zur Therapie im Maßregelvollzug gehören nicht nur ein geregelter Tagesablauf oder der Kontakt zu anderen Patienten und Beschäftigten. Auch Ausgänge sind ein wichtiger Teil. "Dafür müssen die Patienten im Vorfeld bereits auf vielen Ebenen gezeigt haben, dass sie sich an Regeln halten können", erklärt Dirk Hesse. Patienten erhalten regelmäßig individuelle Gutachten, in denen auch festgelegt wird, ob sie durch eine Fachkraft begleitet werden oder allein unterwegs sein dürfen.
Ausbrüche sind möglich, aber selten
Solche Ausgänge führen nur selten zu Ausbrüchen. Das zeigen Zahlen aus dem Sozialministerium. Zwischen August 2013 und Juli 2023 wurden landesweit nur insgesamt 41 Ausbrüche, sogenannte aktive Entweichungen, verzeichnet. Dirk Hesse zeigt sich damit zufrieden, denn allein in Moringen gebe es pro Jahr rund 20.000 begleitete Ausgänge. Um diese möglich zu machen, benötigt der Maßregelvollzug ausreichend Personal. Und davon gebe es aktuell bei Weitem nicht genug, sagt der Personalratsvorsitzende, Jens Schnepel.
Personaldecke im Maßregelvollzug ist knapp
Schnepel spricht von einer absoluten Minimal-Besetzung. Knapp 400 Pflegende arbeiten in Moringen, "allein für den Nachtdienst braucht es rund 200 Beschäftigte", sagt er und kritisiert einen veralteten Personalschlüssel. Das Sozialministerium will nun prüfen, ob Quereinsteiger hier noch mehr Abhilfe schaffen könnten: "Das stößt irgendwann an Grenzen, aber nicht jede Aufgabe im Maßregelvollzug muss von einer examinierten Pflegefachkraft wahrgenommen werden", sagt Gerrit Holzapfel. Aber: Nicht nur in der Pflege sei die Situation angespannt, sagt der Personalratsvorsitzende. Auch könnten offene Stellen in den Bereichen Handwerk, Ergotherapie oder Sozialdienst kaum neu besetzt werden, so Schnepel.
Übergriffe auf Beschäftigte
Die Personalvertretung in Moringen bekommt laut Jens Schnepel fast täglich Unfallmeldungen von Übergriffen. Darunter "geringere Sachen, wo man mal beschimpft oder angespuckt wird. Aber es gibt auch andere Übergriffe, die mit schwersten Verletzungen oder teilweise auch traumatisierten Ereignissen zu tun haben", sagt Schnepel. Er fordert mehr Weiterbildungsmöglichkeiten, um Mitarbeitende adäquat auf solche Situationen vorzubereiten. Noch wichtiger sei allerdings, dass zeitnah mehr Personal zur Verfügung stehe - und zwar landesweit.