KZ Ellrich-Juliushütte: Vom Ort des Grauens zum Gedenkort
Etwa 4.000 der insgesamt rund 12.000 Häftlinge im ehemaligen KZ Ellrich-Juliushütte wurden getötet. Bis heute fehlen Gedenkgräber für die Opfer.
Jean-Claude Gourdin ist der Reiseleiter der 37-köpfigen Besuchergruppe aus Frankreich, die am Samstag die ehemaligen Konzentrationslager Mittelbau-Dora und Ellrich-Juliushütte besucht und dort Kränze und Rosen niedergelegt hat. Gourdins Vater Georges, ein Widerstandskämpfer, starb mit nur 29 Jahren in dem für seine grausamen Bedingungen berüchtigten Außenlager Ellrich-Juliushütte. In dem Konzentrationslager, das in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt ist, starben mindestens 4.000 Häftlinge, darunter viele Franzosen und Belgier.
"Da überkommt mich die Traurigkeit"
"Zu wissen, dass mein Vater hier an diesem Ort verendet ist und mir vor allem das Leid vorzustellen, das er ertragen musste, da überkommt mich die Traurigkeit. Es gibt Momente, da kann ich mit dieser Traurigkeit nicht gut umgehen - trotz aller Anstrengungen. Es ist immer schwierig", sagt der 82-jährige Franzose bei seinem Besuch im Südharz in der Nähe von Walkenried.
Katastrophale Zustände im Lager
Die Häftlinge in Ellrich-Juliushütte stammten aus fast allen europäischen Ländern, mehrheitlich aus der ehemaligen Sowjetunion, Polen und Frankreich. Unter ihnen waren viele politische Häftlinge wie der französische Widerstandskämpfer Georges Gourdin, aber auch Juden, Sinti und Roma. Das Lager wurde im Frühjahr 1944 von der SS auf dem Gelände und teilweise in den Gebäuden einer ehemaligen Gipsfabrik errichtet. Die Gebäude waren völlig überfüllt, Toiletten und Waschmöglichkeiten fehlten zu Beginn gänzlich. Auch Betten und Kleidung waren Mangelware.
Schreckensherrschaft der SS
"Die Häftlinge wurden zu schwerster körperlicher Arbeit in der Region eingesetzt", erklärt Anett Dremel, die stellvertretende Leiterin der KZ Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Einige mussten Zwangsarbeit beim Bahnausbau und in örtlichen Handwerksbetrieben verrichten. Vor allem mussten die Inhaftieren Stollen im Kohnstein und im Himmelsberg ausbauen. Die Bedingungen seien katastrophal gewesen, sagt Dremel. "Es gab zum Beispiel keine Schutzkleidung und nur sehr wenig Nahrung. Das führte dazu, dass die Todeszahlen in Ellrich-Juliushütte extrem hoch waren." Viele Häftlinge starben an Unterernährung und Krankheiten, aber die SS folterte auch oder erhängte Inhaftierte öffentlich.
In Deutschland lange fast vergessen
In Deutschland ist das Lager weitgehend unbekannt. Es liegt am Rand des Südharzes in der Nähe der beiden Orten Walkenried und Ellrich - genau auf der Landesgrenze zwischen Niedersachsen und Thüringen und damit auf der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Ein Gedenkort mitten im Grenzgebiet war nicht vorgesehen. Stattdessen wurden viele Reste des ehemaligen Lagers auf beiden Seiten entfernt. "Juliushütte existiert nicht mehr", titelte die Lokalzeitung 1964. Damals sprengte der Bundesgrenzschutz auch das ehemalige Lager-Krematorium.
Massengräber zufällig entdeckt
Das Krematorium und einen Scheiterhaufen hatte die SS etwa einen Monat vor der Befreiung des Lagers im April 1945 gebaut. Alleine in diesen vier Wochen starben etwa 1.000 Menschen in dem KZ. Ihre sterblichen Überreste liegen bis heute in zwei Massengräbern. Entdeckt wurden die Gräber erst Ende 2018 durch Zufall bei einer Überprüfung des Geländes. "Wenn man an diesen Orten steht und die Überreste der Menschen dort sieht, dann prägt sich das ein. Das war damals an Grausamkeit kaum zu überbieten, was in diesem Lager geschehen ist", sagt Archäologe Stefan Flindt vom Landkreis Göttingen. Die Ausgrabungen auf der niedersächsischen Seite sind inzwischen abgeschlossen. In Zukunft sollen auch in Thüringen Vermessungsarbeiten stattfinden, um erstmals eine maßstabsgetreue Karte des kompletten Lagers zu erhalten.
"Meine Mission als Sohn"
Wachgehalten wurde das Gedenken an die Opfer in Frankreich von Angehörigen-Verbänden wie dem von Jean-Claude Gourdin. Sie reisen regelmäßig zu den Konzentrationslagern. "Meine Mission als Sohn ist es, eine würdevolle Erinnerung an meinen Vater aufrechtzuerhalten und hierherzukommen, solange ich kann. Das verlangt mir nicht annähernd so viel ab, wie es meinem Vater abverlangt hat, hier dem Tod gegenüberzustehen", sagt Gourdin.
Angehörige fordern Ort des Erinnerns
Er steht mit der Gruppe Angehöriger vor den grün bemoosten Fundamenten des ehemaligen Krankenreviers. An dieser Stelle sei sein Vater gestorben, berichtet Gourdin. "Es ist ein Ort, der im Namen der Tausenden von Menschen bewahrt werden muss - den wir nicht noch einmal vernachlässigen dürfen. Diese Menschen haben ihr Leben gegeben. Sie haben gekämpft für Demokratie, soziale Gerechtigkeit, bessere Lebensbedingungen und damit müssen wir respektvoll umgehen und, wenn möglich, die Gedenkstätte aufrechterhalten." Unterstützung für sein Vorhaben erhält Gourdin von den Bürgermeistern der Gemeinden Walkenried und Ellrich.
Massengräber sollen zu Kriegsgräbern werden
Jean-Claude Gourdin hat einen Ort zum Gedenken: Die sterblichen Überreste seines Vaters wurden im Krematorium im ehemaligen KZ Mittelbau-Dora eingeäschert. Dort gibt es einen großen gestalteten Platz mit einem Mahnmal, an dem auch Gourdin einen Kranz niedergelegt hat. Aber die Angehörigen der etwa 1.000 Häftlinge, deren Leichen in Ellrich-Juliushütte verbrannt wurden, können bis heute nur den einen kleinen Gedenkstein aufsuchen. Deswegen sollen die Massengräber künftig als Kriegsgräber gestaltet werden, sagt Historikern Anett Dremel. "Das hat Priorität, um dort einen würdigen Gedenkort zu haben - also nicht nur die Fundamentreste, die man sehen kann, sondern auch einen Ort zum Nachdenken und zum Trauern."