Stand: 08.07.2019 10:25 Uhr

Hitzacker: Ein neues Dorf für die Stadt

In einer Sommerserie auf NDR Info geht es um Gegenden, wo der Bus nur ein oder zwei Mal am Tag fährt, wo der letzte Laden schon lange zugemacht hat und wo Menschen ihre Sachen packen und wegziehen. Es geht um Dörfer und kleine Städte, die oft mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben - und darum, mit welchen Ideen die Menschen vor Ort damit umgehen. Hitzacker im Wendland ist so ein Beispiel. Während vergleichbare Kleinstädte schrumpfen, bekommt Hitzacker einen neuen Stadtteil.

Blick auf die ersten Gebäude im Neubaugebiet "Hitzacker / Dorf"  Foto: Michael Latz
Die ersten Gebäude im Neubaugebiet "Hitzacker / Dorf" stehen inzwischen.

Noch führt der Weg nur über Sand und ein paar Grasbüschel. Die Baustraße am Stadtrand Hitzackers wird später einmal die Dorfstraße sein. Sechs Häuser stehen schon auf dem Gelände, wo vor zwei Jahren nur ein Acker war. Manche Gebäude sind erst ein Gerippe aus Holzbalken, andere haben schon Fenster und Türen.

Fliesen verlegen statt Computer-Arbeit

Wenn die Dorfstraße in etwa zwei Jahren fertig sein wird, werden hier auf dem Neubaugebiet mit dem Namen "Hitzacker / Dorf" zwölf Mehrfamilien-Häuser stehen - teils mit Geschäften und Läden. Das Dorf ist eine Genossenschaft: Wer Mitglied wird, muss nicht nur einen Anteil kaufen, sondern auch mit anpacken. "Je mehr ich gemacht habe, je mehr ich gelernt habe, umso mehr zieht es mich auch hierher", erzählt Genossenschafterin Nina Leo. Sie arbeitet eigentlich tagtäglich am Computer, im Dorf verlegt sie nun aber Fliesen oder mauert. "Es macht unglaublich Spaß. Das Handwerkliche einerseits, aber auch das, was an Gemeinschaft so ganz nebenbei entsteht."

"Wir leben von der Zukunft her"

Drei Frauen und ein Kind stehen vor einem Neubau im "Hitzacker / Dorf" und schauen in die Kamera.  Foto: Michael Latz
Sie freuen sich auf das Zusammenleben im Neubaugebiet: Rita Lassen, Käthe Stecker und Sabrina Scheffold mit Tochter Luna (v. l. n. r.).

Auch Käthe Stecker ist überzeugt von dem Projekt. Sie kommt aus Hamburg und gehört zu den Älteren in der Genossenschaft. Für sie ist das Dorf auch ein soziales Experiment: "Viele Dörfer leben ja sehr stark von der Tradition her. Von dem, was immer gültig war, was immer richtig war, was gegolten hat. Und wir leben von der Zukunft her."

Alle helfen sich einander

Die Zukunft, das soll für die Dorfgemeinschaft eine "solidarische Nachbarschaft" sein - je zu einem Drittel aus jungen Familien, Senioren und Geflüchteten. Eine Gemeinschaft, in der alle einander helfen und voneinander lernen. Sabrina Scheffold und ihre drei Kinder sind die Ersten, die in diesen Tagen einziehen. "Ich finde die Energie hier auf dem Grundstück toll. Meine Kinder können einfach zu Hause sein, während ich hier tätig bin. Das ginge anderswo gar nicht."

Platz für 300 Menschen

Wenn das Dorf fertig ist, sollen 300 Menschen dort leben. Für eine Kleinstadt wie Hitzacker mit knapp unter 5.000 Einwohnern ist das Projekt eine Chance, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Juli Wiehler. "Viele Kommunen müssen sich jetzt schon die Frage stellen, ob sie den sozialen Wohnungsbau vernachlässigt haben. Und wir bekommen ihn frei Haus geliefert. Das sehen wir als Chance."

Konflikte um das Gewerbegebiet nebenan

Bei aller Euphorie, ganz reibungslos verlief die Ansiedlung der Dorfgemeinschaft nicht. Erst gab es Probleme mit dem Bebauungsplan, dann mit dem Lärm des angrenzenden Gewerbegebiets, das lauter war als erlaubt. Inzwischen ist der Konflikt weitgehend beigelegt. Hitzackers Einwohner sind geteilter Meinung über das Projekt. Einige meinen, es sei sinnvoller, den bestehenden Leerstand in der Stadt zu beseitigen, als auf dem Acker ganz neu zu bauen. Andere sprechen von einer Bereicherung für Hitzacker.

Mehr Ältere als Jüngere

Die Genossenschaft hat manche Ideen und Wünsche inzwischen anpassen müssen. Zum Beispiel beteiligen sich bis jetzt deutlich weniger Geflüchtete als erhofft am Projekt. Und es gibt mehr Ältere in der Genossenschaft als Jüngere. "Wir haben eine Warteliste für die Älteren", sagt Rita Lassen. "Wenn ein junges Paar gekommen ist, haben sie den Vorrang bekommen. Und das wird auch im Südhang so sein. Es können gerne viele ältere Leute Genossen werden, das heißt aber nicht, dass sie Anspruch auf eine Wohnung haben."

Noch wachsen Kartoffeln auf dem Südhang nebenan, dem zweiten Bauabschnitt. Wie lange es noch dauert, bis dort weitere 25 Häuser stehen werden, kann niemand so genau sagen. Schlimm sei das aber nicht, findet Käthe Stecker. "Viele fragen mich, wann ziehst du denn da ein?"sagt Stecker. "Wir ziehen da irgendwann mal ein, aber im Dorf bin ich jetzt schon."

 

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NDR Info | 08.07.2019 | 10:20 Uhr

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