Stand: 04.07.2018 17:05 Uhr

Gewässerschutz - Groß denken am kleinen Bach

von Lea Katharina Busch, Lina Beling und Claudia Plaß

Zu viel Dünger und Pestizide aus der Landwirtschaft, Schadstoffe aus der Industrie, begradigte Flüsse - viele Gewässer in Deutschland sind in einem ökologisch schlechten Zustand. Im europäischen Vergleich gehören unsere Flüsse und Seen zu den Schlusslichtern. Umweltschützer bemängeln: Es fehle der politische Wille gegenzusteuern. Wie im Kleinen trotzdem dafür gesorgt werden kann, dass es Gewässern wieder besser geht, zeigt ein Projekt aus dem niedersächsischen Oldenburg.

Schüler arbeiten an der Renaturierung eines Baches in Oldenburg. © NDR
Dustin und Vadis schätzen an der Schul-AG, dass sie mit anpacken können und ihr Wissen über Biologie praktisch anwenden können.

Nur etwa acht Prozent der deutschen Oberflächengewässer sind in einem guten oder sehr guten Zustand. Die meisten Flüsse oder Seen verfehlen nach Angaben der Europäischen Umweltagentur die ökologischen Mindestanforderungen. Bei der ökologischen Bewertung geht es beispielsweise um den Bestand von Algen und kleinen Tieren. Die Europäische Umweltagentur bestätigt in ihrem jüngsten Bericht weitgehend Zahlen der Bundesregierung - demnach sind sogar weniger als sieben Prozent der Flüsse in einem guten  Zustand.

Gute Badequalität aber schlechter Zustand

In 93 Prozent der Flüsse sind keine typischen Lebensgemeinschaften mehr zu finden, also keine entsprechenden Fische oder Wasserpflanzen. Der Umweltverband BUND kritisiert in seinem jüngsten Gewässerreport, die Qualität der deutschen Gewässer sei beängstigend. Unsichtbare Belastungen wie Nitrate und Pestizide aus der Landwirtschaft, aber auch Mikroplastik beeinträchtigten die Wasserqualität. Zudem bieten begradigte Gewässer kaum Lebensraum für Lachse, Aale und Forellen. Nicht nur Flüsse, auch Seen sind in keinem guten ökologischen Zustand. Ein zu hoher Nährstoffgehalt lässt etwa Algen übermäßig wachsen. Die Zahlen sagen aber nichts über die Badequalität aus - die war zuletzt laut Umweltbundesamt sehr gut. Umweltschützer bemängeln den schlechten ökologischen Zustand und weisen darauf hin, dass alle EU-Mitgliedstaaten sich bereits im Jahr 2000 darauf geeinigt hätten, für sämtliche Gewässer einen guten Zustand zu erreichen. Das soll bis 2027 geschehen. Die rechtlichen Vorgaben dazu liefert die EU-Wasserrahmenrichtlinie. Passiert sei allerdings kaum etwas, so die Kritik.

Renaturierung und Gewässerkoordinatoren helfen

Doch es gibt auch ein paar Gewässer, da tut sich was. Wasserverbände, Umweltschützer, Fischer und Landwirte arbeiten schon seit Jahren gemeinsam daran,  den naturnahen Zustand von Gewässern wieder herzustellen. Zum Beispiel, indem sie Kiesbänke anlegen und dafür sorgen, dass kleinere Flüsse und Bäche wieder langsamer fließen. Das Blaue Band, der WWF und der BUND haben jeweils eigene Projekte zur Renaturierung und teilweise werden dafür sogenannte Gewässerkoordinatoren eingesetzt. Auch der elf Kilometer lange Altonaer Mühlbach südöstlich von Oldenburg in Niedersachsen wird derzeit renaturiert - auch mit der Hilfe von Schülern. Dort arbeiten die Gewässerkoordinatorin Ira Zylka zusammen mit dem Fischereiverein Wildeshausen, Landwirten und einer Schul-AG direkt am Bach.

Schüler arbeiten an der Renaturierung eines Baches in Oldenburg. © NDR
Die Tiere, die die Schüler mit dem Kescher im Wasser finden, sind der Erfolg ihrer Arbeit.

Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der niedersächsischen Umweltbehörde und den lokalen Wasserverbänden mit dem Ziel, die Wasserrahmenrichtlinie der EU umzusetzen. Der Altonaer Mühlbach schlängelt sich durch grüne Uferwiesen. Die Schüler Dustin und Vadis stehen mit Gummistiefeln bis zu den Oberschenkeln im Wasser. "Beim Kies ist es so, dass die Fische in der ruhigeren Zone ihre Eier ablegen und vergraben", erklärt Dustin. Die beiden 11- und 12-Jährigen haben eimerweise Kies aufgeschüttet. Jetzt bauen sie einen Strömungslenker aus Holz. Der leitet das Wasser.

Tiere und Pflanzen kommen zurück

Etwa 40 Schüler der umliegenden Schulen kommen seit Monaten einmal in der Woche an den Bach, um ihn zu renaturieren. Eineinhalb Kilometer haben sie schon geschafft. Ira Zylka ist Gewässerkoordinatorin in Niedersachsen und betreut die AG. Als sie vor drei Jahren mit dem Job anfing, sei der Bach in einem trostlosen Zustand gewesen. "Es war eine gerade Fließstrecke, die sehr monoton ausgestaltet war, wir hatten überall gleiche Tiefen, das Wasser floss im Schnitt überall gleich, die Pflanzenbestände, die wir jetzt im Ufersaum sehen, waren nicht vorhanden", so Zylka.

Der renaturierte Teil eines Baches in Oldenburg. © NDR
Der Altonaer Mühlbach fließt durch zwei Ackerflächen von einer Landwirtin. Für sie ist das kein Problem.

Doch dank Kiesbetten und Strömungslenkern bekommt der Bach nach und nach seine natürliche Form zurück. Insekten und zahlreiche Krabbeltiere siedeln sich wieder am Ufer an. Es seien zwar nur ein paar Kilometer an einem kleinen Bach, sagt Zylka. Die Weser, die von einem guten ökologischen Zustand noch weit entfernt ist, und in die der Mühlbach am Ende fließt, können sie hier nicht retten. Aber das System müsse von unten aufgewertet werden. "Die kleinen Gewässer sind Teile der großen Gewässer und der Bach wird gerade für wandernde Fischarten zum Beispiel als Laichhabitat genutzt, das heißt ohne hier die Laichhabitate zu haben funktioniert das Ökosystem unten im größeren Fluss auch schon nicht mehr", betont die Gewässerkoordinatorin.

Kleine Maßnahmen schaffen einen großen Lebensraum

Damit das Ökosystem im kleinen Mühlbach wieder funktioniert, hat Ira Zylka Schüler, Ehrenamtler und die lokalen Wasserverbände zusammengebracht. Der Landkreis Oldenburg hat knapp 30.000 Euro in das Projekt investiert. Das sei "sinnvoll angelegtes Geld" findet Gerrit Finke vom Landkreis. "Mit kleinen Maßnahmen wurde hier große Wirkung erzeugt. Es ist nicht der große Bagger gefahren, sondern mit kleinen Maßnahmen ist ein großer Lebensraum entstanden", sagt Finke.

Es hilft, wenn alle miteinander reden

Franz-Josef Dasenbrock ist der Vorsitzende des Bauernverbandes in Oldenburg. © NDR
Den Familienbetrieb von Franz-Josef Dasenbrock gibt es schon seit dem 18. Jahrhundert.

Nicht  immer sind solche Projekte leicht zu realisieren, denn häufig kollidieren Interessen. Auch der Altonaer Mühlbach fließt durch Felder und Äcker von verschiedenen Landwirten. "Das Problem ist, Fläche ist knapp" , sagt Franz-Josef Dasenbrock. Er ist Vorsitzender des Bauernverbandes in Oldenburg. Der Landwirt betreibt selbst eine Schweinemast und kennt seine Kollegen am Mühlbach. "Wenn wir Fläche verlieren, müssen wir irgendwo anders noch extensiver wirtschaften, um das wieder auszugleichen", erklärt er die Haltung vieler Landwirte. Vor allem sie werden für verunreinigte Gewässer verantwortlich gemacht, etwa weil sie zu viel düngen. Konflikte zwischen Landwirtschaft und Umweltverbänden hat es am Mühlbach aber nicht gegeben. Denn alle wurden frühzeitig in die Renaturierung einbezogen. Zwar haben die Landwirte nun etwas weniger Fläche. Aber, so Dasenbrock: "Solche Maßnahmen sind einfach ideal, wo mit allen gesprochen wird. Das ist die Zukunft, wie wir Naturschutz betreiben müssen: alle miteinander reden."

Napfschnecken und Flohkrebse sind wieder da

Gerrit Finke vom Landkreis Oldenburg während einer Renaturierungs-Maßnahme. © NDR
Gerrit Finke vom Landkreis Oldenburg versucht, die Maßnahmen möglichst schnell und ohne Bürokratie zu genehmigen.

Auch der örtliche Naturschutzbund Nabu unterstützt das Projekt am Mühlbach, ebenso der Fischereiverein Wildeshausen. Ralf Siemer vom Fischereiverein hat die Renaturierung von Anfang an vorangetrieben, er leitet mit Ira Zylka die Schul-AG. "Gerade als Angler ist man Naturschützer, man nutzt die Natur auch, indem man Fische fängt. Aber ohne gesunde Gewässer kann ich keine Fische fangen. Wenn man was tun kann für die Natur und dann noch mit Kindern, das ist eine super Geschichte", sagt Siemer. In der Zwischenzeit haben die Schüler Dustin und Vadis das Kiesbett und den Strömungslenker fertig gebaut und holen mit einem Kescher Tiere aus dem Bach. Die beiden Sechstklässler sind begeistert. "Wir haben eine Napfschnecke gefunden" und "Cool, eine Köcherfliegenlarven und  Flohkrebse!", rufen die beiden, während sie die Tiere in ihrem Kescher mithilfe eines Buches bestimmen. Bachflohkrebse leben vor allem in Gewässern mit guter Qualität der Stufe zwei. Das ist der Zielwert, den die EU vorgibt. Vor drei Jahren erreichte der Mühlbach noch die Stufe drei, das ist nur mäßig. 2021 steht die nächste Messung an. Ira Zylka, die Schüler und der Fischereiverein strengen sich an, dass es dem Bach dann noch besser geht. Und sie hoffen, dass hier sogar wieder Lachse laichen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 05.07.2018 | 08:08 Uhr

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Umweltpolitik

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