Erdgasspeicher: Darum wird der Winter wohl relativ entspannt
Die Temperaturen sinken und die Heizperiode hat begonnen. Die gute Nachricht: Die deutschen Gasspeicher sind zeitweilig sogar zu mehr als 100 Prozent gefüllt. Dennoch mahnt die Bundesnetzagentur, beim Sparen von Gas nicht nachzulassen.
Entspannt in den Winter? Können die Menschen in Norddeutschland jetzt wieder nach Belieben die Heizung aufdrehen? Kann die Industrie wieder voll auf den Energieträger Gas setzen? Leider ist es nicht so einfach. Folgende Faktoren spielen eine Rolle.
Gas-Importe und Gasspeicher
Erster Faktor: die Gasspeicher. Viele von ihnen stehen in Norddeutschland. Der größte im niedersächsischen Rehden. Die Bundesregierung schätzt, dass die Reserven für bis zu drei Monate ausreichen könnten. Der Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) geht in einer seiner Modell-Rechnungen davon aus, dass das Gas bei einem durchschnittlichen Winter bis April reichen könnte. Dafür muss der Winter aber eher mild ausfallen. (Sie könnenhier selbst Szenarien durchspielen.)
Blickt man ausschließlich auf den Füllstand der Gasspeicher, könnte man sagen: So gut war Deutschland noch nie auf einen Winter vorbereitet.
Faktor zwei: die Importe. Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur betont im NDR Interview, dass durch die Maßnahmen der Bundesregierung zur Diversifizierung der Gasimporte und dem Aufbau von Flüssiggas-Terminals die Versorgungslage stabil sei. "Wir bekommen aus verschiedenen Quellen verlässlich Gas geliefert. Wir haben jetzt schon drei Flüssiggas-Terminals an Nord- und Ostsee. Bis zum Ende des nächsten Winters könnten es, wenn man optimistisch ist, sogar sechs werden."
Die NDR Daten zeigen, dass durch LNG-Importe zumindest ein kleiner Teil des russischen Erdgases ersetzt werden konnte. Allerdings kommt das meiste Gas aus anderen europäischen Ländern. Insgesamt fließt weniger Erdgas nach Deutschland als vor dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022.
Verbrauch: Bundesnetzagentur zufrieden
Faktor drei: der Verbrauch. Die Deutschen sind zu Gassparern geworden. In fast allen Wochen lag der Verbrauch in diesem Jahr unter dem Durchschnittsverbrauch von vor dem Krieg.
Bundesnetzagentur-Chef Müller lobt die Sparanstrengungen. Allerdings sei da noch mehr drin: "Neben dem reinen Sparen kann man vom Handwerker einen sogenannten hydraulischen Abgleich vornehmen lassen, also prüfen lassen, ob die Einstellung von Heizkörper zu Heiztherme optimal ist", empfiehlt er. Außerdem könne jeder überprüfen, welche Räume im Haus wirklich beheizt werden müssten.
Auch die Industrie hat Gas eingespart, teilweise durch den Umstieg auf andere Energieformen wie Kohle und Öl. "In vielen Fällen haben sich Unternehmen ihre Prozesse auch erstmals angeschaut und überlegt, wo sie Abläufe verbessern können, um Gas einzusparen", so Müller.
Hoher Gaspreis führt zu Problemen bei der Industrie
Es gibt aber auch eine Schattenseite: Die Industrie hatte sich über Jahrzehnte abhängig von billigem Erdgas abhängig gemacht - vor allem aus Russland. Gerade bei den Grundstoffen, also bei der Erzeugung von Stahl, Kupfer und Aluminium, bei der Herstellung von Zement oder Düngemitteln und bei der Chemieindustrie werden für viele Prozesse riesige Mengen an Energie gebraucht. 2021 entfielen laut dem Verband der Chemischen Industrie rund 14 Prozent des verbrauchten Erdgases auf die Chemie- und Pharmaindustrie.
Der Verband schätzt, dass sich die Gaskosten bei den Betrieben von 2020 auf 2022 vervierfacht hatten. Viele Firmen mussten aufgrund des hohen Gaspreises die Produktion drosseln oder ganz einstellen. Der Produktionsindex der chemischen Industrie liegt laut statistischem Bundesamt in diesem Jahr bei nur rund 80 Prozent des Niveaus von 2015 (Daten bis September 2023). In Niedersachsen gilt die Chemie-Industrie als die viertgrößte Industriebranche und beschäftigt mehr als 20.000 Menschen.
Gaspreis: Stabil aber höher
Faktor vier: der Gaspreis. Der Preis für Gas bildet sich aus Angebot und Nachfrage - zu normalen Zeiten. Nach dem Beginn des Krieges schoss er aber ungewöhnlich hoch. Seit dem Frühjahr 2023 hat der Preis sich wieder stabilisiert - und liegt seitdem stetig unter zehn Cent pro Kilowattstunde. Allerdings: Damit liegt der Verbraucher-Preis immer noch fast doppelt so hoch wie vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass ein Gaspreis in Höhe von fünf Cent derzeit in weiter Ferne liegt - eventuell wird er sogar nie wieder so niedrig sein.
Wurde zu viel gewarnt?
Faktor fünf: die Prävention. Von einigen Unternehmen hatte es Kritik gegeben, dass die Bundesnetzagentur in den vergangenen eineinhalb Jahren zu stark vor einer Mangellage gewarnt habe, die dann nicht eingetreten ist.
Aber diese Kritik lässt Bundesnetzagentur-Chef Müller nicht gelten: "Das ist das Präventionsparadoxon. Wenn man sehr viel warnt und reagiert wird, und das, vor dem man gewarnt hat, nicht eintritt, dann denken die Menschen oft, es sei ja alles gar nicht so schlimm gewesen." Im vergangenen Jahr, so Müller, habe es aber eine sehr ernste Lage gegeben, da der russische Präsident Wladimir Putin Gas als Kriegswaffe eingesetzt und den Gasfluss auf null gesetzt habe. Die Warnungen seien angemessen gewesen.
Diskussion um Ende der Alarmstufe
Auch in diesem Herbst mahnt Müller zum Gassparen. Aber die Wortwahl wirkt viel optimistischer als noch vor zwölf Monaten. Dennoch wird die Alarmstufe im Notfallplan Gas vorerst nicht aufgehoben. Deutschland und Europa müssten jetzt erst mal gut durch den Winter kommen, so Müller. Und dann blickt die Bundesnetzagentur auch schon auf den Winter 2024/25. Risikofaktoren wie Kälteperioden, unsichere Importmengen und Sabotage bleiben bestehen, so Müllers Einschätzung. Daher werden die Vorgaben für die Füllstände der Gasspeicher zunächst weiterhin gelten.