Stillstand nach Moratorium: Streitfall Stasi-Knast Neubrandenburg
Studenten der Hochschule Neubrandenburg dokumentieren Menschenrechtsverletzungen der DDR in der ehemaligen Haftanstalt auf dem Lindenberg in Neubrandenburg. Die Suche nach Zeitzeugen läuft auf Hochtouren, erweist sich aber als schwierig.
Die Zukunft der ehemaligen Stasi-Haftanstalt auf dem Neubrandenburger Lindenberg scheint derzeit vollkommen ungewiss. Die Stadtvertretung hatte zum Jahresausklang 2022 ein Moratorium erlassen, das jede Art von Veränderungen auf dem Grundstück untersagt. Damit sind die Verhandlungen zwischen dem Land als Eigentümer des Areals und der Stadt Neubrandenburg, die das Gelände neu gestalten möchte, zum Erliegen gekommen.
Das Land hatte der Stadt angeboten, das Objekt zu einem Vorzugspreis erwerben zu können, sofern dort Wohnungsbau realisiert werden würde. Ein Zustand, der unter anderem Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos) nicht zufriedenstellt: "Ja, es ist gut, dass wir darüber reden können. Aber spätestens im nächsten Jahr sollte eine Entscheidung fallen." Dazu müsste die städtische Politik einen Konsens finden, der nach einer knappen Abstimmung in der Stadtvertretung zum Moratorium offenbar noch in weiter Ferne zu sein scheint.
Verein engagiert sich für den Erhalt der Haftanstalt
Die Idee des Moratoriums entstand im November 2022 im Rahmen eines Podiumsgespräches in der Neubrandenburger Kinokirche "Latücht" zur Zukunft des Objektes. Zugleich hatte sich an diesem Tag ein Verein gegründet, der sich als Vertreter der Opfer dieser Haftanstalt versteht. Dessen Vorsitzender Toralf Maaß, einst selbst Insasse dieser Haftanstalt, forderte den Erhalt des Objektes und den Umbau zu einer Gedenkstätte. Die Neubrandenburger Haftanstalt gilt als Musterbau der DDR-Staatssicherheit für weitere Objekte, die nie gebaut wurden. Der 1987 eingeweihte Bau besaß unter anderem eine sogenannte Freigang-Torte, Einmannzellen auf den Fluren, um Häftlinge kurzzeitig wegzusperren, wenn sich andere Personen auf dem Flur befanden, Heizungen unter Putz, um eine Kommunikation durch Klopfzeichen zu verhindern und ein komplett installiertes Abhörsystem für alle Zellen. Das alles verschwand nach der Wende, als das Land die Haftanstalt zu einer JVA nach bundesdeutschem Recht umbaute.
Erste Interviews mit Zeitzeugen sind geführt
Die Neubrandenburger Geschichtswerkstatt Zeitlupe hat unterdessen gemeinsam mit der Hochschule die Suche nach Zeitzeugen intensiviert. Zum einen werden ehemalige Häftlinge, zum anderen Wärter und Verhörspezialisten gesucht. Es gebe bisher drei Zeitzeugen-Interviews, so Constanze Jaiser vom Projekt Zeitlupe, doch scheine die Zeit noch nicht reif zu sein, diese Vergangenheit aufzuarbeiten. "Ich habe das Gefühl, dass es in der Stadtgesellschaft noch zu viele Beteiligte gibt, die zu der Gruppe der Opfer oder zur Gruppe der Täter zu rechnen sind", begründet sie ihre Vermutung. Fest steht für sie: "Prioritär geht es uns um Zeitzeugen, nicht um die komplette Bewahrung des Objektes. Aber natürlich muss eine angemessene Gedenkstätte, in welcher Form auch immer, geschaffen werden."
Neubrandenburg hat bisher kein Gedenkstättenkonzept
Der Erhalt eines begrenzten Teils der Haftanstalt und dessen Umbau zu einer Gedenkstätte scheint derzeit der kleinste gemeinsame Nenner zwischen allen Beteiligten zu sein. Denn auch der Verein hat sich inzwischen in diese Richtung bewegt. Dass Zeitzeugen im Vordergrund stehen würden, sieht auch Kai Brauer, Professor der Hochschule Neubrandenburg und zweiter Vorsitzender des Vereins so. Das Objekt sei aber wichtig, um mit den Zeitzeugen arbeiten zu können. Völlig unklar ist derzeit die Finanzierung einer möglichen Gedenkstätte. Dazu braucht es erst ein Konzept. Um den Stillstand zu beenden, scheint deshalb die wichtigste Aufgabe der Stadtpolitik zu sein, 2024 das Moratorium durch ein Gedenkstätten-Konzept zu ersetzen. Verein, Geschichtswerkstatt und Hochschule wollen dazu mit einem weiteren Forum im Herbst 2023 neue Impulse setzen.