Selbstjustiz in Wismar: Landrat soll Öl ins Feuer gegossen haben
Ein Mann soll in Wismar Frauen und Mädchen gefolgt sein. Nachdem in sozialen Medien Fotos und der Wohnort des 24-Jährigen verbreitet wurde, kam es zu zwei Übergriffen auf den Mann. Der Flüchtlingsrat MV kritisiert nun Landrat Tino Schomann (CDU), die Stimmung angeheizt zu haben. Wie nun bekannt wurde, ist der 24-Jährige für Polizei und Staatsanwaltschaft kein Unbekannter.
Nach zwei Fällen mutmaßlicher Selbstjustiz in Wismar werden Vorwürfe laut, Nordwestmecklenburgs Landrat Schomann könnte mit Aussagen in der Öffentlichkeit die Stimmung angeheizt haben. Konkret geht es um einen Kommunalgipfel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am vergangenen Donnerstag, 30. März, der live ins Internet übertragen wurde. Schomann sprach von einem "Problemmann, der Frauen nachstellt". Auch "kleinen Mädchen habe er nachgestellt" - und das schon seit Monaten. Die Abschiebung des Mannes sei von Italien verweigert worden.
Polizei ermittelt nach Selbstjustiz wegen Körperverletzung
Einen Tag später rückte die Polizei Wismar aus, weil der 24-jährige Mann von zwei Personen bedroht worden sein soll. "Einer der Täter soll eine Art Baseballschläger bei sich gehabt haben", sagt eine Polizeisprecherin. Dabei wurde auch bekannt, dass der aus Tunesien stammende Mann schon in der Nacht Opfer einer Gewalttat wurde. Dabei soll er mit einer Bierflasche angegriffen worden sein. Eine medizinische Behandlung seiner Kopfverletzung lehnte der Mann ab, so die Polizei. In beiden Fällen werden aktuell Zeugen gesucht.
Flüchtlingsrat kritisiert öffentliche Vorverurteilung
Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern kritisiert den Landrat nun scharf. Der Projektleiter für Asylverfahren, René Fuhrwerk, sagt, dass Probleme von Schomann benannt werden müssten. "Aber so detailliert, wie das hier passiert ist, ist ein Rückschluss auf die Person möglich." Und jetzt müsse man der Presse entnehmen, dass sich Bürger darum gekümmert haben. Somit habe der Landrat "für mich eine Grenze überschritten und damit Öl ins Feuer gegossen".
Schomann verurteilt Selbstjustiz
Nach den Übergriffen auf den Tunesier wollte Landrat Schomann auf NDR Anfrage zunächst nicht bestätigen, dass er von genau diesem Tunesier gesprochen habe. Etwas später dann doch ein schriftliches Eingeständnis aus dem Landratsamt: Mit den Äußerungen "bezog sich der Landrat auf eine Pressemitteilung der Polizei Wismar vom selben Tag um 12:49 Uhr, die einen problematischen Fall bereits öffentlich thematisiert hatte." Er verurteile das Aufrufen zur Selbstjustiz auf das Schärfste, heißt es vom Landrat. Franz-Robert Liskow, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, springt Schomann bei: "Ich bin entsetzt, dass hier der Flüchtlingsrat und andere versuchen, einen untadeligen Landrat zum Schuldigen zu stempeln."
Zuvor kursierten in sozialen Medien über mehrere Tage Fotos des 24-Jährigen, auch sein Name und sein Wohnort wurden veröffentlicht. Er soll Mädchen und Frauen angesprochen und verfolgt haben, hieß es in den Beiträgen.
Mehrere Fälle, in denen Kinder angesprochen wurden
Wie nun bekannt wurde, ist auch die Staatsanwaltschaft Schwerin in den Fall involviert. "Gegen den Tunesier wurden und werden hier Ermittlungsverfahren wegen Nachstellung, Diebstahls, Hausfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung geführt. In weiten Teilen ist bereits Anklage beim Strafrichter erhoben worden", sagte Claudia Lange, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Auch bei der Polizei ist der Mann kein Unbekannter. So liegen gegen den Tunesier mehrere Anzeigen wegen Nachstellens vor. In der Vergangenheit hätten Beamte mehrmals mit ihm gesprochen, ihn gewarnt und auch mehrfach in Gewahrsam genommen, so die Polizei. Ermittlungen wegen des Straftatbestandes des Nachstellens laufen aktuell.
Ein weiterer Vorfall, bei dem in der vergangenen Woche eine Achtjährige auf einem Spielplatz in Wismar von einem Erwachsenen angesprochen worden sein soll, hänge nicht mit dem Fall des Tunesiers zusammen, so die Polizei.
Polizei: Teilen von Bildern ist strafbar
Die Polizei warnt vor weiteren Fällen von Selbstjustiz und ermittelt nun auch gegen die Personen, die in sozialen Medien unberechtigt Daten und Bilder veröffentlicht haben. Gegen die Männer, die Selbstjustiz verübt haben sollen, werde wegen des Verdachts der Körperverletzung und Bedrohung ermittelt. Zum Ermittlungsstand könne noch nichts gesagt werden. Momentan werden Videoaufnahmen ausgewertet, die das Geschehen zeigen könnten.