Häusliche Gewalt in MV: Beratungsstellen schlagen Alarm
Fast jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. So genannte "häusliche Gewalt" ist Alltag auch in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei bleibt sie oft lange im Dunkeln. Und Beratungsstellen sind am Limit.
Das Telefon ist für Frau Peters der erste und mittlerweile oft auch der einzige Weg zu helfen. Sie arbeitet in Rostock in der "Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking". Ihren ganzen Namen möchte sie zur Sicherheit nicht veröffentlicht sehen. Ihr Auftrag ist es, nach einem Polizeieinsatz Opfern von häuslicher Gewalt – meist sind es Frauen – Beratung anzubieten, ihnen einen Ausweg aus ihrer Situation aufzuzeigen, für "Schutz und Sicherheit" zu sorgen, so sagt es Frau Peters. Die Kontaktdaten der Opfer gibt die Polizei direkt an die Beratungsstelle weiter. Diese soll möglichst innerhalb von 48 Stunden jemanden erreichen und umfassend beraten. Doch bei dem Versuch, das zu schaffen, kommt die Beraterin mittlerweile an Grenzen.
Fälle haben sich verdoppelt
Denn die Zahl der Menschen, die von den fünf Interventionsstellen in Mecklenburg-Vorpommern betreut werden, hat sich in den vergangenen 15 Jahren nach Angaben der Träger fast verdoppelt. Gleich geblieben ist dagegen die Personalausstattung. Zwei Stellen für die Erwachsenenberatung und eine für die Hilfe für Kinder und Jugendliche aus diesen Familien können sie pro Interventionsstelle finanzieren. Es bleibt kaum Zeit für eine längere Begleitung der Opfer, insbesondere in schweren Fällen. Und einige Betroffene fallen ganz durchs Raster: "40 Prozent der Fälle erreiche ich mittlerweile gar nicht mehr", sagt Frau Peters. Andere Frauen könne sie nur ein einziges Mal am Telefon sprechen – besonders wenn diese nicht in der Hansestadt, sondern im Landkreis Rostock leben. Denn Hausbesuche seien zeitlich ebenfalls nicht mehr drin, so die Beraterin.
Zeit für Hilfe ist knapp
Dabei sollte die Hilfe nicht nur umfassend sein, sondern auch schnell greifen. Bestenfalls müssten die Beraterinnen am Tag eines Polizeieinsatzes, spätestens aber am Tag darauf, Kontakt zu den Opfern herstellen. Studien zeigten, so erklärt es Peters, dass die Betroffenen in dieser Zeit am ehesten bereit seien, etwas an ihrer Situation zu ändern. Je mehr Zeit vergehe, desto eher fingen sie an, das Verhalten der Täter zu entschuldigen. Außerdem könne die Polizei einen Täter höchstens zwei Wochen der gemeinsamen Wohnung verweisen. Es bleibe also nur wenig Zeit, um weitere Schritte auch vor Gericht zu organisieren, so Peters.
Sorge, Betroffene nicht rechtzeitig zu erreichen
Besonders in letzter Zeit habe sie Betroffene erlebt, die ein blaues Auge oder schwerste Hämatome hatten oder die berichteten, gewürgt worden zu sein. Dass sie solche Frauen unter Umständen nur noch schriftlich kontaktieren könne und in einer unsicheren Situation zurücklassen müsse, sei "schwer auszuhalten", sagt Beraterin Peters. Ulrike Bartel, die Geschäftsführerin des Vereins "Stark machen", der die Beratungsstelle betreibt, drückt es noch deutlicher aus: "Meine größte Angst ist im Moment: Ich komme morgens zur Arbeit, schlag' die Zeitung auf und sehe, dass es irgendwo einen Todesfall gab. Und der Fall lag vielleicht bei uns auf dem Tisch, und wir haben die Frau einfach nicht rechtzeitig erreicht."
Forderung an Landesregierung
Mit ihrer Forderung nach mehr Personal richtet sich Ulrike Bartel seit Jahren an die Landesregierung. Auch die aktuell zuständige Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Linke) und die Regierungsfraktionen im Landtag - SPD und Linke - wüssten um die Problematik, sagt Bartel: "Die Not wird gesehen. Es wird auch eigentlich die Verpflichtung des Landes gesehen, weil es ja einen gesetzlichen Auftrag gibt", sagt sie, "aber es wird argumentiert mit den leeren Kassen". Im kommenden Doppelhaushalt für die Jahre 2024 und 2025 sind zunächst 140.000 Euro mehr für alle Interventionsstellen eingeplant als zuletzt. 2023 sind es 804.000 Euro. Das zusätzliche Geld werde aber allein schon gebraucht, um Kolleginnen "nach Jahren des Stillstands endlich ein ordentliches Gehalt zahlen zu können", sagt Bartel. Und auch das liege noch unter dem Tarif. Aus ihrer Sicht müssten sich die Ausgaben des Landes für die Interventionsstellen verdoppeln, damit diese ihren Auftrag erfüllen können.
Mittel vom Land reichen angeblich nicht
Justizministerin Bernhardt verweist im Gespräch mit NDR MV auf das zusätzliche Budget von 140.000 Euro. Außerdem bemühe sich das Land beim Bund um zusätzliche Mittel für die Beratungsstellen. Derzeit laufe zudem eine breit angelegte Evaluation des Hilfsnetzwerks in ganz Mecklenburg-Vorpommern: "Diese Evaluation liegt Anfang nächsten Jahres vor, und dann werden wir auch weitere Schritte unternehmen", so Bernhardt. Auf die Nachfrage, ob die Beratungsstellen damit also für die nächsten beiden Haushaltsjahre sicher mit dem bisherigen Personal weiterarbeiten müssten, ergänzt sie: "Das werden wir dann sehen, wenn es so weit kommt. Ich bin erstmal gespannt, was der Haushaltsgesetzgeber jetzt macht." Gemeint ist damit der Landtag, der bis zum Ende des Jahres über den Finanzplan entscheiden muss.
Hoffen auf Unterstützung
"Wir müssen einfach weiter Druck machen auf die Landesregierung", sagt dagegen Ulrike Bartel zum Stand der Haushaltsverhandlungen. Schließlich hätten Beratungsstellen wie ihre durch Kampagnen und Veranstaltungen immer wieder um Unterstützung für von Gewalt betroffene Frauen geworben - mit Botschaften wie: "Du bist nicht allein! Hol' dir Hilfe! Brich' das Schweigen!" Dies habe dafür gesorgt, dass das Problem in der Gesellschaft verstärkt wahrgenommen werde, findet Bartel. "Und dann kommen sie, und dann gibt es diese Hilfe gar nicht mehr in ausreichendem Maße." Sie hält die aktuelle Situation deshalb für ein "riesengroßes Armutszeugnis".