Auch im Osten war Lametta: Weihnachten in der DDR
Geschenke, Leckereien und für manche der Gang in die Kirche: Weihnachten in der DDR war wie im Westen vor allem ein Familienfest. Und doch lief manches ein wenig anders. Eine neue NDR-Doku erzählt von besonderen und überraschenden Traditionen in den Nordbezirken.
Alle zwei Jahre, rund 150 Kinder und Jugendliche: Seit 1969 wird in der Rostocker St. Johannis-Kantorei die Weihnachtsgeschichte von Carl Orff in einer plattdeutschen Version aufgeführt. "Wenn es anfängt, geht für mich die Weihnachtsstimmung los. Das bringt ein Gefühl von Wärme und ja, Freude", erzählt Friedrike Neumeyer. Als Mädchen wirkt sie in den 80er Jahren an Aufführungen mit. Genauso wie ihr heutiger Mann Martin.
Falscher Bart sorgt für Aufregung
Martin spielt 1981 einen der Heiligen Drei Könige – mit aufgeklebtem Bart. „Der Schnäuzer hatte große Ähnlichkeit mit dem von Lech Wałęsa. Da sagte jeder: "Mensch, jetzt siehst du aus wie der polnische Gewerkschaftsboss." Im Dezember 1981 ist das nicht unbedingt eine Lappalie. Die Stimmung ist politisch aufgeheizt. Kurz vor Weihnachten wird in Polen das Kriegsrecht ausgerufen, um die Solidarność zu bekämpfen. Das Martin Neumeyers unechter Bart tatsächlich dem "Wałęsa-Style" ähnelt, zeigt bis heute ein außergewöhnliches TV-Dokument.
Rostocker Weihnachtsgeschichte im DDR-TV
Die Rostocker Weihnachtsgeschichte wurde nämlich vom DDR-Fernsehen aufgezeichnet - für die "Kirchliche Sendung zum Weihnachtsfest." Martin Neumeyer bekommt dafür sogar vier Tage schulfrei. Doch als er in seiner Berufsschule einen Entschuldigungszettel für die Dreharbeiten vorlegt, erntet er zunächst ungläubige Blicke. "Die wussten zum Teil ja gar nicht, dass es Kirche in der DDR überhaupt noch gibt. Und der Chef der Berufsschule hat dann in Berlin noch mal angerufen und nachgefragt."
Greifswalder St. Jacobi-Gemeinde on Air
Das es kirchliche TV-Sendungen im sich atheistisch gebenden Arbeiter- und Bauernstaat gibt, liegt an einer Wende in der Kirchenpolitik. 1978 treffen sich Staats- und Parteichef Erich Honecker und Vertreter der Evangelischen Kirche der DDR. Völlig überraschend genehmigt Honecker sechs mal im Jahr kurze christliche TV-Sendungen. "Das kann nicht wahr sein!", war die erste Reaktion von Pastor Roland Springborn. Weihnachten 1979 gestaltet der Greifswalder in und mit seiner St. Jacobi-Gemeinde eine Weihnachtssendung.
Mut zum christlichen Bekenntnis
"Wir hatten dort durchaus die Freiheit, das Evangelium zu verkünden." Der heute 83-jährige Springborn kann sich noch gut an die Dreharbeiten erinnern und die familiäre Diskussion erinnern. Sich als bekennende Christen im DDR-Fernsehen zu zeigen, sei keine einfache, aber die richtige Entscheidung gewesen, sagt Ehefrau Christa Springborn. "Ich weiß nicht, ob mein Mann eine andere Familie gefunden hätte, die bereit gewesen wäre, in einer kirchlichen Sendung sich im Fernsehen zu präsentieren."
Liebevoll-ironischer Blick auf DDR-Weihnachten
Diese und viele andere überraschende Geschichten rund um das Weihnachtsfest zu DDR-Zeiten erzählt die neue NDR Doku "Auch im Osten war Lametta", am 25. Dezember um 16.15 Uhr im NDR Fernsehen. Sie wirft einen liebevoll-ironischen Blick auf die Festtage in den Nordbezirken und berichtet, wie in den 50er Jahren die DDR-Führung das christliche Weihnachten in ein politisiertes Friedensfest umdichten wollte und damit scheiterte. Gezeigt wird auch, wie der Rostocker Weihnachtsmarkt in den 80er Jahren zum Treffpunkt von Ost- und Westdeutschen wurde und wie es vor Weihnachten in mecklenburgischen und vorpommerschen Gänseställen und Weinkellereien zuging.