Atomkraftwerk in Polen: Backhaus fordert Hilfe vom Bund
Polen will das erste Atomkraftwerk des Landes bauen - direkt an der pommerschen Ostseeküste. Weil der Standort aber nur 250 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt ist, möchte Mecklenburg-Vorpommern den Bau des Reaktors verhindern. Umweltminister Till Backhaus (SPD) fordert nun Hilfe von der Bundesregierung.
Für Till Backhaus (SPD) ist die Sache klar: Der Bau des Reaktors in Choczewo, etwa 75 Kilometer nordwestlich von Danzig, passe nicht in die Zeit. "Wir sind gegen den Bau des Atomkraftwerkes, weil diese Technologie nicht beherrschbar ist", sagt er im Gespräch mit dem NDR MV Podcast "Dorf Stadt Kreis - Pomerania". Es vergehe kein Treffen der deutschen Umweltminister, bei denen es nicht um sicherheitsrelevante Situationen in belgischen oder französischen Kernkraftwerken gehe.
Warschau ignoriert Schweriner Einspruch
Federführend für die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Sachsen hat Mecklenburg-Vorpommern deshalb Einspruch gegen den Bau des polnischen Meilers eingelegt. Im Rahmen einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung übermittelte das Land Mitte Dezember einen umfangreichen Fragenkatalog an die Regierung in Warschau. Zweieinhalb Monate später gebe es aber immer noch keine Reaktion.
Kühlwasser fließt in die Ostsee
Das geplante polnische Atomkraftwerk soll direkt an der Ostseeküste entstehen, damit Kühlwasser aus dem Meer entnommen und abgeleitet werden kann. Für Till Backhaus wirft das jede Menge Fragen auf. "Welche Auswirkungen hat das auf das Öko-System Wasser? Ungeklärt!". Er geht davon aus, dass Flora und Fauna der Ostsee beeinträchtigt würden. Hinzu kämen weitere, bisher unbeantwortete Fragen - zum Beispiel zu Sicherheitskonzepten für mögliche terroristische Angriffe.
Erster Atomstrom ab 2033
Die Bauarbeiten in Choczewo sollen 2026 starten. Sieben Jahre später könnte der Meiler dann ans Netz gehen. Er wäre das erste Kernkraftwerk Polens, obwohl es schon zu Zeiten der Volksrepublik konkrete Pläne für einen Einstieg in die Atomenergie gab. Der Bau einer Anlage, nicht weit vom jetzt ausgewählten Standort in Pommern entfernt, wurde aber in den frühen 1990er-Jahren abgebrochen. Die Ruinen stehen bis heute. Die polnische Gesellschaft war damals mehrheitlich gegen Kernkraft. Sie hatte wenig Vertrauen in den Reaktor sowjetischer Bauart.
Kernkraft für den Klimaschutz
"Damals gab es in Polen auch keine große Energieprobleme", sagt Konrad Czerski. Der Kernphysiker ist Professor an der Universität Stettin und Kenner der polnischen Kernkraft-Diskussion. Heute sei die Lage anders. Polen produziert seinen Strom zu etwa 80 Prozent aus Braun- und Steinkohle und ist dadurch einer der größten Luftverschmutzer der EU. Mit der Kernkraft könnte der CO2-Ausstoss drastisch reduziert werden. Ein Gewinn fürs Klima, sagen die Befürworter. Und die gibt es - anders als in Deutschland - in fast allen polnischen Parteien, auch bei Linken und Grünen.
Unabhängigkeit von Russland
Dass sich die Stimmung in Polen Richtung Pro-KKW gewandelt hat, liegt auch am Krieg in der Ukraine. Ein beträchtlicher Teil der Kohle wurde bisher aus Russland oder den nun russisch besetzten Gebieten importiert. Aus dieser Abhängigkeit will Polen unbedingt raus. "Wenn man alles kühl diskutiert, Vorteile und Nachteile betrachtet, dann ist die polnische Entscheidung rational richtig", findet Konrad Czerski, der an der Stettiner Uni Grundlagenforschung für die 4. und 5. Generation von Kernkraftwerken betreibt. Deutsche Kritik an den polnischen Plänen hält er für unangebracht. "Wenn man keine Kernkraft haben möchte: Bitteschön. Es ist die Entscheidung, die man auch treffen kann, gar kein Problem. Aber in Polen wollen die Leute etwas anderes."
Backhaus fordert Eingreifen der Bundesregierung
Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus ficht das nicht an, denn auch Mecklenburg-Vorpommern wäre bei einem GAU potentiell betroffen. Greifswald, Usedom und weite Teile Rügens liegen im 300-Kilometer-Radius des Meilers von Choczewo. Backhaus pocht deshalb darauf, dass Polen die Fragen seines Hauses beantwortet. Gegebenenfalls müsse der Rechtsweg einschlagen werden. Zudem fordert er ein Eingreifen des Bundes: "Die Außenvertretung haben die Bundesaußenministerin und die Bundesumweltministerin. Und die stehen in der Verantwortung, dieses Projekt zu verhindern."