20 Jahre EU-Beitritt Polens - Eindrücke aus Szczecin und Greifswald
Vor 20 Jahren kreuzten Carola Lewering vom NDR und Bogna Bartkiewicz von TV Polska die deutsch-polnische Grenze auf die jeweils andere Seite. Sie besuchten hüben und drüben: eine Werft, einen Landwirtschaftsbetrieb, eine Hochschule, einen Markt. Jetzt schauen sie, was sich seitdem verändert hat - im Podcast MV IM FOKUS.
Im Frühjahr 2004 machten sich Bogna Bartkiewicz und Carola Lewering auf eine Reise durch das deutsch-polnische Grenzland. Sie wollten im Vorfeld des EU-Beitritts Polens erkunden, mit welchen Erwartungen und Hoffnungen, aber auch mit welchen Ängsten die Menschen auf beiden Seiten der Grenze diesem Ereignis entgegen blickten. Sie trafen auf eine Palette von gemischten Gefühlen: Die Stettiner Werftarbeiter, die hofften, irgendwann mehr als 300 Euro pro Monat zu verdienen, die deutsche Hochschule, die sich auf gemeinsame Projekte freute und die polnischen Markthändler, die Angst vor ausbleibenden Kunden hatten.
Durchschnittseinkommen in Polen verdoppelt
Die Bedenken auf polnischer Seite, mit günstigen Arbeitskräften den Rest der EU zu verstärken, aber zu Hause das Lohnniveau nicht zu erhöhen, konnten schnell zerstreut werden. Seit 2004 hat sich der Mindestlohn in Polen verfünffacht. Die Durchschnittsgehälter haben sich mehr als verdoppelt. Der steigende Lebensstandard machte das Land sofort interessant für Exporteure aus der "alten EU". Immerhin: In der EU-Erweiterungsrunde vor 20 Jahren war Polen das bevölkerungsreichste Land.
Freude über jeden Mitarbeiter
Auch auf deutscher Seite trafen die Reporterinnen damals auf Ängste, gerade im grenznahen Raum. Würden die Grenzpendler den Vorpommern die Arbeitsplätze wegnehmen? Das Gegenteil ist eingetreten. Auf Usedom zum Beispiel freuen sich die Gastronomen über jeden Swinemünder, der in einer deutschen Küche arbeiten möchte. Inzwischen sind ganze Teams polnisch. Laut Ifo-Institut für Wirtschaftsförderung arbeiten in Deutschland derzeit 820.000 Menschen aus den Beitrittsländern von 2004. Das entspricht 2,4 Prozent aller Beschäftigten hierzulande. Von der damals befürchteten "Flutung des Arbeitsmarktes" kann also keine Rede sein.
Warum sprechen die Deutschen kein Polnisch?
Warum sprechen die Deutschen kein Polnisch? Das fragen sich beide Reporterinnen, die jeweils die Sprache der anderen beherrschen. Bogna Bartkiewicz stellt immer wieder fest, dass Deutsche an der Kasse im Stettiner Supermarkt deutsch sprechen. Sie fragt sich, wie es wäre, wenn sie in Greifswald beim Einkaufen polnisch sprechen würde. Das Interesse auf deutscher Seite, die polnische Sprache zu lernen, ist 20 Jahre nach dem EU-Beitritt in Mecklenburg-Vorpommern verschwindend gering.
Angeblich zu viele S-Laute
Ein gewisser Paternalismus würde von deutscher Seite immer wieder durchscheinen, mutmaßt Carola Lewering. Es gibt zwar einige wenige Vorzeigeprojekte in Schulen und Kitas im Grenzbereich. Aber die Beteiligung an Volkshochschulkursen beispielsweise nimmt immer mehr ab. Die Argumentation auf deutscher Seite ist oft, dass polnisch mit 22 verschiedenen S-Lauten zu schwierig sei. Aber andererseits fehlen verbindliche Strukturen. Menschen in Grenzräumen sollten sich immer in beiden Sprachen unterhalten können, sind sich die Reporterinnen einig.
Viele Einzelprojekte ersetzen nicht das echte Interesse
In der Euroregion Pomerania gibt es mit Unterstützung der EU viele Einzelprojekte mit deutschen und polnischen Partnern. Bogna Bartkiewicz berichtet zum Beispiel über die konkrete Zusammenarbeit der Medizinischen Hochschule in Szczecin mit dem Pasewalker Krankenhaus. Doch wünschen sich beide Journalistinnen, dass es bei diesen geförderten Projekten nicht nur darum gehen sollte, vom anderen zu profitieren. Ein echtes Interesse sollte in den kommenden 20 Jahren entstehen. Denn viele Sorgen und Entwicklungen sind auf beiden Seiten ähnlich: Große Industriestrukturen wie die Werften in Stralsund und Stettin haben sich aufgelöst. Neues ist entstanden. Die Landwirtschaft transformiert sich in Westpommern genauso wie in Vorpommern. Und die Alterstruktur im ländlichen Raum ist vergleichbar problematisch.
Ein unterhaltsames Stimmungsbild
In der neuen Podcast-Folge von "MV IM FOKUS Pomerania - Darüber spricht Mecklenburg-Vorpommern!"beschäftigen sich die beiden Journalistinnen Bogna Bartkiewicz und Carola Lewering mit der Realität 20 Jahre nach dem EU-Beitritt Polens. Im Gespräch mit Podcast-Host Mirja Freye vergleichen sie kritisch und unterhaltsam die Erwartungen von 2004 mit den Tatsachen von heute. Das unterhaltsame Stimmungsbild, geprägt von persönlichen Eindrücken zweier Reporterinnen, soll einladen, sich mit dem EU-Nachbarn mehr und kritisch zu befassen.