"Die Daten sind ein unglaublich guter Fang!"
Als die Schweiz im Januar 2009 Frankreich um Rechtshilfe bittet, ist Eric de Montgolfier der zuständige Staatsanwalt von Nizza. Er soll Falciani und seine Daten ausliefern - doch er widersetzt sich. Ohne Eric de Montgolfier wäre die Liste kein offizielles Beweismaterial geworden, und die HSBC-Kunden hätten kaum strafrechtlich verfolgt werden dürfen.
Herr de Montgolfier, warum haben Sie Falciani und seine Daten nicht an die Schweiz ausgeliefert?
Eric de Montgolfier: Als unsere Polizisten Falciani damals in die U-Haft-Zelle geführt haben, hat er ihnen gesagt: Passt auf, das sind extrem wichtige Informationen! Wir haben uns daraufhin die Unterlagen auf seinem Computer angesehen. Wir mussten ja sichergehen, dass wir den Schweizern nichts anderes geben, als das, worum sie im Rechtshilfegesuch gebeten haben. Als klar wurde, was wir da vorliegen hatten, haben wir der Schweizer Staatsanwältin gesagt: Sie können nach Hause fahren, aber ohne die Unterlagen.
Was haben Ihre Vorgesetzten dazu gesagt?
de Montgolfier: Es gibt einen Paragrafen im französischen Recht, der besagt, dass man solch einem Gesuch nicht nachkommen muss, wenn es französischen Interessen zuwider läuft. Darauf habe ich unsere Justizministerin hingewiesen. Sie hat lange gebraucht, um das zu entscheiden, sehr lange. Ich sollte den Schweizern dann die Daten zurückgeben, aber eine Kopie behalten. Aber wie hätten wir mit einer Kopie gerichtsfest arbeiten sollen? Wir brauchten das Original! Darüber habe ich mit einer Zeitung gesprochen. Kurz darauf habe ich einen Anruf von meinem Vorgesetzten bekommen: Wir behalten das Original und geben eine Kopie an die Schweizer zurück (lacht).
Dort betont man immer wieder, die Daten seien möglicherweise manipuliert worden.
de Montgolfier: Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass Fehler passiert sind. Aber wenn die Schweizer behaupten, die Liste sei von uns manipuliert worden, habe ich einen einfachen Vorschlag: Sollen sie doch die Namen offenlegen, die angeblich von der Liste gestrichen wurden!
Was halten Sie generell von der Arbeit Ihrer Schweizer Kollegen?
de Montgolfier: In einem wie üblich nicht sehr freundlichen Brief hat mir die Schweizer Staatsanwältin einmal geschrieben, diese Geschichte sei eine Gefährdung der Interessen der HSBC, und damit auch eine Gefährdung der Interessen der Schweiz. Für die Staatsanwältin war diese Bank also gleichbedeutend mit dem Staat. Mir hat das gezeigt, wie unersetzlich das Bankensystem für die Schweiz ist.
Dank der Liste hat der französische Staat 186 Millionen Euro an Steuernachzahlungen erhalten. Gleichzeitig hat die Affäre die Beziehung Ihres Landes zur Schweiz beschädigt. War es das wert?
de Montgolfier: Die Daten sind im Interesse Frankreichs und zahlreicher anderer Länder. Sie sind ein unglaublich guter Fang. Die Liste zeigt, dass viele Menschen nicht-versteuerte Guthaben in der Schweiz bunkern. Man muss bedenken, wie das mit dem Zustand unserer Wirtschaft zusammenhängt. Aus meiner Sicht offenbart sich da ein Bruch der europäischen Solidarität.
Sie erwähnen andere Länder. Die haben Ihnen sicherlich die Türen eingerannt, als der Fall 2009 publik wurde?
de Montgolfier: Aus Deutschland hat mich nur ein einziger Steuerfahnder kontaktiert, aus einem Bundesland, dessen Namen ich vergessen habe. Dabei hätte ich die deutschen Namen jedem deutschen Steuerfahnder sofort gegeben. Mich hat generell überrascht, wie wenige Länder sich für die Daten interessiert haben. Ich verstehe das nicht: Da gibt es ein riesiges Dossier, das zeigt, in welchem Ausmaß sich Steuersünder auf Kosten der Gesellschaft bereichern. Das sollte die Menschen in Europa doch eigentlich empören. Mein Eindruck ist aber eher, dass vielen das Ganze nicht allzu wichtig ist.
Die Schweizer Justiz hat Falciani vor kurzem wegen Wirtschaftsspionage angeklagt. Finden Sie das richtig?
de Montgolfier: Naja, es ist doch ihr gutes Recht, dass sie ihn anklagen (lacht). Die Schweizer setzen einfach ihr ganzes Waffenarsenal ein, um sich um klare Antworten zu drücken. Deshalb sagen sie: Falciani ist ein Schurke. Sie wollen davon ablenken, dass die Schweizer Banken Kapital annehmen, dass sie eigentlich nicht annehmen dürften.
Ist er denn ein Schurke? Er selbst sieht sich ja eher in einer Liga mit Edward Snowden.
de Montgolfier: Wenn ich heute etwas über ihn in der Zeitung lese, bin ich überrascht, wie er sich präsentiert. Andererseits ist sein Verhalten wohl menschlich. Und es würde seiner Glaubwürdigkeit nicht gut tun, wenn er einerseits die Banken für ihre Geschäfte kritisierte, aber andererseits zugäbe, dass er die Daten verkaufen wollte. Das Beste in so einer Situation ist wohl, sich als Robin Hood zu präsentieren.
Wird sich nun etwas an den Missständen in der Bankenbranche ändern?
de Montgolfier: Ich habe in meinen 40 Jahren als Staatsanwalt lernen müssen, dass sich die Welt nicht schnell verändern lässt. Ich wüsste nicht, warum ein so lukratives Geschäft wie das der Banken aufhören sollte zu existieren. Die Gier bleibt -und diejenigen, die Profit machen wollen, werden andere Wege finden.
Das Gespräch führte Nils Casjens, NDR.