Kommentar zu Panzerlieferungen: Scholz verfolgt einen Plan
Deutschland und andere westliche Länder wollen der Ukraine nun doch Kampfpanzer liefern - nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) diese Entscheidung lange hinausgezögert hatte. Hat sich Scholz damit nur dem öffentlichen Druck gebeugt?
Die Meinung von Lars Haider, Chefredakteur "Hamburger Abendblatt"
Das Spiel des Jahres 2023 steht schon jetzt fest. Es heißt "Erklär' mir einer Olaf Scholz" und es wird nahezu jeden Tag gespielt, bevorzugt in den Redaktionen deutscher Zeitungen oder Fernsehsender, gern auch an Stammtischen und in Wohnzimmern.
Ein Land versteht seinen Kanzler nicht, und anders als bei Angela Merkel gibt es keinen Peter Altmaier oder Helge Braun, der die Rolle des geduldigen Cheferklärers übernimmt. Und so meckern die einen darüber, dass Scholz bei der Unterstützung der Ukraine zu zaudernd und unentschlossen ist, während die anderen genau das als besonnen und vernünftig loben. So, als würden sie nicht über ein und dieselbe Person und deren Taten sprechen.
Wer authentische Politiker fordert, muss den Kanzler lieben
Dabei ist es gar nicht schwer, den Kanzler zu verstehen, wenn man sich ein wenig Mühe gibt und nicht der Hoffnung erliegt, dieser Olaf Scholz könnte ein anderer sein als der Olaf Scholz, den wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben. Der Mann ist, wie er immer war, und so wird er bleiben: schüchtern, rhetorisch eher mittelmäßig, niemand, der gern viele Worte verliert, und den man deshalb dazu auch nicht zwingen sollte.
Er ist nicht Politiker geworden, weil er es so liebt, vor Mikrofonen oder Fernsehkameras zu stehen oder Fragen von Journalisten zu beantworten (die von Bürgern mag er deutlich lieber). Er ist Politiker geworden, weil er glaubt, sich mit den Themen, auf die es ankommt, besser auszukennen als andere. Das mag manchmal arrogant wirken, dafür versucht Olaf Scholz aber nicht, anders zu sein, als er ist. Wer authentische Politiker fordert, muss den Kanzler lieben - dem man vieles vorwerfen kann, aber nicht, jemand anders sein zu wollen als Olaf Scholz.
Eine Art männliche Merkel mit Plan
In diesem Punkt ist er, wie in vielen anderen, seiner Vorgängerin Angela Merkel ähnlich. Scholz ist eine Art männliche Merkel mit Plan, Letzteres ist der entscheidende Unterschied. Man kann sich darauf verlassen, dass alles, was der Kanzler macht und sagt, sich an etwas orientiert, das er sich vorher überlegt hat. Man kann diesen Plan doof finden, mutlos oder kleinkariert, aber man wird Scholz nicht vorwerfen können, keinen Plan zu haben. Das ist wichtig zu wissen, wenn man sein Verhalten im Verlauf des Ukraine-Konflikts beurteilt.
Nichts geschieht zufällig oder unüberlegt, vieles dauert deshalb auch etwas länger, aber immer steckt dahinter eine Idee, von der Olaf Scholz überzeugt ist. Führung bedeutet für ihn, allein das zu tun, was er für richtig hält und nicht das, was andere von ihm fordern. Dass er mit dieser - sehr speziellen - Art Bundeskanzler geworden ist, obwohl das nahezu alle, die sich in diesem Land mit Politik beschäftigten, für ausgeschlossen hielten, hat ihn auf seinem Weg bestätigt.
Wichtig ist: Deutschland darf nicht Kriegspartei werden
Politische Beobachter neigten und neigen dazu, Olaf Scholz zu unterschätzen. Das galt bis zur Bundestagswahl 2021 und das gilt seit Beginn des Ukraine-Krieges. Und es hat viel mit den Mechanismen einer von Medien geprägten Demokratie zu tun, der sich ein Typ wie der Kanzler fast schon penetrant entzieht. Das heißt aber nicht, dass Scholz am Ende nicht doch auf der Seite der Sieger steht, auch, wenn es in der Momentaufnahme nicht danach aussieht.
Wer die Politik des Kanzlers in Zeiten des Krieges verstehen will, muss nur gut zuhören, was ihm wichtig ist, denn das ist seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine dasselbe: Deutschland darf nicht Kriegspartei werden, der Krieg darf sich nicht ausweiten, alle Entscheidungen müssen im Einklang mit den Verbündeten getroffen werden.
Diese Ziele stehen über Scholz‘ Politik, und weil er sie auf keinen Fall durch unbedachte Äußerungen gefährden will, kommuniziert er so, wie er kommuniziert, am besten gar nicht. Das, was Kritiker als Zaudern empfinden, ist in Wahrheit kein Zaudern, sondern Strategie. Der Diskussionsprozess um die richtigen Entscheidungen laufe um so besser, "je weniger er öffentlich läuft", hat Regierungssprecher Steffen Hebestreit gesagt. Genau das ist die Überzeugung des Bundeskanzlers.
Jeder Satz muss sitzen
Der will Wladimir Putin so wenig Angriffsmöglichkeiten bieten, wie es nur geht, und das beginnt damit, wie er über den Krieg und die Beteiligung Deutschlands spricht. Olaf Scholz weiß spätestens seit dem G20-Treffen, das er fahrlässig mit dem jährlichen Hafengeburtstag verglich und das für Hamburg zu einer mittleren Katastrophe wurde, wie schnell sich Halbsätze verselbständigen und zu einer Gefahr werden können. Deshalb versucht er, so zu sprechen, dass jeder Satz, den er sagt, von jedem, der ihn hört, so verstanden wird, wie er ihn gemeint hat, auch wenn der, der ihn hört, nicht dabei war oder den Kontext nicht kennt. Das ist mühsam für alle Beteiligten, aber es reduziert das Risiko einer nicht nur verbalen Eskalation in Zeiten, in denen man sich nicht ausmalen möchte, was eine Eskalation bedeuten könnte.
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