Kommentar: Schwierige Zeiten für US-europäisches Verhältnis
Der innerparteiliche Wahlkampf der US-Republikaner für die Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr geht in die heiße Phase, In dieser Woche hat Ron DeSantis seine Kandidatur verkündet - er ist der wohl stärkste Herausforderer von Ex-Präsident Donald Trump. Der Ausgang der Wahl dürfte auch Folgen für Europa haben.
Man muss noch nicht das Bild vom Kaninchen bemühen, das gebannt auf die Schlange starrt. Aber das Unbehagen ist schon zu spüren, wenn Europa auf die potenziellen Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr schaut. Nach Donald Trump hat nun auch Ron DeSantis seinen Hut bei den Republikanern in den Ring geworfen. Das verheißt nichts Gutes. Der erzkonservative Gouverneur aus Florida könnte den Graben zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa erneut ausheben. Der amtierende Präsident Joe Biden hatte ihn zum Glück nach der Trump-Ära wieder zugeschüttet.
Donald Trump als Schreckgespenst für Europa
Donald Trump sitzt Europa in den Knochen. Niemand möchte sich ausmalen, was passiert wäre, hätte er jetzt noch im Weißen Haus das Sagen. Ohne die USA hätte Europa bei der Hilfe für die von Russland überfallene Ukraine hilflos ausgesehen. Wie Schuppen ist vielen die eigene Schwäche von den Augen gefallen.
Vorbei sind die Zeiten, in denen es sich Europa in der geopolitischen Hängematte gemütlich machen konnte. Geostrategisch schien alles fest gefügt, auch wenn China zunehmend die USA als Weltmacht herausforderte. Namentlich die EU beschäftigte sich lieber mit sich selbst. Russland glaubte man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion irgendwie eingehegt zu bekommen. Erst jetzt schwant dem Kontinent, dass er auf der weltpolitischen Bühne zum Verlierer werden könnte. Die globale strategische Stabilität ist dahin, und auch in der Weltwirtschaft wächst die Konkurrenz.
Überall werden die Rollen neu verteilt
Es ist nicht nur der Krieg in der Ukraine, bei dem die Europäer dem russischen Eroberungsfeldzug ohne die USA nur wenig entgegensetzen könnten. Überall werden die Rollen neu verteilt. Man denke an China, aber auch an aufstrebende Schwellenländer wie Indien oder Brasilien, die zunehmend auf der weltpolitischen Bühne mitmischen. Was ist, wenn Europa auf sich allein gestellt wäre, weil sich die USA zunehmend auf den pazifischen Raum und auf die Auseinandersetzung mit China konzentrieren? Oder wenn der mächtige transatlantische Partner zu einer Politik des Isolationismus zurückkehrt?
Zwei populistische Hardliner auf der Republikaner-Liste
Wer nach dem Amtsantritt von Joe Biden glaubte, dass die Ära Trump nur eine flüchtige Episode in der US-Geschichte war, ist längst eines Besseren belehrt worden. Der ehemalige US-Präsident macht weiterhin mobil und hat bereits seine Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner verkündet.
Nun wirft mit dem 44-jährigen Ron DeSantis ausgerechnet Trumps politischer Ziehsohn ebenfalls den Hut in den Ring. Damit stehen bei den Republikanern zwei populistische Hardliner auf der Kandidatenliste, die das ohnehin gespaltene Land weiter auseinandertreiben.
Startschuss der DeSantis-Bewerbung ging nach hinten los
Vieles spricht dafür, dass DeSantis, sollte er zum Spitzenkandidaten nominiert und gewählt werden, eine ähnliche Politik einschlagen könnte wie einst sein Förderer. In Florida wettert er gegen Diversität und Migranten, sagt der linken Wokeness-Bewegung den Kulturkampf an und steht für freizügige Waffengesetze.
Pech für DeSantis, dass seine Präsidentschaftsbewerbung medial als Schuss nach hinten losging. Spektakulär wollte er über die Social-Media-Plattform Twitter ins Rampenlicht treten. An seiner Seite der schillernde Milliardär und Besitzer des Twitter-Kanals, Elon Musk, als Gesprächspartner. Aber es kam, wie es so oft bei der Anwendung digitaler Technik kommt: sie versagte zeitweise. Am Ende standen beide - DeSantis und Musk - nicht wie die Pioniere da, sondern wie Dilettanten.
Europa muss selbstständiger werden
Doch Schadenfreude wäre nur eine andere Form von Verdrängung. Die Partnerschaft mit den USA kann sich tiefgreifend verändern - und zwar selbst dann, wenn der amtierende Präsident Joe Biden wiedergewählt werden sollte. Die Welt ist im Umbruch. Will Europa nicht zum Statisten werden, muss es selbstständiger werden, anstatt zum Beispiel gebannt auf den Ausgang von Wahlen in anderen Ländern zu schauen - egal, ob Richtung USA oder ganz aktuell in die Türkei, wo mit einem Sieg von Recep Tayyip Erdogan eine neue Flüchtlingswelle Richtung Europa droht.
Höchste Zeit zum Handeln
Und was macht die EU? Sie diskutiert seit Jahren über einen besseren Schutz der Außengrenzen und streitet in der Asylpolitik. Sie schafft es nicht, in der Außen- und Finanzpolitik mit qualifizierten Mehrheiten statt wie bisher einstimmig zu entscheiden. Unübersehbar sind auch die Rüstungsdefizite des Kontinents - gerade in Deutschland. Höchste Zeit zum Handeln - egal, wer wo regiert.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.