Kommentar: Nach dem "Soli"-Urteil ist die Politik gefragt
Der Bundesfinanzhof hat eine Klage gegen die Rechtmäßigkeit des Solidaritätszuschlages abgewiesen. Mit dieser Entscheidung sind SPD und Grüne - anders als die FDP - zufrieden. Welche steuerlichen Lehren sollten in Berlin aber gezogen werden?
Ein Kommentar von Heike Göbel, "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Das Warten geht weiter. Seit vergangenem Montag sind gut 3,8 Millionen Steuerzahler um eine Hoffnung ärmer. Da hatten die Richter des Bundesfinanzhofs in München der Bundesregierung bestätigt, dass der Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer auch mehr als 30 Jahre nach der Deutschen Einheit immer noch rechtmäßig erhoben wird - auch wenn er nur noch Unternehmen und besonders wohlhabende Bürger trifft. Sie müssen rund elf Milliarden Euro jährlich extra zum Bundeshaushalt beisteuern.
Keine großen Hoffnungen für die Steuerzahlerinnen und -zahler
Nach der jüngsten Enttäuschung sind ihre Hoffnungen aber wohl nicht mehr groß, dass vielleicht die Bundesverfassungsrichter ein Einsehen haben, die sich nun mit der Klage befassen sollen. Das kann dauern.
Aber immerhin war Karlsruhe schon für manches Urteil im Sinne der Steuerzahler gut. Ihnen verdanken sie etwa die Klarstellung, dass der Staat das zum Leben mindestens notwendige Einkommen steuerlich freistellen muss. Auch das Aus für die Vermögenssteuer, die seit 1997 nicht mehr erhoben wird, ist Ergebnis eines Karlsruher Urteils, das die Anforderungen an eine solche Steuer so hoch schraubte, dass die Politik seither lieber die Finger von der Vermögenssteuer ließ.
Sympathie von SPD und Grünen für Wirtschaftsweisen-Vorschlag
Was den Solidaritätszuschlag angeht, ist klar: Die Ampel-Regierung wird sich hier nicht bewegen. Wenn sie wollte, könnte sie den Zuschlag ohne Mitsprache des Bundesrats abschaffen, denn die Einnahmen fließen allein dem Bund zu. Doch SPD und Grüne ticken steuerpolitisch links - sie würden die Steuern für Besserverdienende und Reiche am liebsten noch erhöhen. Sie haben daher große Sympathie für den Vorschlag der sogenannten Wirtschaftsweisen, den Solidaritätszuschlag befristet sogar noch zu verdoppeln. Das sei nur gerecht, argumentieren die Ökonomen, denn von den vielen Staatshilfen gegen die hohen Energiepreise hätten wohlhabende Bürger profitiert, die das gar nicht nötig hätten. Diese könnten einen "Energie-Soli" gut verkraften und damit zur Rückführung der Staatsschulden beitragen.
Es gibt kein Gerechtigkeitsproblem
An weiteren "Soli"-Ideen mangelt es ebenfalls nicht. Vorstöße gab es auch schon für einen Corona-"Soli", Bildungs-"Soli" oder Bundeswehr-"Soli". Das Münchner Urteil ist also auf den ersten Blick Wasser auf die Mühlen aller, die noch mehr Umverteilung fordern. Auf den zweiten Blick bestätigt es aber auch all jene, die darauf hinweisen, dass Deutschlands Spitzenverdiener den Löwenanteil der Einkommensteuer zahlen, es also kein Gerechtigkeitsproblem gibt.
FDP kommt mit ihrer Haltung nicht weiter
Dazu gehört die FDP. Sie will von einer Verdoppelung des "Solis" nichts wissen und lehnt auch alle anderen Vorstöße ab, den Zuschlag umzuwidmen für neue Zwecke. Geht es nach der FDP, wird auch der Rest-"Soli" abgeschafft, um die Glaubwürdigkeit der Politik wieder herzustellen. Als der Zuschlag eingeführt wurde, regierte die FDP mit der Union. Beide Parteien hatten stets den vorübergehenden Charakter der Abgabe betont.
Der FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner hat wissen lassen, er komme im Bundeshaushalt ohne den "Soli" aus. Und um zu zeigen, wie ernst es ihm ist, hat er den Zuschlag vor Gericht nicht verteidigt. Aber Lindner weiß auch, dass er in der Ampel-Regierung hier nicht weiterkommt. Steuerpolitisch lässt der Koalitionsvertrag wenig Raum zum Manövrieren, sei es zur Entlastung oder zur Belastung der Bürger. Man hat sich blockiert.
Senkung der Unternehmenssteuern möglich?
Aber vielleicht könnte das Urteil der FDP helfen, ein anderes wichtiges steuerpolitisches Ziel durchzusetzen: die Entlastung der Wirtschaft. Deutschland besteuert seine Unternehmen höher als die meisten Länder, mit denen es im Wettbewerb steht. Dass dazu auch der "Soli" beiträgt, hat der Bundesfinanzhof gerade öffentlichkeitswirksam bestätigt. Auch die Senkung der Unternehmenssteuern ist in der Ampel bisher nicht mehrheitsfähig.
Es gibt aber längst auch für SPD und Grüne gute Gründe, ihre Ablehnung zu überdenken. Denn zu den hohen Steuern kommt nun der Wettbewerbsnachteil hoher Strompreise. Der durch den Krieg in der Ukraine notwendig gewordene abrupte Umbau der Energieversorgung hat die schon vor der Krise im internationalen Vergleich überhöhten deutschen Strompreise nochmals beflügelt. Die Kosten wiegen immer schwerer, weil die deutschen Unternehmen ihre Produktionsprozesse jetzt - wie von der Politik gewünscht - zunehmend auf Strom umstellen, um Gas und Öl zu ersetzen.
Steuerpolitik sollte Wirtschaftswachstum im Blick haben
Als Antwort arbeitet die Ampel an einem schwer zu administrierenden subventionierten Strompreis und neuen steuerlichen Ausnahmen in Gestalt einer "Super-Abschreibung". Das sind bürokratische Krücken, die nicht allen Unternehmen nutzen. Der einfachste Weg, der Wirtschaft zu helfen, läge jetzt in einer breiten Senkung ihrer Einkommens- und Körperschaftssteuerlast.
Auch der linke Teil der Ampel sollte erkennen, dass mit einer Steuerpolitik, die das Wirtschaftswachstum stärkt, am Ende mehr für die soziale Gerechtigkeit herausspringt als mit immer neuen Sonderabgaben für Reiche.
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