Tag der Seltenen Krankheiten: Lange Wartezeit und fehlende Forschung
Nannette Emmerich aus Hamburg hat seit ihrer Geburt starke Fehlbildungen der Haut - kongenitale melanozytäre Nävi - die Diagnose bekam sie aber erst 42 Jahre später. Ähnlich geht es vielen Menschen mit Seltenen Krankheiten. Der "Rare Disease Day" soll das ändern.
Nannette Emmerich hat schon seit ihrer Geburt einen großen Leberfleck von ihrem Hals bis zu den Schultern - und Hunderte weitere am Rest ihres Körpers. Als sie noch ein Baby ist, vermuten die Ärzte: Nannette wird nicht lange leben, das Hautkrebsrisiko sei zu hoch.
Ärzte gehen fälschlich von sehr hohem Krebsrisiko aus
Heute weiß Emmerich, dass die Prognose falsch war. Ihr Hautkrebsrisiko ist nur minimal erhöht - um rund 1,3 bis 3,3 Prozent. Ihre Ärzte waren damals jedoch von einem dreißigfach höheren Risiko ausgegangen und entfernten viele der Leberflecke und Muttermale, um das vermeintliche Krebsrisiko zu senken. "Mittlerweile hat es keine Auswirkungen auf meinen Alltag. Damals als ich geboren wurde, hatten die Ärzte aber keine Ahnung, was sie da vor sich sehen und haben nur zu meinen Eltern gesagt: 'Pflegen Sie Ihr Kind gut. Sie wird nicht älter als zwei.'", erzählt Emmerich.
Erst nach 42 Jahren erfährt Emmerich: die Fehlbildung ist gutartig
Welche Erkrankung sie hat, erfährt Emmerich nur durch Zufall. In einem Fernsehbeitrag erkennt sie eine Frau aus Bremen mit einer ähnlichen Hautveränderung - und beginnt zu recherchieren. 42 Jahre lang wusste sie nicht, dass sie mit dieser Diagnose in Deutschland nicht allein ist. Die Hautveränderungen sind eine gutartige Fehlbildung der Haut. Dabei handelt es sich um "kongenitale melanozytäre Nävi" (CMN), die umgangssprachlich als Muttermale oder Leberflecken bezeichnet werden. Bei großen Nävi sind Kontrollen und ausreichender Sonnenschutz wichtig. Ansonsten muss CMN nicht weiter behandelt werden.
Es wird geschätzt, dass weniger als ein Mensch pro 100.000 Geburten betroffen ist. Genauere Angaben sind aber laut dem Nävus Netzwerk nicht möglich, weil die Erkrankung nicht statistisch erfasst wird.
Betroffene warten durchschnittlich sechs Jahre auf Diagnose einer Seltenen Krankheit
Menschen mit Seltenen Krankheiten besuchen bis zur korrekten Diagnose häufig bis zu zehn unterschiedliche Mediziner. Bis sie richtig behandelt werden können, vergehen durchschnittlich sechs Jahre. Wenn Haus- und Fachärzte nicht weiterwissen, können spezialisierte Einrichtungen weiterhelfen. Deutschlandweit gibt es über 30 von ihnen - davon sechs Standorte im Norden. Eine Anlaufstelle in Hamburg ist das Martin Zeitz Zentrum für Seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Eppendorf. Hier stellen sich Menschen vor, wenn Haus- und Fachärzte nicht weiter wissen, erklärt der Leiter Dr. Christoph Schramm: "Die Menschen haben meist eine jahrelange Abklärung schon hinter sich. Patienten bringen oft sehr dicke Aktenordner mit Vorbefunden mit. Und dann setzen wir uns mit Spezialisten aus verschiedenen Fachgebieten zusammen."
Zu wenig Forschung und zu wenig Therapien für Seltene Krankheiten
Doch auch mit einer Diagnose können die meisten Betroffenen nicht richtig behandelt werden. Für rund 95 Prozent der Seltenen Erkrankungen gibt es keine zugelassenen Therapien. In den letzten zehn Jahren seien weniger als zehn neue Medikamente für Seltene Erkrankungen zugelassen worden. Zu wenig, findet Schramm. Es brauche mehr Forschung und öffentliche Förderung für die Seltenen Erkrankungen. Am 28. Februar findet weltweit der "Rare Disease Day" mit dem Ziel statt, Bewusstsein für Seltene Erkrankungen zu schaffen.
Austausch mit anderen kann Betroffenen helfen
Nannette Emmerich hat sich mit ihrer Erkrankung lange Zeit sehr allein gefühlt. Der Austausch mit anderen habe ihr auch dabei geholfen, selbstbewusster zu werden und für sich und ihren Körper einzustehen. Für Menschen mit seltenen Diagnosen ist es auch deswegen wichtig, gehört und gesehen zu werden, sagt die Hamburgerin. Seit ihrer Diagnose vor vier Jahren setzt sich Emmerich deswegen dafür ein, dass Eltern und Betroffene früher aufgeklärt und mit ihren Diagnosen nicht allein gelassen werden. Nachdem sie in der Schule für ihr Aussehen gemobbt und ausgegrenzt wurde, steht die Sängerin, die unter dem Namen NANÉE auftritt, heute zu sich selbst. Mit ihrer Musik will sie anderen Betroffenen Mut machen und alte Schönheitsideale ablösen. Nachdem sie Jahrzehnte mit ihrer Erkrankung allein war, sei ihr heute klar: Durch Sichtbarkeit komme auch Toleranz und Verständnis für Seltene Erkrankungen.