Eine Demonstrantin mit einem Herz in Farben der Ukraine mit einer aufgemalten Friedenstaube läuft beim Ostermarsch 2022. © picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte
Eine Demonstrantin mit einem Herz in Farben der Ukraine mit einer aufgemalten Friedenstaube läuft beim Ostermarsch 2022. © picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte
Eine Demonstrantin mit einem Herz in Farben der Ukraine mit einer aufgemalten Friedenstaube läuft beim Ostermarsch 2022. © picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte
AUDIO: Ostermärsche: Wie zeitgemäß sind die Proteste noch? (3 Min)

Ostermärsche: "Die Friedensbewegung mobilisiert nicht mehr"

Stand: 06.04.2023 06:00 Uhr

Ob in Schwerin, Kiel, Osnabrück oder Braunschweig: In über zwanzig Städten im Norden finden an diesem Wochenende Ostermärsche statt. Doch kann die Friedensbewegung noch mobilisieren? Und wer kommt überhaupt noch zu den Demonstrationen?

Deutschlandweit erwartet die Friedensbewegung "mehrere Zehntausend Teilnehmer" bei den traditionellen Ostermärschen. Doch es gibt auch Uneinigkeit: In Hamburg werden DGB und Linke erstmals nicht zur Teilnahme aufrufen. Sie kritisieren den Aufruf des "Hamburger Forums" - den langjährigen Organisatoren des Ostermarsches in der Hansestadt. Der Aufruf für den Ostermarsch stelle sich vor allem gegen die USA und gebe der NATO eine Mitschuld am russischen Einmarsch in die Ukraine, so die Begründung. Auch in Fulda haben die örtlichen Organisatoren Unterstützer verloren, dort sorgt der Auftritt des ehemaligen Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm für Diskussionen - ihm wird unter anderem eine Nähe zur Querdenker-Szene vorgeworfen. Ursula Schröder, die wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zur Frage, wie es um die Friedensbewegung bestellt ist.

Frau Schröder, wer geht bei den bundesweiten Ostermärschen überhaupt noch auf die Straße?

Ursula Schröder: Die sogenannte Ostermarschbewegung ist ein sehr heterogenes Feld der älteren Friedensbewegung. Die gibt es schon seit den 1960er-Jahren. Es die klassische, teilweise radikalpazifistische deutsche Bewegung, die sich gegen Waffen, gegen Waffenlieferungen und für Frieden einsetzt.

Die Ostermärsche werden dezentral organisiert, sorgt das auch für Diversität innerhalb der Bewegungen?

Schröder: Es gab nie einen Ostermarsch. Es gab auch nie eine Friedensbewegung. Das war immer schon ein sehr heterogenes Gemisch von Leuten, die sich da getroffen haben, mit sehr unterschiedlichen Forderungen. Das heißt nicht unbedingt divers im modernen Sinne, sondern eher unterschiedlich orientiert in Bezug auf die USA, die NATO und auf Russland - daher ist die Bewegung untereinander auch durchaus zerstritten.

Haben die Konflikte innerhalb der Bewegung zugenommen?

Das Bild zeigt die wissenschaftliche Direktorin des in Hamburg ansässigen Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik © IFSH
Ursula Schröder zweifelt daran, dass die Friedensbewegung noch viele Menschen auf die Straße bringt.

Schröder: Die Friedensbewegung war nie eine einheitliche Bewegung, die unterschiedlichen Positionen haben sich durchaus sehr stark voneinander unterschieden. Was wir jetzt sehen, ist eine härtere Auseinandersetzung um Russland, eine härtere Auseinandersetzung um die Positionierung gegenüber der NATO und den USA. Aber das Gesamtbild, das sich bei den Ostermärschen jetzt abzeichnet, ist ein klassisches "Frieden schaffen ohne Waffen". Da werden relativ pauschal Verhandlungen und ein Waffenstillstand gefordert. Das sind also radikalpazifistische Forderungen, die vermutlich keine Mehrheit finden und deswegen wird deren Mobilisierungsgrad auch sehr beschränkt sein.

Wie realistisch sind diese Forderungen Ihrer Meinung nach?

Schröder: Es ist eine außerparlamentarische Friedensbewegung, die es schon lange gibt. Natürlich fordert sie ganz pauschal Dinge, ohne sie auch direkt in die Politik umsetzen zu müssen. Allerdings sind diese Forderungen aus meiner Sicht viel zu pauschal und es bleibt auch unklar, wie man dahin kommen möge, zu "Frieden schaffen ohne Waffen". Das finde ich schwierig und ich sehe auch nicht, wie sich diese Forderungen gerade umsetzen lassen sollen. Es werden zum Beispiel Waffenstillstände gefordert, Waffenstillstände sind kein neutrales Mittel der Politik. Waffenstillstände nutzen bestimmten Kriegsparteien mehr als anderen. Wir wissen aus der Forschung, dass Waffenstillstände auch von der Russischen Föderation ausgenutzt werden, um bestimmte strategische Ziele zu erreichen. In Syrien beispielsweise.

Warum ist die Friedensbewegung in Teilen traditionell eher russlandfreundlich?

Schröder: Teile der Friedensbewegung waren schon immer NATO- und Amerika-kritisch und dabei eher russlandfreundlich. Das ist die traditionelle ältere Friedensbewegung. Die sind teilweise relativ unkritisch gegenüber Putin eingestellt. Aber auch da kann man nicht die gesamte Bewegung über einen Kamm scheren. Es gibt große Unterschiede. Die russlandfreundliche Haltung würde ich historisch erklären, weil diese Bewegung in den 1960er-Jahren entstanden ist und auch 1968 noch einmal stark durch die sozialistische Bewegung damals beeinflusst wurde. Auch die Organisation ist dann '68 stark von einer bürgerlichen Friedensbewegung übernommen worden, der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) beispielsweise. Diese Traditionslinie einer eher linksorientierten Friedensbewegung, einer der Kommunistischen Partei (DKP) nahestehenden Friedensbewegung sehen wir auch heute noch in Ansätzen in der alten Friedensbewegung. Insgesamt sind diese Gruppierungen aber sehr klein.

Für gewöhnlich gehen in Kriegszeiten mehr Menschen für den Frieden auf die Straße - Wie kann es sein, dass sich in diesem Jahr DGB und Linke in Hamburg abgewandt haben? 

Schröder: Das ist nicht nur in Hamburg so, dass sich die Ostermärsche schwer damit tun, zu mobilisieren. In einzelnen Städten müssen sie sich gegen Querdenker und rechte Gruppen wehren, die versuchen, die Ostermärsche zu instrumentalisieren. In Fulda und Karlsruhe laufen solche Versuche aktuell. Die Friedensthematik hat schon lange ein Problem mit der Mobilisierung gehabt. Wenn wir das mit der Mobilisierung für die Klimaproteste vergleichen, dann kommen die Leute aus der Friedensbewegung aus einer anderen Generation, die mobilisieren auch anders. Die sind nicht so anschlussfähig an die aktuellen Diskussionen. Ich glaube, dass ist eine Generationen-Herausforderungen, dass es hier keine neue Friedensbewegung gibt, sondern eben die alte und die alte es nicht mehr schafft, eine neue Kernkundschaft für sich zu aktivieren.

Hat sich die gesellschaftliche Sich auf die Forderungen geändert?

Schröder: Die Forderungen und die Aufrufe, die ich mir angeschaut habe, sind ähnlich in der Diktion, im Wortlaut wie früher. Also: keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, keine Waffenlieferungen an die Ukraine oder auch keine Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das sind alte Forderungen aus dem friedenspolitischen Milieu. Aber natürlich hat sich die Draufsicht der deutschen Gesellschaft auf diese Forderungen geändert, weil wir mit großer Härte gerade sehen mussten, dass man Frieden nicht immer ohne Waffen schaffen kann und das Waffenlieferungen auch friedenspolitisch sinnvoll sein können. Diese Debatte ist in der alten Friedensbewegung nicht angekommen

"Wie alt" ist die Bewegung mit ihren Forderungen?

Schröder: Aus meiner Sicht ist die Bewegung sowohl in der Traditionslinie alt als auch von den Personen, die da mitlaufen werden. Es kann sein, dass Erstprotestierende, die sich neu mobilisieren lassen, dahingehen. Dann geht es aber auch darum, dass sich die Ostermärsche gegen rechts abgrenzen müssen. Einige große Einrichtungen der Friedensbewegung haben das getan. Die Frage ist, wie geht die Friedensbewegung mit Zuläufen von Querdenkern und der rechten Szene um, die sie vielleicht gar nicht bei sich haben wollen.

Finden Sie das Motto "Frieden ohne Waffen" noch zeitgemäß?

Schröder: Es ist eine Forderung, die aus der Zeit gefallen scheint: "Frieden schaffen ohne Waffen" oder auch "Waffenstillstand und Friedensverhandlungen jetzt", das suggeriert, dass wir morgen im Frieden aufwachen können, dass man den Frieden ausrufen kann und dass wir, insbesondere die Deutschen, dann wieder im Frieden leben können. Das erscheint mir falsch an den Aufrufen der Ostermärsche, dass sie sehr auf Deutschland bezogen sind und eine Politik verfolgen wollen, die unter den aktuellen Gegebenheiten leider nicht mehr möglich ist. Deswegen erwarte ich in allen Bundesländern Auseinandersetzungen um die politische Richtung der Ostermärsche. Das sind Forderungen, von denen man sich politisch abgrenzen muss, wenn man sich mit dem Ukraine-Krieg und der Situation beschäftigt hat, weil das unrealistische Forderungen sind, die Russland in die Hände spielen.

Das Interview führte Lisa Hentschel.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 06.04.2023 | 14:00 Uhr

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