Eine Schülerin macht einen Corona-Test. © dpa picture alliance Foto: Laci Perenyi
Eine Schülerin macht einen Corona-Test. © dpa picture alliance Foto: Laci Perenyi
Eine Schülerin macht einen Corona-Test. © dpa picture alliance Foto: Laci Perenyi
AUDIO: Kommentar: Rückblicke und Schuldzuweisungen zum Ende der Corona-Maßnahmen (4 Min)

Kommentar zum Ende der Corona-Maßnahmen: Politik war verantwortlich

Stand: 01.02.2023 16:45 Uhr

Wenn die Erleichterung über eine endemische Lage da ist, verzeihen sich Politiker auf einmal ziemlich viel, meint NDR Info Wissenschaftsredakteurin Korinna Hennig. Doch die Wissenschaft für Fehlentscheidungen in der Corona-Pandemie verantwortlich zu machen, sei falsch.

von Korinna Hennig

Egal wie man den damaligen Satz von Jens Spahn bewerten mag, dass wir einander noch viel verzeihen werden müssen - einige Politiker verzeihen sich selbst im Rückblick auf die Pandemie gerade ein bisschen zu wohlfeil. Dazu gehört zum Beispiel der aktuelle Bundesgesundheitsminister, wenn er im Zusammenhang mit den Schulschließungen davon spricht, die Wissenschaft sei "nicht gut genug" gewesen. Auch wenn Karl Lauterbach sich selbst in diese kritische Rückbetrachtung ausdrücklich mit einbezieht: Er kennt die Dynamiken solcher Aussagen sehr gut und sollte wissen, wie manche Medien sie aufgreifen und eine marktschreierische Anklage gegen Einzelpersonen daraus machen. Und vor allem: Es stimmt so einfach nicht.

Die Wissenschaft hat geliefert

Porträtfoto der NDR Info Redakteurin Korinna Hennig. © NDR
NDR Wissenschaftsredakteurin Korinna Hennig meint, nicht so sehr die Wissenschaft habe Fehler gemacht, sondern die Politik.

Erstens muss man jede wissenschaftliche Erkenntnis im zeitlichen Zusammenhang betrachten. Man wusste nicht von Anfang an alles über das Coronavirus, auch nicht, was seine Wirkung auf Kinder angeht. Und das Virus selbst hat sich dann im Laufe der Pandemie ja auch verändert.

Zweitens besteht "die Wissenschaft" nicht allein aus der Virologie, sondern eben auch aus der Bildungsforschung, der Sozialpsychologie, der Medizinsoziologie. Und da hat es durchaus Vertreter gegeben, die rechtzeitig eine differenzierte Bewertung der Lage abgeliefert haben. Es war also nicht "die Wissenschaft", die nicht gut genug war, sondern die Politik, die aus diesen verschiedenen Perspektiven vielleicht nicht die richtigen Schlüsse gezogen hat.

Schuldebatte wurde politisch entschieden

Und übrigens verengt diese zum hundertsten Mal geführte Debatte um "Schulen auf versus Schulen zu" den Blick auf sehr ungesunde Weise, was die Lehren für die Zukunft angeht. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen hatten nach der ersten Welle eben nicht dafür plädiert, die Schulen einfach pauschal auf- oder zuzumachen, sondern Konzepte vorgelegt, wie man offene Schulen sicherer machen könnte. Stichwort: Kohortentrennung, Teststrategien, Luftfilter, Unterstützung der Familien. Dieser Aspekt geht ein ums andere Mal unter.

Gesundheitsminister Lauterbach spricht in zwei Pultmikrophone © Screenshot
AUDIO: Nach Corona: Für Gesundheitsminister Lauterbach bleibt viel zu tun (4 Min)

Denn zum Kindeswohl gehört auch der Infektionsschutz. Ja, Kinder haben ein deutlich geringeres Erkrankungsrisiko als Erwachsene, aber es ist eben dennoch nicht so, dass alle eine Corona-Infektion symptomlos wegstecken. Auch Kinder hatten und haben ein Recht darauf, vor den teilweise noch immer nicht gut erforschten Auswirkungen eines neuen Virus geschützt zu werden. Und was ist im Übrigen mit den Lehrkräften? Infektionsschutz ist mittelbar auch Schutz des Rechts auf Bildung, das haben spätestens die vielfachen allgemeinen und individuellen Unterrichtsausfälle durch die RSV- und Influenza-Welle im vergangenen Herbst gezeigt. Auch bei der Bekämpfung bereits bekannter Viren gibt es also noch einiges zu tun.

Würden auch Kinder prioritär geschützt werden?

Man muss eins noch mal in aller Deutlichkeit sagen: Was den Schutz von Menschenleben angeht, ist Deutschland im internationalen Vergleich relativ gut durch die Pandemie gekommen. Deshalb ist es ärgerlich, wie manche jetzt eine retrospektive Umdeutung versuchen. Zum Beispiel auch, was die Wirksamkeit von Masken angeht. Bei den Dingen, die es in Zukunft besser zu machen gilt, sollte man allerdings ehrlich sein. In der Wahl der Pandemie-Maßnahmen sind in Deutschland die Belange der Erwachsenen gegenüber dem Kindeswohl priorisiert worden. Andere Länder haben das anders gemacht, mit Homeoffice-Pflicht, Nahverkehrsbeschränkungen und strengen Ausgangssperren. Darum darf gerade die Schuldebatte nicht scheinheilig geführt werden. Soziale Ungleichheit in der Bildung ist nicht allein ein Corona-Thema.

Und mit Blick nach vorn kann man getrost fragen: Was wäre eigentlich, wenn es mal ein Virus gäbe, das für Kinder gefährlicher ist, zu dessen Verbreitung aber auch die Erwachsenen beitragen? Dann müssten wir uns zugunsten der Kinder einschränken, auch wirtschaftlich. Wären wir dazu bereit?

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

Weitere Informationen
Ein Mensch hält eine FFP2-Maske in der Hand. © picture alliance/pressefoto_korb/Micha Korb Foto: Micha Korb

Corona im Norden: Letzte Auflagen sind weggefallen

Seit dem 8. April muss in medizinischen Einrichtungen auch von Besucherinnen und Besuchern keine Maske mehr getragen werden. mehr

Zwei Ärztinnen und ein Arzt gehen auf einem Krankenhausflur entlang © panthermedia Foto: Kzenon

Coronavirus-Blog: Schutzverordnungen der Länder laufen aus

In Krankenhäusern und Pflegeheimen müssen künftig nur noch Besucher Maske tragen, die Testpflicht entfällt. Die Corona-News des Tages - letztmalig im Blog. mehr

Innenansicht eines Zugabteils © Screenshot
2 Min

Maskenpflicht: Ein letzter Tag Regelchaos für Pendler

In Hamburg endet die Maskenpflicht im Nahverkehr. In Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern dauert sie noch einen Tag an. 2 Min

Der Virologe Prof. Christian Drosten und die Virologin Prof. Sandra Ciesek (Montage) © picture alliance/dpa, Universitätsklinikum Frankfurt Foto: Christophe Gateau,

Coronavirus-Update: Der Podcast mit Drosten & Ciesek

Hier finden Sie alle bisher gesendeten Folgen zum Nachlesen und Nachhören sowie ein wissenschaftliches Glossar und vieles mehr. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kommentar | 01.02.2023 | 17:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Gesundheitsvorsorge

Coronavirus

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau hält ein Smarthphone in die Kamera, auf dem Display steht "#NDRfragt" © PantherMedia Foto: Yuri Arcurs

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Polizeifahrzeuge stehen am Weihnachtsmarkt vor dem Hamburger Rathaus. © picture alliance / ABBFoto

Anschlag in Magdeburg: Mehr Polizei auf Weihnachtsmärkten im Norden

Die Sicherheitsmaßnahmen auf norddeutschen Märkten sollen überprüft werden. Niedersachsens Ministerpräsident Weil sagte, hundertprozentigen Schutz gebe es nicht. mehr