Drei Windräder und kein Protest: Das Erfolgsrezept von Thomasburg
In Thomasburg drehen sich seit Neuestem drei Windräder am Ortsrand. Niemand aus dem Dorf in Niedersachsen hat dagegen geklagt. Und die Genehmigung war in weniger als einem Jahr durch. Wie lautet das Erfolgsrezept?
Dass ausgerechnet auf seinem Acker einmal ein Windrad stehen würde, das hätten viele in Thomasburg vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten. Denn damals hatte Frank Lüßmann sich noch gegen solche Anlagen in der Umgebung der kleinen Gemeinde in Niedersachsen gewandt.
Lüßmann ist Oberstudienrat im Ruhestand - und inzwischen eine Art Botschafter für Windkraft. "Wir wollen die Energiewende und wir sehen, dass es sein muss. Das Wichtigste für uns im Ort war, dass alle gesagt haben: Wenn etwas kommt, dann machen wir es nur alle gemeinsam", sagt Lüßmann im NDR Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise".
Drei 200 Meter hohe Windräder drehen sich auf Acker
Seit Kurzem steht auf seinem Acker ein Windrad, 200 Meter hoch. Das ist so hoch wie der Hamburger Michel - plus obendrauf der Schiefe Turm von Pisa und noch ein Zehn-Meter-Sprungturm aus dem Freibad. Zwei weitere Windräder stehen gleich nebenan. Höher sollten die Anlagen auf keinen Fall werden, das war allen in dem Dorf nahe Lüneburg wichtig.
In Thomasburg mit seinen etwa 450 Einwohnern im Ortskern sind in den zurückliegenden Jahrzehnten viele Bauernhöfe aufgegeben worden. Und die wenigen Landwirte, die es noch im Ort gibt, haben offenbar zu knapsen. Bei den trockenen, eher nicht so fruchtbaren Böden ist es schwierig, Gewinne einzufahren. Da ist es wie ein kleiner Lottogewinn, wenn die eigene Fläche vom Landkreis als mögliche Windkraft-Fläche ausgewiesen wird. So wie bei Frank Lüßmann.
Gegen Atomkraft - also für Windenergie
Dass sich Lüßmann vor zehn Jahren gegen den Bau einer Anlage in der Region eingesetzt hat, sei nichts Grundsätzliches gewesen, sagt er. "2013 ging es darum, dass mit unsinnigen Begründungen die Ausweisung dieser Windrad-Fläche bevorzugt wurde vor anderen Flächen, die nach meiner festen Überzeugung geeigneter waren", erklärt Lüßmann seine damalige Haltung. "Aber im Grunde war mir sehr früh klar, dass, wenn ich gegen Gorleben und gegen die Atomenergie demonstriere, es als Ersatz die Windenergie geben sollte."
"Die kleinen Kinder sollen später hier weiter leben können"
Aber auch die Klimakrise hat bei ihm zu einem Umdenken geführt. "Mir ist in diesen vergangenen zehn Jahren klarer geworden, dass der Klimawandel tatsächlich so gravierend und so dicht vor der Hautür ist", sagt Lüßmann. "Ich weiß, was meine Generation auf dieser Erde alles versaut hat." Er hat zwei kleine Enkelinnen, von denen eine in die Kita in Thomasburg geht. "Ich sehe, dass unser Dorf viele kleine Kinder hat, der Kindergarten ist gut besucht, und für diese kleinen Menschen möchte ich gern, dass sie sich hier wohlfühlen können und weiter hier leben können. Das ist Motivation genug."
Jährlich 50.000 Euro für den Förderverein im Ort
So wie Lüßmann denken wohl viele im Ort. Zumindest gibt es bislang keine größeren Proteste gegen die drei Windräder, keine Klagen. Das hat wohl auch an einer besonderen Idee gelegen: dem Förderverein "Frische Brise". Der Verein erhält vom Windpark-Betreiber 50.000 Euro im Jahr - und dieses Geld kann er an Vereine und Institutionen im Dorf verteilen. So sollen möglichst viele Menschen von dem Geld und von den Windrädern profitieren. Eine Bürgerbeteiligung hingegen kam für Frank Lüßmann und die anderen Eigentümer nicht infrage. Denn da hätte nur teilhaben können, wer ein paar Zehntausend Euro auf der hohen Kante hat. Also gibt es nun den Förderverein: Über 20 Jahre gesehen wird er eine Million Euro im Dorf verteilen.
Eine neue Wasserpumpe für den Friedhof
Das erste Geld ist schon geflossen - sogar vor dem Start der Anlagen. Bislang profitierten zum Beispiel der Kindergarten mit einer Theatervorführung und die Kirche. "Im Friedhof war die Wasserpumpe defekt - für die Menschen, die Grabstellen bewässern wollen", berichtet Lüßmann. Und so wurde der Austausch der Pumpe gefördert. Zudem gab es für den Kirchenchor und die Friedhofskapelle eine neue Soundanlage. "Das sind Dinge, die auch hörbar oder sichtbar sind."
Welches Projekt im Dorf unterstützt wird, entscheiden die Grundstückseigentümer, auf deren Fläche die drei Windräder stehen. Nur sie haben im Verein "Frische Brise" Stimmrecht, wenn es um die Verteilung der Gelder geht.
Besser als eine Bürgerbeteiligung
Windpark-Expertin Gundula Hübner hält einen Förderverein wie in Thomasburg für eine bessere Idee als eine Bürgerbeteiligung nur für Gutbetuchte. "Es ist gut, wenn die Menschen vor Ort wahrnehmen, was die Windräder für Vorteile bringen. Und Beteiligungsmöglichkeiten müssen, wenn sie angeboten werden, eben auch für alle machbar sein. Also nicht nur für diejenigen, die ein höheres Einkommen haben. Das wäre ungerecht. Und das ist ein wichtiger Punkt."
Hübner ist Psychologie-Professorin an der Universität Halle und an der MSH Medical School in Hamburg. Sie forscht seit Jahrzehnten zur Akzeptanz von Windkraft und hat dafür in vielen Projekten mit Menschen vor Ort gearbeitet.
Sie berichtet, dass allgemein die Akzeptanz von Windrädern sehr hoch sei in der Bevölkerung. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage von Forsa: Demnach wollen mehr als 80 Prozent der Befragten, dass die Windenergie noch weiter ausgebaut wird. Und 75 Prozent haben keine großen Bedenken gegen Windparks selbst in ihrer direkten Nachbarschaft. Und wo sich schon Windräder drehen, liegt die Zustimmung noch höher: bei 84 Prozent.
"Ganz schön viel Geld für unsere kleine Gemeinde"
Das Dorf Thomasburg profitiert finanziell aber nicht nur von dem Förderverein. Hinzu kommen die "normale" Gewerbesteuer - und auch noch die gesetzlich möglichen 0,2 Cent pro Kilowattstunde für alle Kommunen im Umkreis von 2,5 Kilometern. Über den Geldregen freut sich Bürgermeister Dieter Schröder. "Zusätzlich zu den 50.000 Euro für den Förderverein können wir bis zu 30.000 Euro pro Windrad bekommen. Das bedeutet ganz schön viel für unsere relativ kleine Gemeinde." Allein für den Kindergarten, den sich Thomasburg leistet, fällt jedes Jahr ein Zuschuss in Höhe von mehr als 300.000 Euro an.
Kommen die Beschwerden erst noch?
Bürgermeister Schröder ist gespannt, wie die Bewohner die Windräder am Ortsrand annehmen. "Die Anlagen stehen ja erst seit Kurzem", sagt er. "Ich weiß nicht, was eventuell für Beschwerden kommen, wenn sie sich drehen."
Und tatsächlich ist nicht allen im Ort geheuer, wenn sie an die Windräder denken. "Wovor ich Angst habe, ist, dass man im eigenen Wohnraum nicht mehr wohnen kann", sagt eine Bewohnerin. "Was ist dann? Wer würde dann unser Haus kaufen, wenn ich hier nicht mehr leben könnte?" Die 50.000 Euro im Jahr für den Förderverein stimmen sie nicht milde. Das sei Augenwischerei, so die Frau. Und das Angebot des Fördervereins, den Einbau von Lärmschutz-Fenstern mit 1.000 Euro zu bezuschussen, bezeichnet sie als "Witz".
"Das wäre vom Gefühl her ganz anders"
Was dem Windenergie-Projekt in Thomasburg sicher gut getan hätte: Wenn die Einwohner verbilligten Strom aus dem Windpark bekommen würden. Ursprünglich war dies auch die Idee. Aber mit den Turbulenzen auf dem Strommarkt in jüngster Zeit ist daraus nichts geworden. Der Bürgermeister bedauert dies. "Mir gefällt nicht, dass der Ort oder die Bürger nicht direkt von der Stromerzeugung finanziell profitieren können", sagt Schröder. Mitstreiter Frank Lüßmann hat mal überschlagen, dass eine Windanlage, die für 12.000 Haushalte Strom produziert, Strom für 150 bis 200 Haushalte abzweigen könnte. "Und dann bekommen die Menschen hier den Strom, der hier hergestellt wird, für einen geringeren Preis. Dann wäre das sicherlich für viele vom Gefühl her ganz anders."
Weitere Windräder könnten folgen - und dann?
Zumal bald noch mehr Windräder in der Umgebung von Thomasburg hinzukommen könnten. So sehen es zumindest die aktuellen Ausweisungen von neuen Windkraft-Flächen vor. Die Vorhaben könnten den "Windrad-Frieden" im Ort auf eine harte Probe stellen.
"Der Landkreis plant, 4,7 Prozent der Landkreis-Fläche mit Windkrafträdern zu belegen", sagt Schröder. "Wenn das kommt, und wir haben wieder große Flächen in der neuen Planung, wollen wir nicht mitmachen. Da bin ich jedenfalls dagegen." Es ist eben etwas anderes, ob sich am Ortsrand nur drei Windräder drehen oder eines Tages 30 Anlagen.