Frank Lüßmann steht vor einem Windrad. © NDR Foto: Anna Marohn
Frank Lüßmann steht vor einem Windrad. © NDR Foto: Anna Marohn
Frank Lüßmann steht vor einem Windrad. © NDR Foto: Anna Marohn
AUDIO: Neue Windräder fürs Dorf - und alle profitieren (34 Min)

Drei Windräder und kein Protest: Das Erfolgsrezept von Thomasburg

Stand: 10.04.2023 06:50 Uhr

In Thomasburg drehen sich seit Neuestem drei Windräder am Ortsrand. Niemand aus dem Dorf in Niedersachsen hat dagegen geklagt. Und die Genehmigung war in weniger als einem Jahr durch. Wie lautet das Erfolgsrezept?

von Anna Marohn, Arne Schulz und Marc-Oliver Rehrmann

Dass ausgerechnet auf seinem Acker einmal ein Windrad stehen würde, das hätten viele in Thomasburg vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten. Denn damals hatte Frank Lüßmann sich noch gegen solche Anlagen in der Umgebung der kleinen Gemeinde in Niedersachsen gewandt.

Lüßmann ist Oberstudienrat im Ruhestand - und inzwischen eine Art Botschafter für Windkraft. "Wir wollen die Energiewende und wir sehen, dass es sein muss. Das Wichtigste für uns im Ort war, dass alle gesagt haben: Wenn etwas kommt, dann machen wir es nur alle gemeinsam", sagt Lüßmann im NDR Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise".

Drei 200 Meter hohe Windräder drehen sich auf Acker

Windräder in Thomasburg © Frank Lüßmann
Drei Windräder drehen sich seit Kurzem in Thomasburg. Protest gab es gegen sie nicht.

Seit Kurzem steht auf seinem Acker ein Windrad, 200 Meter hoch. Das ist so hoch wie der Hamburger Michel - plus obendrauf der Schiefe Turm von Pisa und noch ein Zehn-Meter-Sprungturm aus dem Freibad. Zwei weitere Windräder stehen gleich nebenan. Höher sollten die Anlagen auf keinen Fall werden, das war allen in dem Dorf nahe Lüneburg wichtig.

In Thomasburg mit seinen etwa 450 Einwohnern im Ortskern sind in den zurückliegenden Jahrzehnten viele Bauernhöfe aufgegeben worden. Und die wenigen Landwirte, die es noch im Ort gibt, haben offenbar zu knapsen. Bei den trockenen, eher nicht so fruchtbaren Böden ist es schwierig, Gewinne einzufahren. Da ist es wie ein kleiner Lottogewinn, wenn die eigene Fläche vom Landkreis als mögliche Windkraft-Fläche ausgewiesen wird. So wie bei Frank Lüßmann.

Gegen Atomkraft - also für Windenergie

Dass sich Lüßmann vor zehn Jahren gegen den Bau einer Anlage in der Region eingesetzt hat, sei nichts Grundsätzliches gewesen, sagt er. "2013 ging es darum, dass mit unsinnigen Begründungen die Ausweisung dieser Windrad-Fläche bevorzugt wurde vor anderen Flächen, die nach meiner festen Überzeugung geeigneter waren", erklärt Lüßmann seine damalige Haltung. "Aber im Grunde war mir sehr früh klar, dass, wenn ich gegen Gorleben und gegen die Atomenergie demonstriere, es als Ersatz die Windenergie geben sollte."

"Die kleinen Kinder sollen später hier weiter leben können"

Die Kirche in Thomasburg. © NDR Foto: Anna Marohn
In Thomasburgs Dorfkern wohnen etwa 450 Menschen. Viele Bauernhöfe sind in den vergangenen Jahrzehnten aufgegeben worden.

Aber auch die Klimakrise hat bei ihm zu einem Umdenken geführt. "Mir ist in diesen vergangenen zehn Jahren klarer geworden, dass der Klimawandel tatsächlich so gravierend und so dicht vor der Hautür ist", sagt Lüßmann. "Ich weiß, was meine Generation auf dieser Erde alles versaut hat." Er hat zwei kleine Enkelinnen, von denen eine in die Kita in Thomasburg geht. "Ich sehe, dass unser Dorf viele kleine Kinder hat, der Kindergarten ist gut besucht, und für diese kleinen Menschen möchte ich gern, dass sie sich hier wohlfühlen können und weiter hier leben können. Das ist Motivation genug."

Jährlich 50.000 Euro für den Förderverein im Ort

So wie Lüßmann denken wohl viele im Ort. Zumindest gibt es bislang keine größeren Proteste gegen die drei Windräder, keine Klagen. Das hat wohl auch an einer besonderen Idee gelegen: dem Förderverein "Frische Brise". Der Verein erhält vom Windpark-Betreiber 50.000 Euro im Jahr - und dieses Geld kann er an Vereine und Institutionen im Dorf verteilen. So sollen möglichst viele Menschen von dem Geld und von den Windrädern profitieren. Eine Bürgerbeteiligung hingegen kam für Frank Lüßmann und die anderen Eigentümer nicht infrage. Denn da hätte nur teilhaben können, wer ein paar Zehntausend Euro auf der hohen Kante hat. Also gibt es nun den Förderverein: Über 20 Jahre gesehen wird er eine Million Euro im Dorf verteilen.

Eine neue Wasserpumpe für den Friedhof

Das erste Geld ist schon geflossen - sogar vor dem Start der Anlagen. Bislang profitierten zum Beispiel der Kindergarten mit einer Theatervorführung und die Kirche. "Im Friedhof war die Wasserpumpe defekt - für die Menschen, die Grabstellen bewässern wollen", berichtet Lüßmann. Und so wurde der Austausch der Pumpe gefördert. Zudem gab es für den Kirchenchor und die Friedhofskapelle eine neue Soundanlage. "Das sind Dinge, die auch hörbar oder sichtbar sind."

Welches Projekt im Dorf unterstützt wird, entscheiden die Grundstückseigentümer, auf deren Fläche die drei Windräder stehen. Nur sie haben im Verein "Frische Brise" Stimmrecht, wenn es um die Verteilung der Gelder geht.

Weitere Informationen
Mehrere Windräder stehen auf einem Feld vor orangerotem Himmel. © picture alliance/dpa | Patrick Pleul Foto: Patrick Pleul

Windenergie-Ausbau im Norden nimmt Fahrt auf

Der Ausbau von Windrädern an Land kommt aus Branchensicht voran - vor allem im Norden. Der Süden Deutschlands hinkt aber hinterher. mehr

Wie läuft der Ausbau von Windenergie an Land?

Strom aus Wind ist schon heute sehr wichtig in Deutschland. Der Anteil an der gesamten Stromerzeugung lag im Jahr 2022 bei mehr als 20 Prozent - der größte Anteil kam dabei von Windrädern an Land. Trotzdem läuft der Ausbau der Windkraft an Land im Moment viel zu langsam. Ungefähr zweieinhalb Gigawatt Leistung kamen im Jahr 2022 dazu. Fast das Vierfache wäre nötig, um die Klimaziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen. Erste Maßnahmen für mehr Tempo sind beschlossen: Die Bundesländer müssen jetzt viele neue Flächen für die Windkraft ausweisen. Die Bundesregierung hat das "überragende öffentliche Interesse" der Erneuerbaren Energien im Gesetz festgeschrieben. Das soll vor Gericht und bei Behörden helfen, denn laut einer Analyse von 2019 wurde damals etwa ein Fünftel der Projekte durch Klagen verzögert. Aber auch ohne Klagen ist die Genehmigung oft zäh - durchschnittlich zwei Jahre brauchen die Behörden im Moment. Grob zwei weitere Jahre vergehen im Schnitt, bis ein Windrad in Betrieb ist.

Besser als eine Bürgerbeteiligung

Windpark-Expertin Gundula Hübner hält einen Förderverein wie in Thomasburg für eine bessere Idee als eine Bürgerbeteiligung nur für Gutbetuchte. "Es ist gut, wenn die Menschen vor Ort wahrnehmen, was die Windräder für Vorteile bringen. Und Beteiligungsmöglichkeiten müssen, wenn sie angeboten werden, eben auch für alle machbar sein. Also nicht nur für diejenigen, die ein höheres Einkommen haben. Das wäre ungerecht. Und das ist ein wichtiger Punkt."

Hübner ist Psychologie-Professorin an der Universität Halle und an der MSH Medical School in Hamburg. Sie forscht seit Jahrzehnten zur Akzeptanz von Windkraft und hat dafür in vielen Projekten mit Menschen vor Ort gearbeitet.

Weitere Informationen
Zahlreichen Windkraftanlagen stehen auf einem Feld in Schleswig-Holstein bei strahlender Sonne leich bewölktem Himmel. © imago images / penofoto

"Für Windparks gibt es eine sehr hohe Zustimmung"

Bei Windenergie-Projekten entsteht häufig das Bild, dass eine Mehrheit dagegen ist. Aber dem ist nicht so, sagt Umweltpsychologin Gundula Hübner. mehr

Sie berichtet, dass allgemein die Akzeptanz von Windrädern sehr hoch sei in der Bevölkerung. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage von Forsa: Demnach wollen mehr als 80 Prozent der Befragten, dass die Windenergie noch weiter ausgebaut wird. Und 75 Prozent haben keine großen Bedenken gegen Windparks selbst in ihrer direkten Nachbarschaft. Und wo sich schon Windräder drehen, liegt die Zustimmung noch höher: bei 84 Prozent.

"Ganz schön viel Geld für unsere kleine Gemeinde"

Das Dorf Thomasburg profitiert finanziell aber nicht nur von dem Förderverein. Hinzu kommen die "normale" Gewerbesteuer - und auch noch die gesetzlich möglichen 0,2 Cent pro Kilowattstunde für alle Kommunen im Umkreis von 2,5 Kilometern. Über den Geldregen freut sich Bürgermeister Dieter Schröder. "Zusätzlich zu den 50.000 Euro für den Förderverein können wir bis zu 30.000 Euro pro Windrad bekommen. Das bedeutet ganz schön viel für unsere relativ kleine Gemeinde." Allein für den Kindergarten, den sich Thomasburg leistet, fällt jedes Jahr ein Zuschuss in Höhe von mehr als 300.000 Euro an.

Weitere Informationen
Gunter Erfurt steht vor einer Wand mit Solarmodulen der Firma Meyer Burger.  Foto: Klaas-Wilhelm Brandenburg

Was für einen neuen Boom der Solarbranche spricht

Solarstrom wird künftig in Deutschland immer bedeutender. Die Firma Meyer Burger setzt im Wettbewerb mit China auf eine neuartige Technologie. mehr

Kommen die Beschwerden erst noch?

Bürgermeister Schröder ist gespannt, wie die Bewohner die Windräder am Ortsrand annehmen. "Die Anlagen stehen ja erst seit Kurzem", sagt er. "Ich weiß nicht, was eventuell für Beschwerden kommen, wenn sie sich drehen."

Und tatsächlich ist nicht allen im Ort geheuer, wenn sie an die Windräder denken. "Wovor ich Angst habe, ist, dass man im eigenen Wohnraum nicht mehr wohnen kann", sagt eine Bewohnerin. "Was ist dann? Wer würde dann unser Haus kaufen, wenn ich hier nicht mehr leben könnte?" Die 50.000 Euro im Jahr für den Förderverein stimmen sie nicht milde. Das sei Augenwischerei, so die Frau. Und das Angebot des Fördervereins, den Einbau von Lärmschutz-Fenstern mit 1.000 Euro zu bezuschussen, bezeichnet sie als "Witz".

"Das wäre vom Gefühl her ganz anders"

Was dem Windenergie-Projekt in Thomasburg sicher gut getan hätte: Wenn die Einwohner verbilligten Strom aus dem Windpark bekommen würden. Ursprünglich war dies auch die Idee. Aber mit den Turbulenzen auf dem Strommarkt in jüngster Zeit ist daraus nichts geworden. Der Bürgermeister bedauert dies. "Mir gefällt nicht, dass der Ort oder die Bürger nicht direkt von der Stromerzeugung finanziell profitieren können", sagt Schröder. Mitstreiter Frank Lüßmann hat mal überschlagen, dass eine Windanlage, die für 12.000 Haushalte Strom produziert, Strom für 150 bis 200 Haushalte abzweigen könnte. "Und dann bekommen die Menschen hier den Strom, der hier hergestellt wird, für einen geringeren Preis. Dann wäre das sicherlich für viele vom Gefühl her ganz anders."

Weitere Windräder könnten folgen - und dann?

Zumal bald noch mehr Windräder in der Umgebung von Thomasburg hinzukommen könnten. So sehen es zumindest die aktuellen Ausweisungen von neuen Windkraft-Flächen vor. Die Vorhaben könnten den "Windrad-Frieden" im Ort auf eine harte Probe stellen.

"Der Landkreis plant, 4,7 Prozent der Landkreis-Fläche mit Windkrafträdern zu belegen", sagt Schröder. "Wenn das kommt, und wir haben wieder große Flächen in der neuen Planung, wollen wir nicht mitmachen. Da bin ich jedenfalls dagegen." Es ist eben etwas anderes, ob sich am Ortsrand nur drei Windräder drehen oder eines Tages 30 Anlagen.

Weitere Informationen
Bei der offiziellen Inbetriebnahme des Bohrturms zur Gewinnung von Erdwärme für die Stadt Schwerin stehen die Gäste neben der Anlage. © dpa Foto: Rainer Jensen

Wie Tiefengeothermie klimafreundliches Heizen ermöglicht

Die Nutzung von Erdwärme könnte auch im Norden eine große Rolle bei der Energiewende einnehmen. Schwerin macht vor, wie es geht. mehr

Gisela und Kerstin Kopp stehen nebeneinander vor einer Haustür. © NDR Info Foto: Nadja Mitzkat

Wie eine Rentnerin ihr Haus fürs Klima umrüstet

Viele Norddeutsche haben zuletzt bei sich zu Hause in klimaschonende Technologien investiert. Gisela Kopp aus Schwerin hat sich eine Solaranlage gekauft. mehr

Sven Hensel, Busfahrer Autokraft steht neben einem Wasserstoffbus an der Wasserstofftankstelle in Niebüll. © Anna Loll Foto: Anna Loll

Wie ein nordfriesisches Dorf die Verkehrswende angeht

Der Ort Klixbüll setzt auf Wasserstoff- und Elektro-Busse sowie Carsharing mit E-Autos. Ist das ein Vorbild für klimaschonende Mobilität abseits der Großstädte? mehr

Bei einer Klimastreik-Demo in Hamburg hält ein Junge eine Erdkugel, die weint. © Marcus Brandt/dpa

Der Klimawandel und der Norden

Die weltweite Klimakrise trifft auch Norddeutschland. Wie kann die Energiewende gelingen? Welches sind die besten Lösungen? mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Mission Klima – Lösungen für die Krise | 06.04.2023 | 20:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Klimaschutz

Windenergie

Energiewende

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Ein Fahrer der Verkehrsgesellschaft Rheinbahn ist im Rückspiegel zu sehen, während er einen Bus durch die Stadt steuert. © picture alliance Foto: Oliver Berg

Bye bye, Babyboomer! In diesen Jobs werden sie fehlen

Die geburtenstarken Jahrgänge gehen nach und nach in Rente. Wo im Norden und in welchen Branchen wird der Mangel am stärksten spürbar? mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?