Ein Wohnhaus im Hamburger Stadtteil St. Georg. Dort wohnt ein 28-Jähriger, der verdächtigt wird, einen Anschlag geplant zu haben. © Screenshot

ARD-Terrorismusexperte: Nachrichtendienst vereitelte Anschlag

Stand: 26.04.2023 11:37 Uhr

Ein 28-jähriger mutmaßlicher Islamist soll in Hamburg einen Terroranschlag mit einem selbst gebauten Sprengstoffgürtel geplant haben. Er sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Einschätzungen und Hintergründe vom ARD-Terrorismus-Experten Michael Götschenberg.

Der in Hamburg festgenommene Mann ist der Hauptbeschuldigte. Was wissen die Ermittler inzwischen über ihn und seine Absichten?

Michael Götschenberg: Der Mann ist vor einigen Jahren als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland gekommen. Wie in den vergangenen Jahren häufig schon hat es an die deutschen Sicherheitsbehörden einen Hinweis gegeben - von einem ausländischen Nachrichtendienst nach meinen Informationen. Ich gehe davon aus, dass es die Amerikaner waren. Die betreiben besonders intensives Internet-Monitoring. So bekommen sie mit, wenn eine Person im Internet versucht, Dinge zu bestellen, die man gebrauchen kann, um einen Anschlag durchzuführen. Das ist auch in diesem Fall so gewesen. Nach allem, was ich gehört habe, waren er und sein Bruder bisher nicht auf dem Radar der Sicherheitsbehörden als islamistische Extremisten. Der 28-Jährige soll die Absicht gehabt haben, diesen Anschlag im Namen des "Islamischen Staats" (IS) zu verüben.

Blaues Warnlicht eines Polizeiautos © panthermedia Foto: Chalabala
AUDIO: Terrorverdacht: 28-Jähriger nach Festnahme in Untersuchungshaft (3 Min)

Wie weit waren die Vorbereitungen für diesen Anschlag gediehen?

ARD-Experte für Terrorismus und Innere Sicherheit, Michael Götschenberg. © ARD-Hauptstadtstudio Foto: Gundula Krause
Der ARD-Experte für Terrorismus, Michael Götschenberg, schätzt die Bedrohungslage großer islamistischer Anschläge in Deutschland für geringer ein als noch vor ein paar Jahren.

Götschenberg: Die waren noch nicht sehr weit gediehen. Es ist den Sicherheitsbehörden wieder einmal gelungen, so eine Anschlagsplanung in einem sehr frühen Stadium zu durchkreuzen. Man schaut sich eine Weile lang an, was da passiert. Und wenn man der Überzeugung ist, dass man gerichtsfest nachweisen kann, dass es tatsächlich darum geht, einen Anschlag zu verüben, dann greift man zu, um kein weiteres Risiko einzugehen. Aber offenbar ist es so gewesen, dass noch nicht klar war, wo dieser Anschlag verübt werden sollte. Geplant war aber offenbar ein Selbstmordanschlag mit einem Sprengstoff.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat gestern gesagt, die hohe Zahl an Ermittlungsverfahren zeige eben auch, dass Deutschland weiter im unmittelbaren Zielspektrum islamistischer Terrororganisationen stehe. Islamistisch motivierte Einzeltäter seien eine weitere erhebliche Gefahr. Was bedeutet dieses "erheblich"? Hat sich etwas verändert in den vergangenen Jahren?

Götschenberg: Ja, grundsätzlich ist die Gefahr zumindest großer, komplexer, islamistisch motivierte Anschläge in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Wir erinnern uns: 2015 gab es den großen Anschlag in Paris, gesteuert vom IS. Damals wurden sogar Attentäter vom IS nach Frankreich geschickt, um diesen Anschlag durchzuführen. 130 Tote im Konzerthaus Bataclan in der Pariser Innenstadt: Das war der traurige Höhepunkt dieser islamistischen Terrorwelle, die mit dem IS verbunden ist.

Wir hatten in Deutschland diverse Anschläge von Einzeltätern. Der bekannteste ist der auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz. Seitdem hat die Anschlagsdichte deutlich nachgelassen. Häufig erinnern wir uns gar nicht mehr, weil die Pläne früh durchkreuzt und Anschläge dadurch verhindert werden konnten - wie in Castrop-Rauxel vor einigen Monaten. Da ging es darum, einen Anschlag mit hochgiftigem Rizin zu verüben. Aber das alles findet eben nach wie vor statt, und man muss damit rechnen. Und schlimmstenfalls, wie wir jetzt in Duisburg sehen, wo es mutmaßlich einen ähnlichen Hintergrund gehabt haben könnte, können diese Personen auch gelegentlich mal erfolgreich sein.

Aber heißt das im Grunde auch, dass die Zusammenarbeit der Behörden inzwischen besser funktioniert, dass man diese Bedrohungslage besser und schneller in den Griff bekommt?

Götschenberg: Insgesamt muss man sagen, dass die Behörden die Szene sehr gut im Visier haben. Die Fälle, wo es dann eben tatsächlich auch mal ein gewisses Stadium erreicht, sind Fälle wie offenbar jetzt auch hier in Hamburg, wo es um Personen geht, die man bisher nicht wahrgenommen hat als islamistische Extremisten. Häufig haben wir es mit psychisch auffälligen Personen zu tun, wo jetzt auch die Frage ist, inwieweit man da den Austausch zwischen Gesundheitsämtern und den Sicherheitsbehörden intensivieren muss, um auch solche Leute zumindest auf dem Radar zu haben. Aber grundsätzlich ist es tatsächlich so, dass die Sicherheitsbehörden durchaus erfolgreich waren beim Monitoring der islamistischen Szene in den vergangenen Jahren.

Das Interview führte Liane Koßmann, NDR Info.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 26.04.2023 | 08:23 Uhr

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