Traurig: Das Leben der Flüchtlingskinder
Ruda Alissa hat alles verloren. Ihr Mann wurde vor ihren Augen erschossen, ihr Haus ist zerbombt. Mit ihren sechs Kindern floh Alissa nach Ägypten. Dort musste sie die drei Älteren zurücklassen, Alissas Erspartes reichte nur für die Flucht mit den drei jüngsten Kindern. 10.000 Dollar hat sie den Schleppern bezahlt. Zumindest die Kleinen sollen hier in Deutschland eine Zukunft haben.
"Das hat meine Seele kaputt gemacht"
Doch als Ruda Alissa mit den drei Kindern vor eineinhalb Wochen im Flüchtlingsheim in Hamburg ankam, war sie geschockt. "Was ich da in diesem Heim erlebt habe, hat meine Seele kaputt gemacht", erzählt die Mutter, "das sind keine guten Zustände für Kinder. Die haben uns schlecht behandelt." Denn für traumatisierte Kinder hat das Sicherheitspersonal in der Erstaufnahmestelle offenbar wenig Verständnis: "Einmal hat mein kleiner Bruder zum Spaß an eine falsche Tür geklopft, dann hat uns eine Frau aus dem Speisesaal rausgeworfen. Wir haben dann an diesem Tag kein Mittag- und kein Abendessen mehr bekommen", berichtet der 12-jährige Raduan.
Ohne Schule und Spielzeug
Dass die Kinder im Flüchtlingsheim unruhig werden, überrascht nicht. Platz zum Spielen gibt es kaum, auch Spielzeug fehlt. Raduan hätte gern sein Fahrrad wieder, sein achtjähriger Bruder Mesra wünscht sich Rollerskates, die sechsjährige Schwester Ranim vermisst ihre Barbiepuppe. Das Spielzeug der Kinder liegt unter einem Trümmerhafen in Syrien begraben, wo einmal ihr Haus stand. Was der Mutter aber viel mehr Sorgen bereitet als fehlendes Spielzeug, ist fehlende Bildung. Die würde in den Flüchtlingsunterkünften viel zu kurz kommen.
Peter Albrecht, Pressesprecher der Hamburger Schulbehörde antwortet auf Nachfrage von Panorama 3, dass es in Hamburg in Erstaufnahmestellen Lerngruppen für die Flüchtlingskindern gebe, in denen sie ohne Wartezeit von Lehrern und Sozialpädagogen unterrichtet würden. Sobald für die Flüchtlinge ein dauerhafter Wohnort gefunden sei, würden Kinder bis zur zweiten Klasse direkt eingeschult, ältere Schüler würden in gesonderten Klassen auf die Schule vorbereitet. Flüchtlingskinder, die nicht beschult werden, seien der Schulbehörde nicht bekannt, schreibt Albrecht.
Deutsch im Selbststudium
Eines der Flüchtlingskinder in Hamburg ist die 14-jährige Rawan. Sie kommt ebenfalls aus Syrien, ihre Mutter ist mit ihr und dem neunjährigen Ruad im Sommer aus Damaskus geflohen. Über den Libanon, die Türkei und Italien schafften es die drei nach Deutschland. Der Vater und der 15-jährige Sohn sind noch in der Türkei. Auch Rawan leidet unter der Langeweile im Flüchtlingslager. Das letzte Mal, dass sie eine Schule besuchte, war in Syrien. Das ist mittlerweile fünf Monate her. "Ich möchte Deutsch lernen und meine Zeit nicht verschwenden", sagt sie. Wie ernst es ihr mit der Bildung ist, demonstriert sie gern: Im Internet hat sie sich die ersten deutschen Wörter selbst beigebracht, zählt bis zehn, kann die Wochentage auswendig, und antwortet gern mit "ja" oder "nein", auch wenn ihr Fragen auf Englisch gestellt werden.
Rawans Mutter Ruba Sharfly lächelt stolz über ihre eifrige Tochter. Doch wenn sie an die Situation in ihrer neuen Unterkunft denkt, graben sich wieder Sorgenfalten in ihr Gesicht. Mit 15 anderen Menschen, überwiegend Männern, teilt sich die kleine Familie ein Zimmer mit Stockbetten. Da gebe es keine Privatsphäre, erzählt Sharfly, die Kinder fühlten sich ständig beobachtet. Schwierig sei es auch, sich einfach mal kurz umzuziehen, denn immer seien fremde Männer im Raum.
Es sind zwei Familien, die auf der Flucht aus Syrien auseinandergerissen wurden, zwei Mütter, die auf Sicherheit für ihre Kinder in Deutschland hoffen. Alle sind sie in Hamburg gestrandet, dankbar für ihr Leben, aber frustriert von Perspektivlosigkeit und der Enge im Flüchtlingslager. Und das Problem dürfte sich noch weiter verschärfen. Nach Angaben der Schulbehörde werden bis Ende des Jahres 25.800 Flüchtlinge nach Hamburg gekommen sein. 2012 waren es noch rund 19.000. Und auch die Zahl der schulpflichtigen Flüchtlingskinder in der Stadt steigt immer weiter - seit 2012 nahm ihre Anzahl um 900 zu.