"Scharlatanerie?": Scharfe Kritik an Krebsvorsorge-Versicherung

Stand: 19.07.2023 06:00 Uhr

Die Hamburger Versicherung HanseMerkur wirbt für eine Police, mit der Patientinnen und Patienten jährlich einen Bluttest auf Krebs machen können. Auch der Kaffeeröster Tchibo ist an der Vermarktung beteiligt. Die Werbekampagne stößt aber unter anderem bei der Krebsgesellschaft auf scharfe Kritik.

von Nikolaus Nützel

Seit einigen Wochen sind in einem Werbespot, den das Versicherungsunternehmen HanseMerkur im Fernsehen und auf Social Media verbreitet, Schauspieler zu sehen. Sie spielen Menschen, die nahe Angehörige durch Lungenkrebs, Darmkrebs, Brustkrebs oder Magenkrebs verloren haben. Damit wirbt der Privatversicherer für ein Versicherungspaket namens "Krebs-Scan". Darin ist ein jährlicher Bluttest auf Krebs (PanTum Detect) enthalten, sowie anschließende Untersuchungen etwa mit Positronen-Emissions-Tomographie, kurz PET/CT, falls der Test einen auffälligen Befund ergibt.

Eine mit Blut gefüllte Spritze wird in ein Reagenzglas gesteckt. © picture alliance / Westend61 | Andrew Brookes
AUDIO: Kritik an Krebsvorsorge-Versicherung der HanseMerkur (1 Min)

Die Firma Zyagnum AG aus Darmstadt, die den Test entwickelt hat, erklärt in einer schriftlichen Stellungnahme, mit PanTum Detect sei es möglich, Krebs früher zu erkennen, und erklärt wörtlich: "Daher bezweifeln wir nicht, dass mit Krebs-Scan Menschenleben gerettet werden."

Studie der Uniklinik Hamburg-Eppendorf als Beleg

Das Gebäude der HanseMerkur Versicherungsgruppe in Hamburg © picture alliance/dpa Foto: Daniel Reinhardt
HanseMerkur wirbt für den Bluttest im Fernsehen und bei Social Media.

Die Wirksamkeit des Tests sei in mehr als 60 Veröffentlichungen belegt, erklärt Zyagnum. Eine davon wurde am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) erstellt. Sie spielt in den Informationen der HanseMerkur zum Versicherungspaket "Krebs-Scan" eine wichtige Rolle. In einer schriftlichen Antwort an den Bayerischen Rundfunk erklärt die Versicherung: "Uns hat jedoch insbesondere die unabhängige Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf unter der Leitung von Prof. Dr. Smeets mit über 5.000 symptomlosen Patienten (aus Mai 2022) davon überzeugt, mit Krebs-Scan einen Beitrag zu leisten, die Lücke in der aktuellen Früherkennung zu schließen."

"Scharlatanerie"-Vorwurf aus der Krebsgesellschaft

Wenn man bei der Deutschen Krebsgesellschaft nachfragt, wie man dort zu dem Bluttest auf Krebs steht, wird die Kontaktaufnahme mit Jutta Hübner empfohlen. Sie ist Medizinprofessorin an der Uni Jena und leitet in der Krebsgesellschaft die Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie. Ihrer Ansicht nach erfüllt die Studie der Hamburger Uniklinik grundlegende wissenschaftliche Standards nicht. Vor allem liefere sie keine Belege, dass Menschen, bei denen der Bluttest ein positives Ergebnis hat, deshalb besser behandelt oder gar geheilt werden können.

Hübner fällt deshalb ein vernichtendes Urteil über die UKE-Studie und über das Versicherungspaket der HanseMerkur, bei dem diese Studie eine zentrale Rolle spielt: "Es ist Scharlatanerie." Denn in den Augen der Medizinprofessorin wird ein Produkt vermarktet, "ohne einen Nachweis einer Wirksamkeit, eines positiven Ergebnisses".

Vermeintlich unabhängige Studie vom Test-Hersteller finanziert

Die von Jutta Hübner kritisierte UKE-Studie ist nach Aussage der Versicherung HanseMerkur "unabhängig". Finanziert hat sie aber die Zyagnum AG, der Hersteller des Krebs-Bluttests PanTum Detect, der im Mittelpunkt des Versicherungspakets der Hanse Merkur steht. Zyagnum bestätigt, dass die Firma die Studie bezahlt hat. Über die genaue Höhe der Fremdfinanzierung macht das Unternehmen keine Angaben. Auch das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf macht dazu keine Angaben.

Kein Hinweis auf Fremdfinanzierung

Der Eingang des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. © picture alliance / dpa
Das UKE äußert sich zunächst nicht. Es will die Vorgänge intern prüfen.

In dem wissenschaftlichen Aufsatz, der die Ergebnisse der UKE-Studie zusammenfasst, gab es bei der Veröffentlichung keinen Hinweis darauf, dass Geld an die Universitätsklinik geflossen ist. Bei medizinischen Veröffentlichungen gilt ein solcher Hinweis als zwingend. Auch in den Autoren-Richtlinien des "Journal of Clinical and Medical Images", in dem die Studie veröffentlicht wurde, steht: "Den Artikeln muss eine Offenlegung von Interessenkonflikten beigefügt werden." Erst nach den Recherchen des Bayerischen Rundfunks wurde ein Hinweis auf die Fremdfinanzierung eingefügt, 14 Monate nach der Erst-Veröffentlichung der Studie.

Die Uniklinik Hamburg-Eppendorf erklärt, sie beantworte Anfragen zu dem Thema zunächst nicht. Denn es sei eine interne Prüfung der Vorgänge um die UKE-Studie eingeleitet worden, die beim Versicherungs-Paket "Krebs-Scan" eine wichtige Rolle einnimmt. Man nehme die Hinweise durch den BR "sehr ernst". Von der Zyagnum AG, die die Studie finanziert hat, gibt es keine Stellungnahme, warum in der Veröffentlichung ein Hinweis auf Interessenskonflikte zunächst fehlte.

Von 50 bis 70 getestet - ab 18 vermarktet

An der UKE-Studie zum Krebs-Bluttest PanTum Detect waren Patientinnen und Patienten zwischen 50 und 70 Jahren beteiligt. Die Ergebnisse der Studie über die Aussagekraft des Tests beziehen sich also auf eine Altersgruppe, in der Krebs wesentlich häufiger vorkommt als bei jungen Menschen. Die HanseMerkur und Tchibo vermarkten Krebs-Scan aber ab 18 Jahren. Auch auf die Frage an das UKE, ob es sich medizinisch begründen lässt, einen Test, zu dem eine Studie bei Menschen zwischen 50 und 70 Jahren erstellt wurde, ab 18 Jahren zu vermarkten, gibt die Uniklinik keine Antwort. Das UKE verweist auch hier auf den internen Prüfprozess.

Kritik von etlichen Seiten an "Krebs-Scan"

Neben der Kritik der Jenaer Medizinprofessorin Jutta Hübner gibt es noch weitere sehr skeptische Stimmen zum "Krebs-Scan". Eva Grill, Professorin für Epidemiologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, sieht "erhebliche methodische Mängel" in der Studie, die eine wichtige Rolle bei der Versicherung "Krebs-Scan" spielt. Auch der Leiter der Nuklearmedizin des Uniklinikums Augsburg, Prof. Constantin Lapa, hat sich die Studie angesehen. Seine Bewertung lautet: "Das ist alles völlig ungereimt und von den Daten, die da präsentiert werden, meines Erachtens nicht nachvollziehbar."

Beschäftigt hat er sich mit der Studie vor allem, weil er gefragt wurde, ob seine Klinik PET/CT-Untersuchungen durchführen würde, die sich an einen positiven Test anschließen. Der Leiter der Nuklearmedizin der Augsburger Uniklinik hat abgelehnt. Denn er fürchtet, dass er dann Patientinnen und Patienten mit Strahlen durchleuchtet, ohne dass sie im Sinne einer Krebsprävention etwas davon haben.

Kritik an Vermarktung über Tchibo

Zu den Medizinprofessoren, die die Werbekampagne der HanseMerkur für das Versicherungsprodukt und den darin enthaltenen Krebs-Bluttest ablehnen, gehört auch der Leiter der Klinischen Chemie der Uni Mannheim, Prof. Michael Neumaier. Er stand in früheren Jahren an der Spitze der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin sowie auf europäischer Ebene an der Spitze der European Federation for Clinical Chemistry and Laboratory Medicine.

Das Tchibo-Logo. © picture alliance / CHROMORANGE Foto: Wilfried Wirth
Tchibo vermarktet den Bluttest und verspricht Kundinnen und Kunden bei Abschluss einen Einkaufsgutschein.

Auch er sieht keine eindeutigen Belege dafür, dass der PanTum-Detect-Test Patientinnen und Patienten wirklich etwas bringt. Und er stört sich daran, dass der Test auf Krebs auch über den Kaffeeröster Tchibo vermarktet wird. Tchibo verspricht Kundinnen und Kunden, die bis zum 24. Juli die Versicherung abschließen, einen Einkaufsgutschein in Höhe von 15 Euro. Neumaier hat dafür kein Verständnis: "Hier wird der Mensch mit Gesundheitsbedenken ohne Umweg zum Konsumenten eines Gesundheits-Screenings, dessen Wert bisher in keiner einzigen wissenschaftlichen Untersuchung in angemessener Weise belegt ist."

"Krebs-Scan": Große Skepsis bei Verbraucherzentralen

Nicht nur von der Krebsgesellschaft und von Medizinprofessoren verschiedener Fachrichtungen kommt Kritik an der Police "Krebs-Scan" der Hanse Merkur. Das Projekt "Faktencheck Gesundheitswerbung" der Verbraucherzentralen NRW und Rheinland-Pfalz erklärte auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks, man sehe dort die Werbung für das Versicherungsprodukt "sehr kritisch" und prüfe rechtliche Schritte gegen die Anbieter.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 19.07.2023 | 06:00 Uhr

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