Kommentar: Politik muss im Fall Brokstedt aus Fehlern lernen
Fast eineinhalb Jahre nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg ist der Täter zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Vorfeld der Tat wurden zahlreiche Chancen verpasst, Ibrahim A. aus dem Verkehr zu ziehen, meint Benedikt Scheper.
Die Tat von Brokstedt - für die Opfer und Hinterbliebenen eine Katastrophe. Als Wetterphänomen kommt eine Katastrophe meist aus heiterem Himmel. Im Fall des Messerangreifers Ibrahim A. ist die Lage allerdings anders.
Viele Gelegenheiten verpasst
Denn immer wieder hätte es Gelegenheiten gegeben, ihn rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen. Einen Mann genauer unter die Lupe zu nehmen, der immer wieder straffällig geworden ist. Mehrfach erst Menschen mit dem Messer bedroht, dann sogar mehrere verletzt. Doch das ist nicht passiert. Verpflichtende Mitteilungen über Straftaten von der Staatsanwaltschaft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - vergessen. Informationen über Wohnorte und sogar den Aufenthalt in einer Hamburger Untersuchungshaftanstalt - untergegangen. Ibrahim A.s Anträge im Gefängnis auf mehr psychologische Unterstützung und Vorbereitung seiner Entlassung - abgelehnt. Und das, obwohl er nächtelang gegen Wände klopft, behauptet die Stimme des Teufels zu hören, sich mit dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz vergleicht und droht, JVA-Beamte in ähnlicher Weise zu überfahren. Die Zahl an verpassten Chancen, sie ist hoch. Eindeutig viel zu hoch.
Einem psychisch höchst auffälligen und suchtkranken Flüchtling zu helfen, das gebietet in meinen Augen die Menschlichkeit. Einen Kriminellen so zu beaufsichtigen, dass er keine Gefahr für sich und andere darstellt, das fordert der gesunde Menschenverstand.
Zu wenig Hilfsangebote für zu viele Menschen
Fakt ist: Im Umgang mit traumatisierten Migranten hat sich Deutschland nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Viel zu wenig Hilfsangebote für viel zu viele Menschen. Nach wie vor fehlt es vor allem an Psychologen und Dolmetschern. Wie schon vor Jahren bei Ibrahim A., der ja eine Therapie beginnen wollte. Doch mehr als drei Sitzungen kamen nicht zustande. Ein Personalmangel mit fatalen Folgen. Geändert hat sich bis heute wenig. Viel zu wenig, sagen Insider - auch aus Hamburger Haftanstalten.
Das Fazit im Fall Ibrahim A. fällt bitter aus für alle Beteiligten. Während allerdings die Politik jetzt aus ihren Fehlern lernen kann, haben die Opfer von Brokstedt keine zweite Chance. Immerhin die Politik sollte ihre jetzt endlich nutzen.