Kommentar: Medienstandort Hamburg droht ein weiterer Rückschlag
Seit Wochen wird darüber spekuliert, dass RTL und der Mutterkonzern Bertelsmann viele der ehemaligen Gruner+Jahr-Zeitschriften abstoßen wollen. Am Mittwoch protestierten mehrere Hundert Beschäftigte in Hamburg, weil sie den Verlust ihrer Arbeitsplätze befürchten. Andreas Gaertner kommentiert.
Verschwinden die einstigen Gruner+Jahr-Titel ganz von der Bildfläche und aus Hamburg, dann wäre das ein Kulturbruch - und ein weiterer Todesstoß für den einst bedeutenden Medienstandort. "Stoppt den Ausverkauf" und "Notruf Hafenkante" war deshalb in dieser Woche am markanten Verlagsgebäude am Baumwall zu lesen. Zum ersten Mal haben sich die ehemaligen Gruner+Jahr-Beschäftigten lautstark und öffentlich gewehrt - gegen Pläne, die Überreste des einst stolzen Hamburger Verlages zu zerschlagen.
Unsicherheit seit der Übernahme von RTL
Gruner+Jahr gibt es nicht mehr. Und nichts ist mehr sicher, seit RTL die Redaktionen von "Stern", "Geo", "Schöner Wohnen" und anderer Titel vor mehr als einem Jahr übernommen hat. Wut und Verzweiflung treibt die Beschäftigten an. Denn keiner weiß, was Thomas Rabe will, der gleichzeitig Chef bei RTL und Bertelsmann ist.
Von der ursprünglichen Ankündigung, der tolle, in Hamburg gemachte Journalismus passe gut zu RTL, ist offenbar nichts mehr übrig. Dabei ist es dumm, so damit umzugehen: "Die größte Wertvernichtung der Mediengeschichte" titelte zum Beispiel das "Hamburger Abendblatt" und zitiert damit einen ehemaligen Top-Manager von Gruner+Jahr. Wie kann man einen funktionierenden Verlag kaputtmachen - einen Verlag, der laut Geschäftsbericht Gewinne einbringt. Vielleicht nicht genug mit bedrucktem Papier, aber über viele digitale Kanäle.
Qualitativ hochwertiger Journalismus in Gefahr
Die Folgen einer möglichen Radikalkur wären dramatisch. Zuerst einmal für die vielen engagierten Menschen, die noch am Baumwall arbeiten. 1.500 Beschäftigte, dazu Hunderte Freie, leben vom qualitativ hochwertigen Journalismus, der dort gemacht wird. Werden andere Verlage als mögliche Käufer die Qualität halten - oder sind sie nur an den bekannten Titeln interessiert?
Respektloser Umgang mit den Beschäftigen
Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) erinnert zu Recht daran, dass es auch eine gesellschaftliche Verantwortung der Medienhäuser gibt. RTL teilt auf Anfrage mit, es gäbe keine Verkaufsgespräche. Wenn das stimmt, könnte man den unerträglichen, ja respektlosen Umgang mit den Beschäftigten schon jetzt beenden. Doch den Managern von RTL in Köln und Bertelsmann in Gütersloh will in Hamburg keiner mehr so recht glauben.