Hamburg: Monatelange Wartezeiten bei Antrag auf höheren Pflegegrad
Der Hamburger Witwer Horst Peinemann ist pflegebedürftig und wartet seit fast einem halben Jahr auf zusätzliche Hilfe. Der für die Antragsbearbeitung zuständige Medizinische Dienst Nord begründet dies mit zunehmenden Aufträgen und Fachkräftemangel.
Horst Peinemann muss nach einer Lungenembolie vor sieben Jahren mit vielen Einschränkungen leben. Gehen fällt ihm schwer, hinsetzen auch und vor allem wieder aufzustehen. "Ich komme nur aus Stühlen mit Armlehnen selbstständig hoch", schildert der 86-Jährige. "Wenn mir etwas auf den Boden fällt, kann ich es nicht aufheben."
Renter braucht Unterstützung im Alltag
Der Rentner wohnt allein in einer Zweizimmerwohnung, hat keine Angehörigen und wünscht sich mehr Unterstützung im Alltag. Zum Beispiel auf dem Weg zum Arzt. "Da brauche ich eine Begleitung, die mir hilft, falls ich stürze", erklärt Peinemann. Sein linkes Bein kann er nicht gut anheben, oft plagen ihn Schwindel und Gleichgewichtsstörungen.
Horst Peinemann verlässt immer seltener die Wohnung, weil er sich immer unsicherer fühlt. Eine Bekannte hilft ihm im Haushalt, kauft auch ein. Doch das reiche nicht. Vor eineinhalb Jahren starb seine Frau, auch sie war pflegebedürftig. Ihr Pflegedienst unterstützte im gemeinsamen Haushalt und bei Besorgungen. Mit ihrem Tod fiel diese Hilfe weg.
Begutachtung erfolgte nur telefonisch
Horst Peinemann entschied sich eine Höherstufung seines Pflegrads zu beantragen - von Pflegegrad 2 auf 3. Das bedeutet mehr Pflegegeld, mit dem er mehr Unterstützung für sich organisieren kann. Es folgte eine Begutachtung durch den Beratungs- und Begutachtungsdienst in den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein, den Medizinischen Dienst Nord. "Allerdings nur telefonisch, da hat sich niemand die Mühe gemacht, mal meine Situation vor Ort anzugucken", beklagt Peinemann.
Höherer Pflegegrad abgelehnt
Das Ergebnis der Begutachtung: kein höherer Pflegegrad. Der Hamburger legte Widerspruch ein und nahm sich einen Rechtsanwalt. Seit fast sechs Monaten warten sie nun auf eine Antwort. "Gerade in diesem Fall sieht man sehr gut, dass Herr Peinemann nicht angemessen behandelt wurde", sagt sein Rechtsanwalt Dirk Drieschner. Ein Gutachter vor Ort hätte sich ein Bild machen sollen. "Wenn man ihn so sieht, wenn man ihn erzählen hört, was seine Einschränkungen sind, müsste es eine Höherstufung geben", so Drieschner.
Monatelange Bearbeitungszeit
Doch fast ein halbes Jahr später ist immer noch nichts entschieden. Die zuständige Pflegekasse DAK verweist auf den von ihr beauftragten Medizinischen Dienst Nord, der den Widerspruch von Horst Peinemann bearbeitet. Aber warum dauern Bearbeitungen so lange? Auf NDR Anfrage äußert sich der Medizinische Dienst Nord nur schriftlich: "Die Gründe hierfür liegen in einer seit Jahren permanent steigenden Auftragsmenge." Und weiter heißt es: "Darüber hinaus besteht Fachkräftemangel, der insbesondere im Bereich der Pflege stark ausgeprägt ist. Auch beim Medizinischen Dienst Nord sind bei Weitem nicht alle gutachterlichen Planstellen in der Abteilung Pflegeversicherung besetzt." Doch auf der Internetseite findet sich kein Stellenangebot für Gutachterinnen oder Gutachter, trotz offenkundig unbesetzter Planstellen.
Sozialverband sieht Medizinischen Dienst Nord in der Pflicht
Der Sozialverband VdK Nord sieht den Medizinischen Dienst Nord in der Pflicht: "Wie jeder andere Arbeitgeber muss sich auch der Medizinische Dienst Nord überlegen, wie man Personal rekrutiert und entsprechend ausbildet. Das kann nicht zu Lasten der Leistungsberechtigten gehen", sagt VdK-Nord-Mann Tim Golke.
Forderung nach einer Frist
Leistungsberechtigte wie Horst Peinemann haben kaum Möglichkeiten ihr Warten abzukürzen: Denn es gibt keine gesetzliche Frist für die Bearbeitung von Widersprüchen bei der Höherstufung eines Pflegegrads. Das müsse nachgebessert werden, fordert Tim Golke vom Sozialverband VdK Nord. Zum Beispiel, indem nach Ablauf einer bestimmten Wartezeit der Antrag automatisch als genehmigt gilt. "Dann wäre der Druck zu handeln bei Pflegekassen sicher größer", so Golke.
Horst Peinemann und sein Rechtsanwalt Dirk Drieschner überlegen nun Klage wegen Untätigkeit gegen die Pflegekasse DAK einzureichen - damit das lange Warten für den Rentner irgendwann ein Ende hat.