Junge Frau verschränkt ihre Arme vorm Gesicht. An den Ellenbogen sind blaue Flecke. © Nanduu/Photocase Foto: -
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AUDIO: Täterarbeit gegen häusliche Gewalt (4 Min)

Gegen häusliche Gewalt: Hamburger Beratungsstelle setzt auf Arbeit mit Tätern

Stand: 08.03.2025 11:04 Uhr

Gewalt gegen Frauen ist ein wachsendes Problem und es muss dringend mehr für die Opfer getan werden. Doch auch Gewaltprävention ist ein wichtiger Baustein, der zur Lösung beitragen kann: Die Täterberatung ist ein Beispiel dafür.

von Luna Ragheb und Sharon Welzel

Es gibt die Orange Days im November, die jährlich mit Aktionen, Kampagnen und Aufklärungsarbeit ein Zeichen gegen häusliche Gewalt setzen wollen. Und auch am Weltfrauentag ist das Thema präsent wie nie. Erst kürzlich wurde bekannt, dass viele Beratungsstellen für Frauen oft am Limit arbeiten, weil die Finanzierung nicht ausreichend ist - und das obwohl die Zahlen alarmierend sind: 247 Frauen und Mädchen sind im Jahr 2023 an den Folgen häuslicher Gewalt gestorben. Allgemein sind etwa 70 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt Frauen und Mädchen - Tendenz steigend. Damit es gar nicht erst zu Gewalt kommt, braucht es Hilfe von außen - für die Opfer aber auch für die Täter. Die amtierende Bundesregierung will Gewaltpräventionsprogramme für Täter verpflichtend machen. Kurz vor der Neuwahl beschloss das Bundeskabinett dazu eine Änderung des Gewaltschutzgesetzes, doch der Bundestagsbeschluss steht noch aus. Ein derartiges Angebot bietet zum Beispiel die Beratungsstelle für Täter*innen häuslicher Gewalt und Stalking in Hamburg.

Lernen, über Gefühle zu reden

Die Sitzungen in der sogenannten Täterberatungsstelle beginnen mit einem Gongschlag. Sozialarbeiter Torsten Brakemann vom Hamburger Gewaltschutz-Zentrum schlägt auf eine goldene Klangschale. Mit diesem Anfangsritual gibt der Leiter der Beratungsstelle für Täter*innen häuslicher Gewalt und Stalking den fünf Männern Zeit, im Raum anzukommen.

Schlümpfe und eine Klangschale liegen bei der Täterberatung in Hamburg auf dem Boden. © NDR Foto: Luna Ragheb
Die kleinen Spielfiguren am Boden helfen den Teilnehmern, sich zu öffnen.

Kurz darauf beginnt das Verantwortungstraining für gewaltfreie Beziehungen - mit einem ungewöhnlichen Einstieg: "Welcher Schlumpf passt am besten zu Ihrer Stimmungslage, in der Sie hier sind?", fragt er in die Runde. In der Mitte des Sitzkreises liegen auf dem Teppich mehrere Dutzend Schlümpfe. Jeder kennt sie: Papa Schlumpf, Schlaubischlumpf und alle anderen sind dabei. Ein Teilnehmer, der anonym bleiben möchte und sich "Herbert" nennt, wählt die blau-weiße Figur mit Brille und Buch aus: "Lesen ist für mich tatsächlich ein Anker im Augenblick. Ansonsten geht es mir so mittelprächtig."

Kleine Figuren schlagen eine Brücke zu Emotionen

Es mag ein bisschen unpassend erscheinen, bei einem so ernsten Thema mit lustigen kleinen Figuren zu arbeiten, aber tatsächlich ist die Methode im Bereich Coaching und Therapie recht gängig. Die Identifikation und Übertragung auf andere Figuren hilft vielen Betroffenen, ein Gefühl zu beschreiben, zu dem sie sonst nur schwer Zugang bekommen. Eine kleine Figur mit einem bestimmten Ausdruck, kann also die emotionale Arbeit erleichtern. Bei Herbert funktioniert das ganz gut. Er erzählt bedrückt, wie schwer ihm eine der Trainingsaufgaben fällt - einen Sicherheits- und Notfallplan zu erarbeiten. Der soll ihm in kritischen Situationen helfen, Ruhe zu bewahren und nicht gewalttätig zu werden.

Abwehr ist Teil des Problems

Sozialarbeiter Torsten Brakeman bei einer Sitzung der Täterberatung in Hamburg. © NDR Foto: Luna Ragheb
Sozialarbeiter Torsten Brakeman weiß, wie wichtig es ist, die Teilnehmer immer wieder zu motivieren.

Als seine Partnerin vor der heutigen Sitzung vorschlug, den Plan gemeinsam mit ihm zu erstellen, habe er sofort abgeblockt, berichtet er: "Sie war gleich auf der Hut. Weil sie mich auch kennt. Denn wenn sie mich auf dem falschen Fuß erwischt, dann werde ich leicht aufbrausend." Ob er denn aufbrausend gewesen sei, will der Sozialarbeiter wissen. Herbert verneint. Torsten Brakeman ermutigt ihn: "Sie sind ja noch nicht so lange hier. Für sie ist es ein Erfolg. Als wir uns kennengelernt haben vor sechs Wochen, da wären sie mit Sicherheit aufbrausend gewesen." Herbert stimmt zu.

Das Problem an der Wurzel fassen

Seine Partnerin hatte ihm geraten, sich Hilfe zu holen. Daraufhin bestätigten die ersten Einzelgespräche mit Berater Torsten Brakemann, dass er wegen seines gewalttätigen Verhaltens das Training gegen Partnerschaftsgewalt wahrnehmen sollte. Seither kommt er zu den wöchentlichen Gruppensitzungen.
Innerhalb von sechs Monaten sind 25 Treffen geplant. "Ich finde es schon schwierig, diese Emotionen in Worte zu fassen. Aber es gibt kein Richtig oder Falsch, es geht einfach auch um das Zuhören", erklärt Herbert. Ihm hilft auch das Gefühl, nicht allein zu sein. Das, was er von anderen hört, empfindet er oft ähnlich. Auch das hilft ihm, über Gefühle zu sprechen.

Psychologe Christian Scambor © Christian Scambor
Dr. Christian Scambor arbeitet als Psychologe an der Gewaltschutzakademie in Graz.

Angebote wie die Hamburger Beratungsstelle gibt es bundesweit immer mehr. Eine gute Entwicklung, findet der Psychologe Christian Scambor. Gewaltprävention sei neben dem Ausbau des Opferschutzes, etwa durch Frauenhäuser oder Gesetze, eine wichtige Maßnahme: "Der Kampf gegen die Gewalt in der Partnerschaft muss auch bei den Tätern ansetzen, weil dort wird sie ja auch ausgeübt. Das ist ja die Ursache."

Gewalt zeigt sich in allen sozialen Schichten

Ob bei Beleidigungen, Körperverletzung oder sogar Mord - Täter häuslicher Gewalt sind meist Männer. 2023 machten sie 75,6 Prozent der Tatverdächtigen aus, so die Zahlen des Bundeskriminalamts. Auch in der Hamburger Beratungsstelle spiegelt sich das wider: Die Mehrheit der Teilnehmer ist männlich. Gewalt ist nicht schichtspezifisch, so Brakemann. "Es ist tatsächlich so, dass sich häusliche Gewalttäter dadurch auszeichnen, dass sie in allen Gesellschaftsschichten eine Rolle spielen. Vom Anwalt für Familienrecht bis zum Bürgergeldempfänger ist durch die Bank alles dabei." Die Teilnahme am Trainingsprogramm ist nicht verpflichtend, erfolgt jedoch häufig auf Empfehlung des Jugendamts oder ist eine Auflage des Gerichts. Seltener melden sich Täter freiwillig von sich aus an.

Dabeibleiben ist alles

Wie wirksam Programme wie das der Hamburger Beratungsstelle sind, ist wenig erforscht, doch Studien zeigen, dass sie das Risiko von Rückfällen zur Partnergewalt senken - allerdings nur bei Tätern, die das Training vollständig abschließen. Zudem sollte der Teilnahmezeitraum idealerweise mindestens 12 Monate betragen, um nachhaltige Verhaltensveränderungen zu erzielen. Immer wieder zeigt sich: Viele Männer haben den Anspruch, immer stark sein zu müssen und niemals hilfebedürftig - ein enormer Druck. Sie begeben sie sich auch seltener als Frauen in medizinische oder psychologische Behandlung, weil sie es für sich als Schwäche verbuchen. Gleichzeitig gehört Suizid zu den häufigsten Todesursachen insbesondere jüngerer Männer bis 45 Jahre. Aber auch Männer ab 65 gehören zur Risikogruppe für Suizid.

Austausch mit anderen Betroffenen hilft

In der Täterberatung in Hamburg ist eine Timeline auf dem Boden dargestellt. © NDR Foto: Luna Ragheb
Auch Zeitachsen gehören zur Arbeit in der Gruppe: So können die Teilnehmer sich konkrete Ziele setzen und diese auch im Blick behalten.

Für Herbert ist das Angebot eine wichtige Stütze. Er hat kürzlich selbst einem Bekannten in der Reha dazu ermutigt, sich beraten zu lassen: "Ich verspreche mir sehr viel davon, dass man sich untereinander auch vernetzt, zum Beispiel, wenn es tatsächlich mal eine Notlage gibt." Ihm helfe es, am Wochenende mal ein unterstützendes Wort zu hören. Ein Gespräch mit jemandem, der ihn tatsächlich versteht, verschaffe ihm Entlastung, beschreibt er.

Toxische Monokulturen durchbrechen

Für viele Männer ist die Arbeit in der Gruppe eine neue Erfahrung. Den meisten von ihnen fällt es schwer, über ihre Gefühle zu sprechen. Häufig wird ihnen das schon von Kindesbeinen antrainiert mit Sprüchen wie "Ein Indianer kennt keinen Schmerz." oder "Jetzt heul doch nicht gleich!" Die Auswirkungen zeigen sich in einem Verhalten, das heute oft mit toxischer Männlichkeit betitelt wird - eine Verallgemeinerung, die aber vielen Experten und Expertinnen sehr geläufig ist: Christoph May zum Beispiel betreibt unter "Detox Masculinity" kritische Männerforschung. Er will mit Aufklärungsvideos in den sozialen Netzwerken Stereotype von Männlichkeit hinterfragen und Männer ermutigen, sich von gelernten Verhaltensweisen zu verabschieden. May beklagt die enorme "Fantasielosigkeit von Männerbildern".

Vorbild: Harry Styles

Harry Styles bei einem Auftritt im Mai 2022. © picture alliance / empics | Ian West Foto: picture alliance / empics | Ian West
Harry Styles, hier bei einem Auftritt im Jahr 2022, spielt mit dem klassischen Bild von Männlichkeit.

Er findet, die meisten Männer seien auch emotional verarmt. Er spricht von "emotionaler Sprachlosigkeit und einem historischen Katalog an Abwehrstrategien." Männer würden sich zu häufig als Opfer darstellen. "Überall dort, wo Männer unter sich bleiben, entwickeln sich toxische Monokulturen", sagt er in einem seiner Aufklärungsvideos auf YouTube. Und diese Kultur würde Veränderungsprozesse blockieren. Er fordert eine neue Männlichkeit nach dem Vorbild des Popstars Harry Styles. Heterosexuell und trotzdem im Glitzeranzug singt Styles in seinen Liedern frei über Gefühle und Ängste - und lebt damit vor allem jüngeren Generationen ein anderes Ideal von Männlichkeit vor.

Dieses Thema im Programm:

Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 08.03.2025 | 08:51 Uhr

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Soziales Engagement

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