Nach Schiffskollision in der Nordsee: Kapitän festgenommen
Nach einer Schiffskollision in der Nordsee hat die britische Polizei den Kapitän des Frachters "Solong" festgenommen. Der Vorwurf: Verdacht auf fahrlässige Tötung. Das Schiff gehört der Hamburger Reederei Ernst Russ und hatte am Montag vor der Küste von Hull einen Tanker mit Flugzeugtreibstoff gerammt.
Die britischen Behörden teilten am Dienstag mit, dass die Polizei Ermittlungen eingeleitet und einen Mann festgenommen habe. Bei dem 59-Jährigen handelt es sich um den Kapitän des Frachters aus Hamburg. Das hat die Reederei nach Angaben der BBC bestätigt.
Demnach besteht der Verdacht der grob fahrlässigen Tötung im Zusammenhang mit der Kollision. "Es wurden bereits umfangreiche Maßnahmen durchgeführt. Wir arbeiten eng mit unseren Partnern zusammen, um zu verstehen, was passiert ist, und um allen Betroffenen Unterstützung zu bieten", hieß es in einer Mitteilung.
"Solong" und "Stena Immaculate" brennen über Stunden
Der Tanker "Stena Immaculate" hatte am Montagmorgen nahe der Hafenstadt Hull vor Anker gelegen, als er von der "Solong" aus bislang ungeklärter Ursache gerammt wurde. Ein Sprecher des britischen Premierministers Keir Starmer erklärte, derzeit gebe es keine Hinweise, dass das Unglück böswillig herbeigeführt worden sei. Beide Schiffe brannten über Stunden, es gab große Explosionen. Die "Solong" konnte sich mittlerweile aus eigener Kraft vom Unglücksort entfernen.
Auf Luftbildern vom Tanker sind - anders als auf der "Solong" - mittlerweile keine Flammen und kein Rauch mehr zu sehen. Auf der Backbord-Seite des stark verbrannten Rumpfs klafft jedoch ein großes Loch, wo das Containerschiff die "Stena Immaculate" gerammt hatte.
Der britische Staatsminister Matthew Pennycook sagte, es handele sich um eine "sich schnell entwickelnde und dynamische Situation". Messungen der Luftqualität lieferten bislang normale Werte. Die Küstenwache sei gut dafür gerüstet, Ölverschmutzungen einzudämmen und aufzulösen. Dafür gebe es etwa Ölsperren, die von Schiffen aus eingesetzt werden können, oder Flugzeuge, die Dispersionsmittel versprühen könnten.
Britische Regierung: Vermisster Seemann wahrscheinlich tot
36 Crewmitglieder seien "sicher an Land gebracht" worden, teilte die britische Küstenwache mit. Ein Besatzungsmitglied sei verletzt ins Krankenhaus gebracht worden. Die Suche nach einem vermissten Crewmitglied der "Solong" wurde demnach in der Nacht eingestellt. Die britische Regierung geht vom Tod des Vermissten aus: "Unsere Arbeitshypothese ist, dass der Seemann traurigerweise gestorben ist." Die Angehörigen des Mannes seien informiert worden.
Unterstützung aus Niedersachsen
Unterdessen ist das deutsche Mehrzweckschiff "Mellum" an der Unfallstelle eingetroffen. Es sei unter anderem mit Technik zur Brandbekämpfung sowie zur Aufnahme von Öl ausgerüstet. Rund 20 Menschen seien an Bord, hieß es vom Havariekommando in Cuxhaven, darunter auch ein Fachberater der Feuerwehr Bremerhaven.
Zudem wurde ein Flugzeug vom Typ DO 228 entsandt, das in Nordholz stationiert ist. Die Bundeswehr bezeichnet es als "Öljäger", weil es mit leistungsstarken Kameras und Sensoren dabei helfen könne, Schadstoffe im Wasser zu finden.
Niederländischer Berger auf dem Weg zum Tanker
Mit der Bergung des Tankers wurde das niederländische Bergungsunternehmen Boskalis beauftragt. Vier Schiffe mit Löschmaterial seien unterwegs zur Unglücksstelle, sagte ein Sprecher von Boskalis.
In der Nacht sei das Containerschiff aus eigener Kraft freigekommen, der Tanker liege stabil. Die Experten werden den Angaben zufolge zunächst das Schiff von außen kühlen. "Wir müssen erst kühlen und dafür sorgen, dass die Temperatur auf dem Schiff sinkt." Dann werde, sofern das nötig sei, auch auf dem Schiff weiter gelöscht. Sobald der Brand unter Kontrolle sei, könne der Tanker in einen sicheren Hafen geschleppt werden.
Kerosin an Bord
Die "Stena Immaculate" hatte nach Angaben des US-amerikanischen Betreibers 220.000 Barrel Kerosin geladen. Das entspricht knapp 35 Millionen Liter. Der Flugzeugtreibstoff sei auf 16 voneinander getrennte Tanks verteilt gewesen, mindestens einer davon sei bei dem Aufprall beschädigt worden.
Zuvor war berichtet worden, dass die "Solong" Container mit giftigem Natriumcyanid geladen haben soll. Die Hamburger Reederei stellte in einer Mitteilung klar, dass dies nicht stimme. In vier aktuell leeren Containern sei zuvor Natriumcyanid transportiert worden. Sollte der Frachter nahe der Küste untergehen oder auf Grund laufen, wird aber befürchtet, dass Diesel im Tank des Schiffs die Küste verpesten könnte.
Greenpeace "extrem besorgt"
Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte vor dem Natriumcyanid-Dementi von Ernst Russ mit Blick auf die Ladung der Schiffe, sie befürchte große ökologische Auswirkungen. "Da immer mehr Informationen darüber auftauchen, was die Schiffe geladen hatten, sind wir extrem besorgt über die vielfältigen toxischen Gefahren, die diese Chemikalien für das Meeresleben darstellen könnten", hatte Greenpeace-Wissenschaftler Paul Johnston bereits am Montag gesagt. Offenbar sei das für Fische und andere Meerestiere giftige Kerosin in der Nähe eines Rastplatzes für Schweinswale ins Wasser gelangt.
