Drama: Jugendamt-Willkür um einen Jungen
An einem Freitag im März darf die Deutsch-Griechin Helene Velios* aus Hamburg zum ersten Mal seit 14 Monaten ihren 13-jährigen Sohn Linos* sehen: unter Beobachtung - für ganze drei Stunden. Linos lebt in Essen in einem Heim - gegen seinen Willen und gegen den seiner Mutter. Auf der Fahrt im Regionalzug von Osnabrück nach Essen starrt Helene Velios aus dem Zugfenster, Tränen in den Augen. Sie hat Angst, dass die nun schon seit Jahren erzwungene Trennung irgendwann umschlagen könnte in Entfremdung.
Der Kampf einer Mutter gegen die Behörden
Linos wird im Oktober 2004 geboren. Schon in der Schwangerschaft, erzählt Helene, sei ihr klar gewesen, dass sie den Kindesvater nicht heiraten würde. Gleich nach der Geburt will der Vater das Sorgerecht für sich erstreiten, den Kleinen seiner Mutter wegnehmen. Jahrelang behauptet er, sie sei nicht erziehungsfähig. Permanenter Stress für Mutter und Kind, der irgendwann auch zu Verhaltensstörungen bei Linos führt. Gerichtsverfahren, Kontrollbesuche in der Wohnung, Befragungen: Elf Jahre lang sind die Testate der behördlichen Kontrolleure eindeutig und einwandfrei. Ein Zitat von mehreren:
"Linos und Frau Velios haben einen liebevollen Umgang miteinander, und sie kann ihm in der Erziehung sowohl die nötigen Freiräume geben, als auch Grenzen setzen ... Nach heutigem Kenntnisstand gibt es keine Anzeichen, die auf eine Kindeswohlgefährdung hinweisen."
Plötzlicher Sinneswandel beim Jugendamt
Dann aber, im elften Jahr, kippen die Bewertungen plötzlich: Eine neue Sachbearbeiterin im Jugendamt ist für Helene Velios und ihren Linos zuständig. Sie unterstützt die Bemühungen des Vaters. Jetzt auf einmal verfangen dessen Behauptungen und Vorwürfe. Ohne Mutter und Kind überhaupt anzuhören, entzieht das Familiengericht Ende 2015 Helene Velios im Eilverfahren das Sorgerecht für ihr Kind, überträgt es auf den Vater. Während einer Mutter-Kind-Kur wird Linos aus der Obhut der Mutter gerissen.
Mangelhaftes Gutachten
Im gerichtlichen Hauptverfahren, mit dem die einstweilige Anordnung Monate später bestätigt wird, werden Gutachten, die eindeutig für die Mutter sprechen, nicht einbezogen. Entscheidend ist ein Gutachten, das für Helene Velios vernichtend ausfällt und ihr ganz im Sinne von Vater und Jugendamt die Erziehungsfähigkeit komplett abspricht. Renommierte Experten zweifeln dieses Gutachten an: Es erfülle nicht einmal die wissenschaftlichen Mindestanforderungen, die weithin unbekannte Verfasserin sei gar nicht qualifiziert, habe mit ungeeigneten Tests operiert und veraltete Literatur angeführt.
Wir schreiben die Richterin von damals an, stellen Fragen. Wir erhalten jedoch keine Antwort.
Ein vorbestrafter Heimleiter
Bemerkenswert: Der Vater behält Linos nur ein halbes Jahr bei sich. Dann gibt er ihn in ein Heim in Dithmarschen, und das Hamburger Jugendamt unterstützt ihn dabei. Helene Velios will ihr Kind zurückhaben, protestiert gegen die Heimunterbringung. Die zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamtes schreibt: Frau Velios bringe Beschwerden vor, die "in keiner Weise zutreffen". Ihr gehe es nur darum, "dass dem Träger (des Heimes) bewusst Schaden zugefügt werden soll". Auch aus Sicht des Vaters sei "Linos in der Einrichtung gut aufgehoben". Allerdings: Der Leiter dieses Heimes war eigentlich Dachdecker, hatte dann eine Hundeschule, ist vorbestraft wegen Urkundenfälschung und wurde im vorigen Herbst wegen Körperverletzung verurteilt. Dagegen allerdings hat er Berufung eingelegt. Es gibt Zeugen, die bestätigen, dass es in dem Heim mitunter sehr grob zugegangen ist.
Linos lebt inzwischen schon im dritten Heim. Auch nach nunmehr fast drei Jahren ist seine Sehnsucht nach der Mutter ungebrochen. Einem sogenannten Verfahrensbeistand vertraut er sich im vergangenen Sommer an:
"Ich halte es nicht mehr in der Einrichtung aus. Ich darf meine Mama nicht sehen, warum ist das so? ... Ich möchte unbedingt wieder bei Mama wohnen." Linos, 13 Jahre alt
In seinem Protokoll schreibt der Verfahrensbeistand: "Im Gespräch fing Linos an zu weinen ... Es war sehr schwer, Linos wieder zu beruhigen. Bis zum Ende des Gespräches weinte der Junge."
Behörde macht Mutterliebe zum Vorwurf
Davon völlig unbeeindruckt will das Hamburger Jugendamt die "Maßnahme" - Unterbringung im Heim - beibehalten. In Schriftsätzen und Gesprächen wird Helene Velios ihre Mutterliebe vorgehalten. Sie zeige immer wieder, dass sie ihren Sohn bei sich haben wolle, das schüre seine Sehnsucht nach ihr. Deshalb könne Linos nie "im Heim ankommen". Ganz direkt verlangt die Sachbearbeiterin des Jugendamtes von Helene Velios, sie müsse ihrem Sohn sagen, dass er im Heim besser aufgehoben sei als bei ihr.
Mit gerichtlicher Unterstützung setzt das Jugendamt durch, dass Helene Velios monatelang nicht zu ihrem Sohn darf. Und die wenigen Telefongespräche dürfen die beiden nicht in ihrer Muttersprache Griechisch führen. Zitat aus einer Mail der Sachbearbeiterin des Jugendamts an die Mutter:
"Wir halten es für notwendig, dass Sie mit Linos deutsch sprechen. …Vorrangig müssen wir sicherstellen, dass es zu keiner Beeinflussung ihrerseits gegenüber Linos kommt. Und dies können wir eben nur kontrollieren, wenn deutsch gesprochen wird."
Keine Antworten auf Panorama Fragen
Wir haben sowohl den Vater als auch das Jugendamt um ein Interview gebeten. Beide haben dies abgelehnt. Und wir haben auch auf unsere schriftlichen Fragen keine Antworten bekommen.
*Die Namen von Mutter und Sohn wurden von der Redaktion geändert.