Bürger werden beim Hochwasserschutz belastet
"Wir hatten eigentlich gedacht, dass das unsere Alterssicherung ist, wenn wir einmal ein Pflegefall werden sollten." Ingeborg Ewert und ihr Mann Rolf sind verzweifelt, der Garten hinter ihrem Haus sollte ihnen einst den Lebensabend in einem Seniorenheim finanzieren. Das Baugrundstück liegt in einer beliebten Gegend, im Hamburger Stadtteil Sasel, an dem Flüsschen Berner Au. Im vergangenen Sommer wurde das Gebiet um den Bach als Überschwemmungsgebiet ausgewiesen, seitdem ist das Bauen untersagt. Bis heute kämpft das Paar gemeinsam mit der Bürgerinitiative gegen die Ausweisung. "Man hat Eigentum und kann über sein Eigentum im Grunde genommen nicht mehr verfügen. Ich darf nicht bauen, ich darf nicht ackern, ich darf nichts mehr damit", ärgert sich Rolf Ewert. Einmal in hundert Jahren könnte es hier ein Hochwasser geben. So hat es die Stadt Hamburg berechnet. Für Ingeborg Ewert ist das unverständlich: "Meine Familie lebt seit fast einhundert Jahren hier, dieses Grundstück war noch nie überschwemmt."
Auf 2.500 Grundstücken sind bauliche Veränderungen untersagt
Insgesamt elf Überschwemmungsgebiete hat die Stadt im vergangenen Sommer ausgewiesen, auf 2.500 Grundstücken in Hamburg sind bauliche Veränderungen seitdem untersagt. Ein Haus, einen Carport oder ein Gartenhäuschen dürfen Grundbesitzer nun nicht mehr bauen, es sei denn, die Stadt erteilt ihnen eine Sondergenehmigung. Grund für die Ausweisung der Überschwemmungsgebiete ist eine EU-Richtlinie zum Hochwasserschutz, die die Stadt Hamburg umsetzen muss. Durch den Klimawandel rechnen Wissenschaftler in der Zukunft mit mehr Regen, mehr Regenwasser das abfließen muss. Der Baustopp soll verhindern, dass durch Neubauten Flächen versiegelt werden, auf denen das Regenwasser versickern könnte.
Massiver Wertverlust befürchtet
Die Eigentümer fürchten nun einen massiven Wertverlust ihrer Grundstücke. Die Stadt Hamburg stellt diesen Wertverlust in Frage. "Es könnte auch gut sein, dass sich das irgendwann sogar umdreht, dass diese Gebiete besonders angenehm zu bewohnen sind, weil die eben nicht so dicht bebaut sind wie der Rest", sagt Volker Dumann, Pressesprecher der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Makler zweifeln diese Argumentation an. Rüdiger Witthöft verkauft seit fast 50 Jahren Häuser in Hamburg Sasel. Doch seit die Gegend rund um die Berner Au zum Überschwemmungsgebiet erklärt wurde, laufen die Geschäfte schlecht. Für ein Grundstück, wie das der Ewerts, würde er heute keine Käufer mehr finden. "Der Wertverlust geht hin bis zum Totalverlust, das ist sozusagen Grünland. Das wird auch von keiner Bank beliehen. Selbst wenn jemand sagt, dieses Überschwemmungsgebiet gefällt mir, ich möchte es haben, bekommt er es nicht finanziert, weil keine Bank einen nicht bebaubaren Grund finanzieren möchte", vermutet der Makler.
Keine Hinweise auf ein Überschwemmungsgebiet
Ärgerlich besonders für Anwohner, die erst vor kurzer Zeit Grund und Boden erworben haben, der jetzt plötzlich im Überschwemmungsgebiet liegt. So erging es einem Nachbarn von Rolf und Ingeborg Ewert. Hätte er gewusst, dass sein Grundstück einmal im Überschwemmungsgebiet liegen würde, hätte er es nicht erworben. Vor drei Jahren nahm der Jungvater einen Kredit auf, kaufte den Grund für knapp 400 Euro pro Quadratmeter und baute darauf eine Doppelhaushälfte für seine Frau und seine beiden Kinder. Informationen darüber, dass sein Grund und Boden bald Versickerungsfläche für Regenwasser sein sollte, hatte er damals nicht. Und das obwohl die Stadt schon im Dezember 2011 Hochwasserrisikogebiete bestimmen musste. Eine öffentliche Information darüber gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. "Das war für uns nicht zu erahnen, dass dieser kleine Abwassergraben solche Auswirkungen haben würde. Wir haben uns hier vor dem Immobilienkauf informiert, haben Nachbarn gefragt, ob es Besonderheiten gibt. Für uns gab es damals keinen Hinweise darauf, dass das hier einmal ein Überschwemmungsgebiet werden würde, auch nicht von Seiten der Stadt", erklärt der Nachbar.
Fehler bei der Kommunikation eingeräumt
Warum die Stadt damals nicht informiert hat, erklärt Pressesprecher Volker Dumann folgendermaßen: "Die Sachen müssen erst mal in Ruhe bewertet werden. Das ist kompliziert und bevor das nicht abgeschlossen ist, hat es keinen Sinn, jemanden groß zu beunruhigen." Doch auch als schon längst feststand, dass die Flächen rund um die Berner Au zum Hochwassergebiet ausgewiesen wurden, hielt sich die Stadt Hamburg mit Kommunikation offenbar zurück. Mit einer Meldung im amtlichen Anzeiger erfüllte sie ihre Informationspflicht. Der Familienvater erfuhr von einem Nachbarn, dass sein Haus im Überschwemmungsgebiet liegt. "An uns gibt es kein Schreiben, in dem steht, wir haben das Überschwemmungsgebiet ausgewiesen, das hat für Sie diese und jene Konsequenzen. Es gibt keinen schriftlichen oder persönlichen Direktkontakt mit den Betroffenen." In der Zwischenzeit hat die Stadt Fehler bei der Kommunikation eingeräumt. Bis zum Ende des Jahres lässt sie sicherheitshalber jedes Überschwemmungsgebiet noch einmal prüfen.