Ansturm auf Gaspistolen und Pfefferspray
"Hoffentlich bin ich nicht blind, das war das Erste was ich gedacht habe", sagt Kevin Heins. Vor knapp zwei Wochen wurde dem 24-jährigen aus Stade aus unmittelbarer Nähe ins Gesicht geschossen. Mit einer Gaspistole. Kevin Heins fiel sofort um. Verbrennungen im Gesicht und ein Hörschaden mussten im Krankenhaus behandelt werden. Für einige Zeit konnte er nicht mal mehr sehen.
Diese Gaspistolen sind für Volljährige frei käuflich - allerdings dürfen sie nur mit dem so genannten "Kleinen Waffenschein" auch in der Öffentlichkeit mitgeführt werden. Jeder kann ihn unter Vorlage seines Personalausweises einfach bei der Behörde beantragen. Eine besondere Eignung oder Erfahrung im Umgang mit Waffen ist dafür nicht nachzuweisen. Doch die mit Gaspatronen betriebenen Schreckschuss-Waffen können schwere Verletzungen verursachen, im schlimmsten Fall sogar tödlich wirken.
"Diese Waffen sind gefährlich"
Bei einem Schusstest mit der Polizei in Lüneburg sind selbst die dortigen Schusswaffeneinsatztrainer von der Kraft der Schreckschusspistolen überrascht. Bei einem aufgesetzten Schuss auf eine Wassermelone lässt der Druck die Frucht zerplatzen. "Das zeigt wie gefährlich es ist, wenn man diese Waffe vor einem menschlichen Gesicht abfeuert", kommentiert Polizeioberkommissar Christian Hillmer.
Die Norddeutschen bewaffnen sich. Eine Entwicklung, die bereits im vergangenen Jahr begann und die nach den Silvester-Übergriffen in Köln und Hamburg weiter an Dynamik gewonnen hat. In allen von Panorama 3 angefragten Städten stieg die Zahl der Anträge auf einen Kleinen Waffenschein im Januar zum Teil dramatisch:
- In Rostock wurden im Januar bislang 34 Anträge auf einen Kleinen Waffenschein gestellt. Das sind fast halb so viele Anträge wie im gesamten Jahr 2015 bewilligt wurden.
- In Hannover wurden im Januar 2016 bereits 48 Kleine Waffenscheine erteilt. Das sind mehr als 20 Prozent der im Jahr 2015 insgesamt erteilten Waffenscheine.
- 2015 wurden in Kiel 207 Kleine Waffenscheine ausgegeben. Seit Neujahr 2016 wurden bislang 50 Anträge gestellt, das entspricht rund 25 Prozent der Vorjahreszahlen. Im Vergleich zum Januar 2015 wurden zehn Mal mehr Anträge gestellt, teilt die Behörde uns mit.
- Auch in Hamburg meldet die Polizei eine deutlich erhöhte Nachfrage nach dem Kleinen Waffenschein. Im Januar seien bislang rund 350 Anträge eingegangen.
Dabei bewaffnen sich keineswegs nur die Frauen. In Kiel stellten zu 90 Prozent Männer die Anträge auf einen Kleinen Waffenschein, gefolgt von Senioren. Nur drei Antragsteller waren Frauen, teilt die Behörde mit.
Warteliste für Pfefferspray
Michael Hartmann ist Geschäftsführer des Waffenhauses Eppendorf in Hamburg. Seit Jahresbeginn sind die Verkäufe von Gaspistolen und Pfefferspray auch bei ihm deutlich angestiegen. Für Pfeffersprays und andere Reizgase gibt es bereits eine Warteliste. "Es zeichnet sich ab, dass wir da einen Querschnitt durch die Bevölkerung haben. Ältere Damen aus den Elbvororten, genauso wie junge Ehepaare oder Ärzte aus dem nahe gelegenen Krankenhaus", beobachtet der Waffenhändler.
Die Polizei hält von dieser vermeintlichen Absicherung gar nichts. Das Ziehen einer Waffe könne den Gegner noch zusätzlich provozieren. Wenn die Waffe gar in die Hände des Gegners gerate, könne sie sogar gegen den Waffenbesitzer selbst gerichtet werden, sagt Polizeioberkommissar Christian Hillmer.
Schussopfer Kevin Heins jedenfalls wird sich seinerseits keine Waffe anschaffen, um auf den Angriff zu reagieren. "Ich halte nichts von Waffen, und ich werde mir so etwas nicht zulegen. Es ist einfach zu gefährlich." Er hofft, dass er am Ende keine bleibenden Verletzungen davontragen wird.