Stand: 09.10.2018 09:00 Uhr

Wie gerecht wird die neue Grundsteuer?

von Nils Naber

Für Bürgermeister Jürgen Lübbers ist die Grundsteuer die wichtigste Einnahmequelle seiner Gemeinde Barnstorf in Niedersachsen. Doch für ihn steht fest: "Die Grundsteuer ist ungerecht." Denn sie behandelt nicht alle Bürger gleich. Wer ein älteres Haus bewohnt, zahlt häufig deutlich weniger Grundsteuer, als jemand, der in einem neuen Haus lebt. Dabei können beide Gebäude direkt nebeneinander stehen und ungefähr den gleichen Wert haben. Hervorgerufen wird diese Ungerechtigkeit durch die Art und Weise, wie die Grundsteuer seit Jahrzehnten erhoben wird.

VIDEO: Wie gerecht wird die neue Grundsteuer? (8 Min)

Jürgen Lübbers © NDR Foto: Screenshot
Jürgen Lübbers, Bürgermeister der Gemeinde Barnstorf, hält die Grundsteuer für ungerecht.

Schon seit vielen Jahren gibt es Kritik an diesem Verfahren. Im April 2018 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Grundsteuer in ihrer gegenwärtigen Form verfassungswidrig ist und stellte fest: "Das Festhalten des Gesetzgebers an dem Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 führt zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen." Das Gericht setzt die Politik unter Druck. Bis Ende 2019 muss ein neues Grundsteuergesetz vorliegen. Die Vorstellungen, wie die Grundsteuer künftig ausgestaltet ist, weichen dabei stark voneinander ab. Im Kern geht es um die Frage, ob der Wert einer Immobilie bei der Steuerfestsetzung eine Rolle spielen soll oder nicht: Flächensteuer gegen Bodenwertsteuer.

Hamburg für Flächenmodell

Andreas Dressel © NDR Foto: Screenshot
Der Finanzsenator von Hamburg, Andreas Dressel, plädiert für ein Flächenmodell.

Vor allem die Landesregierungen von Bayern und Hamburg setzen sich dafür ein, dass die Grundsteuer nur über die Fläche des Grundstücks und des Gebäudes berechnet wird. Damit würde allerdings eine Immobilie in schlechter Lage genauso hoch besteuert, wie ein Filetgrundstück im teuersten Villenviertel. Der zuständige Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) meint dazu: "Wir finden es plausibel, dass die Grundsteuer im Kern eine Steuer ist, die daran orientiert ist, inwieweit kommunale Leistungen in Anspruch genommen werden. Das ist von der Frage der Situierung des Grundstücks oder des Grundstückseigentümers eigentlich unabhängig." Hinter diesem sogenannten Flächenmodell steht auch die Immobilienwirtschaft.

Gegenmodell Bodenwertsteuer

Dirk Löhr © NDR Foto: Screenshot
Der Wirtschaftswissenschaftler Dirk Löhr hat für Panorama 3 Vergleichsrechnungen erstellt.

Dirk Löhr kritisiert das Flächenmodell. Für den Professor für Steuerlehre und ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier ist "das Flächenmodell ein Modell, das an Ungerechtigkeit nicht zu überbieten ist", eben weil es gute und schlechte Lagen gleich behandle. Löhr tritt für ein Grundsteuermodell ein, das am Bodenrichtwert orientiert ist. Diese Werte werden bundesweit alle zwei Jahre von Gutachterausschüssen erhoben. Hinter diesem Modell stehen auch der Deutsche Mieterbund und der Nabu. Für Panorama 3 hat Löhr exklusiv Vergleichsrechnungen erstellt (siehe Karte unten), die zeigen, dass die Bodenwertsteuer gute Lagen höher besteuern würde. Bewohner von schlechteren Lagen würden hingegen entlastet.

Downloads

Grundsteuermodell nach Bodenrichtwert

Die Berechnungen zu den Belastungen unterschiedlicher Grundsteuermodelle von Prof. Löhr als PDF-Dokument zum Download. Download (331 KB)

Scharfe Debatte um Modelle

Hamburg hat sich dennoch auf das Flächenmodell festgelegt und wirbt offensiv dafür. Um auch vor den Folgen einer wertabhängigen neuen Grundsteuer zu warnen, veröffentlichte die Stadt zu Jahresanfang mehrere Modellrechnungen zum Kostenwertansatz. Für die Bürger barg es wahre Horrorszenarien: Es prognostizierte für einige Lagen eine Steigerung der Grundsteuer von 65 Euro (Einfamilienhaus Allermöhe, Baujahr 1.900, 97 qm) auf 1.510 Euro. Nahezu die gesamte Hamburger Presse druckte die Modelle ab. Dabei wurde aber kaum wahrgenommen, dass die Finanzbehörde nicht alle Parameter der Grundsteuerberechnung angeglichen hatte (Hebesatz). Heute bestätigen die Hamburger, dass eine solche Reform gar nicht zur Debatte steht. Vor diesem Hintergrund hätte die Finanzbehörde die Beispiele eigentlich anders rechnen müssen, bemängelt Dirk Löhr. Seine eigenen Berechnungen zeigen, "dass die Behauptung durch eine Bodenwertsteuer würde Wohnen unbezahlbar wären schlicht und ergreifend nicht stimmt." Finanzsenator Dressel bemängelt wiederum nun Löhrs Berechnungen und zieht "einzelne Faktoren in Zweifel."

Karte: Vergleichsrechnungen

Doch auch wenn die Beispielrechnungen nicht bis auf den letzten Euro exakt sind, geben Sie einen guten Hinweis zu möglichen Folgen der Reform. In der Tat würden gute Lagen beim Bodenwertemodell stärker besteuert als Randlagen. Das hätte im Hamburger Zentrum mit seinen hohen Bodenwerten durchaus Folgen, besonders für Einfamilienhausbesitzer. Mehrfamilienhausbeswohner würden von der Bodenwertsteuer allerdings in der Regel profitieren, meint Löhr. Sollte es doch zu starken Steigerungen kommen, müssten Härtefallregelungen greifen.

Höhere Steuern für Flächenspekulation

Befürworter des Bodenwertmodells betonen, dass mit dieser Lösung der Bodenspekulation stärker begegnet würde. Denn unbebaute Grundstücke würden genauso besteuert wie bebaute. Aus diesem Grund setzt sich auch Bürgermeister Jürgen Lübbers für das Bodenwertmodell ein. "Ich möchte, dass die Baulücken in meiner Kommune möglichst bebaut werden." Dies wäre aus der Sicht von Jürgen Lübbers wesentlich effektiver als immer neue Baugebiete auf der "grünen Wiese" auszuweisen. Beim Flächenmodell hingegen wäre die Besteuerung unbebauter Flächen nach aktuellem Stand sehr gering. Ralph Henger meint, daher wäre das Flächenmodell "nur auf dem Papier gut."

Andere Modelle aus dem Rennen

Weitere Reformmodelle scheinen mittlerweile aus dem Rennen. Unter den Stichworten "Kostenwert" oder "14-Länder-/ Bundesrats-Modell" war noch ein weiteres wert-orientiertes Modell in der Diskussion. Dieses Modell wurde bereits 2016, getragen von 14 Bundesländern ohne Hamburg und Bayern, als Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht. Es wurde letztlich aber nicht weiterverfolgt. Experten wie Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sehen bei dem Modell auch erheblich Mängel. "Es belastet Neubauten sehr stark. Ich gehe davon aus, dass es nicht kommen wird." Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht es ähnlich: "Für das Kostenwert-Modell müssten 35 Millionen Grundstücke neu bewertet werden. Das ist machbar aber sehr aufwendig." Die beiden Experten bevorzugen ähnlich wie Löhr, das Bodenwertmodell. Die Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, die vor zwei Jahren noch für das Kostenwert-Modell eintraten, geben sich heute bei der Modellfindung kompromissbereit. Nur Bremen vertritt das Kostenwertmodell noch offensiv.

Beobachter gehen davon aus, dass am Ende werde wohl weder eine reines Bodenwert- noch ein reines Flächenmodell herauskommen werde. Ausgang offen.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 09.10.2018 | 21:15 Uhr

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