Wie E.ON millionenschwere Steuerlöcher reißt
E.ONs geheime Steuerabsprache ist 100 Seiten stark. Es ist ein Papier, das selbst altgediente Steuerexperten in Erstaunen versetzt. In den Unterlagen, die direkt an die Luxemburger Steuerverwaltung adressiert sind, entwerfen Wirtschaftsberater von Pricewaterhouse Coopers (PwC) ein Finanzsystem, das kaum verschlungener sein könnte. Mit dessen Hilfe spart die E.ON SE aus Düsseldorf mutmaßlich Steuern in Höhe von zig Millionen Euro in Großbritannien, in den USA, in Schweden, in Deutschland und nicht zuletzt in Luxemburg. Ermöglicht wird dies durch internationale Leihgeschäfte mit denen E.ON Konzerngewinne nach Luxemburg verlagert.
E.ONs Luxemburger Schattenbank
Wer das System E.ON verstehen will, der muss nach Luxemburg reisen. Genauer gesagt in den Boulevard Prince Henri 17. Direkt neben dem Luxemburger Einkaufsviertel hat eine außergewöhnliche Tochterfirma von E.ON ihren Sitz: Die Dutchdelta Sàrl. Auch wenn man es nicht auf den ersten Blick sieht: Die Dutchdelta, auf deren Existenz gerade mal ein schlichtes Firmenschild hinweist, steht im Zentrum eines Milliardengeschäfts. Die Aufgabe von Dutchdelta ist simpel. Als Finanzierungsgesellschaft vergibt die Schattenbank hohe Kredite an andere E.ON-Töchter. Den Unterlagen zufolge führt E.ON entsprechende Leihgeschäfte mit seinen Niederlassungen in den USA, in Schweden und in Großbritannien durch. So flossen 2008 200 Millionen Euro aus Luxemburg an die E.ON-Gruppe in Großbritannien. Eine Milliarde Euro gingen an E.ON Schweden und 2,6 Milliarden Dollar an E.ON in den USA. Mal werden die Kredite von Dutchdelta verliehen, mal ist es eine Firma aus Malta, die das System am Laufen hält. Doch weshalb verleiht der deutsche Energieriese diese gewaltigen Summen?
Steuerschäden in zahlreichen Ländern
Experten gehen davon aus, dass E.ONs Kreditgeschäft vor allem einem Zweck dient: Auf die hohen Schulden, die die Konzerntöchter in Luxemburg aufnehmen, entfallen entsprechend hohe Zinsen. Im Falle von Milliardenkrediten kommen rasch zweistellige Millionenbeträge an Zinsen zusammen. Durch die hohe Schuldenlast lässt sich somit der Konzerngewinn in Großbritannien, in Schweden und in den USA kleinrechnen. Doch das ist nur die eine Seite des trickreichen Geschäfts. Auch in Luxemburg spart E.ON gewaltig Steuern. Indem Dutchdelta auch in Luxemburg Verluste schreibt und Gewinne verlagert, fallen auch hier kaum Steuern an. Für das Jahr 2010 weißt die Dutchdelta - ein Unternehmen das Milliarden in den Büchern stehen hat - eine Vermögenssteuer von gerade einmal 37.000 Euro aus. Und auch Deutschland könnte ein gehöriger Steuerschaden entstanden sein. Die hundertprozentige E.ON-Tochter Dutchdelta wurde auch mit fünf Milliarden Euro aus Deutschland ausgestattet. Steuerexperten wie der Journalist und Autor Richard Brooks glauben, dass E.ONs Kreditgeschäfte somit eigentlich in Deutschland besteuert werden müssen. "Im Endeffekt ist Deutschland hier der Verlierer", sagt Brooks.
Der Steuerstrafrechtler Volker Glies gibt aber noch einen anderen Punkt zu bedenken. Denn sollte sich herausstellen, dass Dutchdelta "überhaupt keine eigenständige Firma ist - und dass die Entscheidungen woanders, beispielsweise in Deutschland getroffen werden, dann müsste auch dort besteuert werden", so Glies. E.ON selbst erklärt in einer ausführlichen Antwort, dass alle Geschäftsentscheidungen "auf der Grudnlage der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Regularien durch das Board of Managers der Dutchdelta Finance Sàrl in Luxemburg getroffen" werden. Von einer "Strategie der Steuervermeidung im Sinne einer Umgehung der Steuergesetze" könne bei dem Luxemburg-Geschäft nicht die Rede sein. Schließlich würde sich die Steuerlast in anderen Ländern ja auch dann reduzieren, wennn die E.ON-Töchter Kredite bei der Bank aufnehmen. Allerdings vergisst diese Argumentation, dass im vorliegenden Fall keine Bank sondern E.ON selbst an den Zinsen verdient.
Dutchdelta eine Briefkastenfirma?
Weiter stellt sich die Frage, inwiefern Dutchdelta eine eigenständige Firma im klassischen Sinne ist. An der Spitze der Firma steht unter anderem Paul de Haan. Ein Geschäftsmann, dessen Beruf es ist, Firmenablegern in Luxemburg eine eigene Präsenz zu geben. Tatsächlich leitet De Haan gleich mehrere Firmen in Luxemburg. Die Geschäftsadresse der Dutchdelta ist mit der Geschäftsadresse von de Haans Firma identisch. Schriftliche Fragen zu seiner Tätigkeit will der Unternehmer nicht beantworten. E.ON teilt hierzu mit, dass die Dutchdelta eigenständig arbeitet und alle an die Dutchdelta addressierten Vorgänge auch dort bearbeitet werden. Auf telefonische Nachfrage teilt das Büro von de Haan allerdings mit, dass die Post für Dutchdelta in Deutschland beantwortet würde, sofern es sich "um kompliziertere Fragen" handele. Ein klares Indiz dafür, dass Dutchdelta eben tatsächlich nur eine Briefkastenfirma sein könnte, urteilt der ehemalige Sachgebietsleiter der Steuerfahndung Frankfurt am Main, Frank Wehrheim. "In jedem Fall wäre es äußerst spannend, was deutsche Steuerfahnder zu dem Fall sagen", sagt Wehrheim.