Mehrere Obdachlose campieren wild in Zelten in Sichtweite des Luxushotels Hafen Hamburg und der Jugendherberge am Hamburger Hafen. © picture alliance / ABBfoto

Obdachlose haben kaum eine Chance zu wählen

Stand: 28.01.2025 09:21 Uhr

Wohnungslose Bürgerinnen und Bürger ohne Meldeadresse besitzen ein Wahlrecht. Doch die Hürden für Obdachlose an demokratischer Beteiligung sind hoch. Denn sie müssen sich vor der Wahl registrieren lassen.

von Pastorin Sarah Oltmanns

Sie hat noch nie gewählt. "Weil alles, was versprochen wird, vor den Wahlen, eh nicht gehalten wird", erzählt mir Nelly. Sie wählt aber auch deshalb nicht, weil es ihr kaum möglich ist. Denn Nelly ist obdachlos. Einen Brief mit der Wahlbenachrichtigung bekommt sie nicht, wie alle anderen Menschen. Wie denn auch? Sie hat ja keinen Wohnsitz, also auch keinen Briefkasten. Wie sollen Behörden ihr etwas zuschicken?

"Wir werden nicht gesehen und nicht gehört"

An den Wahlen könnte sie theoretisch trotzdem teilnehmen, aber dazu müsste sie erstmal wissen, was obdachlose Menschen dafür tun müssen. Sie müsste das Behördendeutsch verstehen und Anträge stellen. Nelly aber ist sich sicher: Der Aufwand lohne nicht. "Wir werden eh nicht gesehen. Eh nicht gehört. So gut wie niemand hat Lust, irgendwas für uns zu tun. Es geht andauernd um Heizungen und Pendlerpauschalen. Aber um Obdachlose geht es nie."

Um Obdachlose geht es in Parteiprogrammen nicht

Wir haben zum Spaß ein paar Grundsatzprogramme der Parteien durchsucht, und tatsächlich: Um Obdachlose geht es nicht, jedenfalls nicht direkt. Nelly sagt: "Wenn die Politik sich nicht um uns kümmert, dann kümmern wir uns eben auch nicht um die Politik." Dabei hätte sie durchaus etwas zu sagen, zur Wohnungspolitik zum Beispiel, zu unbezahlbaren Mieten und wie es ist, zwangsgeräumt zu werden. Das hat sie selbst erlebt.

Wohnungslose haben keine Stimme

In Deutschland wären Zehntausende Wohnungslose wahlberechtigt, wenn sie im Wählerverzeichnis stünden, wenn sie eine Stimme hätten. Aber wer nicht gesehen wird, hat es auch schwer, gehört zu werden und sich einzubringen. "Was kann ich für dich tun?", fragt Jesus einen Bettler (Mk 10,51), und vielleicht liegt es auch an uns, genauer hinzusehen und den Menschen eine Stimme zu geben, die keine haben, in unserem Alltag, aber auch in unserem Wahlverhalten.

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Kirche im NDR | 28.01.2025 | 06:20 Uhr

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