In Bönningstedt wird ein neuer Wald gepflanzt. © NDR Foto: Tobias Senff

Neuer Wald für das Klima: Aufforstungsaktionen im Norden

Stand: 07.10.2021 10:13 Uhr

Während anderswo riesige Wälder für unseren Lebenswandel gefällt werden, pflanzen Aufforstungsinitiativen Bäume gegen den Klimawandel. Bringt das was?

von Tobias Senff

Der Wald ist für Deutsche ein Ort der Entspannung und des Krafttankens, aber er kann viel mehr. Bäume binden klimaschädliches Kohlendioxid, kühlen die Landschaft nachweislich ab und sorgen für frische Luft. Studien sagen auch, zusätzliche Wälder können beim Kampf gegen den Klimawandel helfen. Deshalb gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von privaten Initiativen, die neue Bäume pflanzen - so wie ein Verein in Bönningstedt in Schleswig-Holstein nahe Hamburg.

Neue Urwälder schaffen

Frewillige Helfer*innen bei einer Baumpflanzaktion in Bönningstedt. © NDR Foto: Tobias Senff
Victoria Pukies, Angela Scarpato, Gaston und Diego Pukies (von links) sind aus dem Süden Hamburgs in den Norden gefahren um Bäume gegen den Klimawandel zu pflanzen.

Angela Scarpato aus Hamburg hockt auf einem Feld, hat eine kleine Eiche in der Hand. Ihre sechsjährige Tochter Victoria versucht, mit einer kleinen gelben Kinderschaufel ein Loch zu graben. Die beiden unterstützen den Verein Citizens Forests aus Bönningstedt bei der Pflanzaktion. Tipps bekommen sie von Gründer und Vereinsvorstand Pascal Girardot. Er wollte etwas tun: "Durch ein Buch bin ich auf die Aufforstung gekommen und habe verstanden, was eine massive, globale Aufforstung für den Klimawandel bringen würde. In dem Buch ging es auch um eine Methode, auf kleinsten Flächen neue Urwälder zu schaffen. Das fand ich sehr inspirierend."

900 neue Bäume für Bönningstedt

Pascal Girardot von Citizens Forests bei einer Pflanzaktion in Bönningstedt. © NDR Foto: Tobias Senff
In den vergangenen Wochen hat Pascal Girardot von Citizens Forests die Pflanzaktion organisiert und freut sich, viele von seiner Idee begeistert zu haben.

Eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich besagt, dass 0,9 Milliarden Hektar Fläche der Welt aufgeforstet werden könnten, um etwa zwei Drittel des vom Menschen verursachten CO2 aufzunehmen. Deshalb hat Pascal vor zweieinhalb Jahren mit seinem Verein das erste Projekt umgesetzt. Jetzt geht es um ein brachliegendes Feld an der Autobahn 7. Freiwillige haben dort gerade 900 einheimische Bäume verschiedener Arten in den Boden gebracht, sagt Pascal Girardot: "Das ist die sogenannte Miyawaki-Methode. Dabei macht man eigentlich die Natur nach. Entscheidend ist, dass es zu einem schnellen Wurzelwachstum im Boden kommt. Auf diesem gelockerten Boden pflanzen wir viele verschiedene Baumarten sehr dicht aneinander, bis zu drei Bäume pro Quadratmeter."

Aufforstungsprojekte sind zahlreich

Mittlerweile gibt es zahlreiche ähnliche Projekte. Comedian Atze Schröder hat im vergangenen Jahr die Initiative Fame Forest unterstützt und 4.500 Bäume bei Bad Segeberg finanziert und mitgepflanzt. Die Stiftung Klimawald kauft brachliegende Flächen und bepflanzt sie. Vorstand Franz Isfort ist pensionierter Förster. Der erste Klimawald entstand bei Neumünster vor zehn Jahren. Wegen des schlechten Bodens und der trockenen Sommer sind dort auch Bäume vertrocknet: "Da haben wir Traubeneichen, Stieleichen und Buchen gepflanzt. Bei der Nachpflanzung zum Teil auch Winterlinden." Letztere sind besonders gut geeignet, weil sie auf der Suche nach Nährstoffen in tieferen Regionen wurzeln und so die Wasserführungen erreichen. Dadurch geben sie nachher einen stabilen Bestand ab. Die Stiftung Klimawald will in diesem Jahr schon das 13. Projekt umsetzen und hat insgesamt schon mehrere Hektar bepflanzt.

Mehrere Helfer pflanzen in der Rostocker Heide neue Bäume. © NDR Foto: Jürn-Jakob Gericke
AUDIO: Waldpolitik: Bäume pflanzen gegen Klimawandel (10 Min)

Citizens Forests sogar in der Schweiz aktiv

Freiwillige Helfer*innen bei einer Pflanzaktion in Bönningstedt. © NDR Foto: Tobias Senff
Mats, Dirk und Lotta Rottstedts (von links) helfen beim Pflanzen in Bönningstedt mit. Dirk hofft, dass sich seine Kinder auch in Zukunft für den Erhalt von Wäldern einsetzen.

Auf der Fläche von Citizens Forests bei Bönningstedt wurden aktuell nur etwa 300 Quadratmeter bepflanzt. Pascal Girardot sagt, das Interesse an seinem Verein sei groß. Mehr als 50 Mitglieder gibt es schon: "Das Konzept von Citizens Forests wird auch in anderen Städten umgesetzt. Rund um Hamburg und Ende November bei Berlin. Viele Gruppen gründen sich jetzt gerade, von Bremen über Frankfurt bis nach München und in der Schweiz." Das sei aber nicht nur ein schönes Gefühl, sondern bedeute auch Druck. Denn Pascal Girardot organisiert alles neben seinem Job in einer ganz anderen Branche. Die nächsten beiden Projekte der kommenden Wochen sind dann jeweils zehnmal so groß wie das Feld neben der A7. Die freiwilligen Helfer dort sind trotzdem zufrieden, so wie Gaston Pukies, der mit seiner Familie dabei war: "Ich bin IT-Projektmanager und jetzt habe ich dreckige Hände", lacht er. "Ich glaube, das erdet im wahrsten Sinne. In unserer Lebensrealität sind wir mit so komischen Sachen beschäftigt, dass wir manchmal die Bodenhaftung verloren haben, und das hier bringt uns zurück. Gleichzeitig tun wir was für die Kinder."

Neue Bäume pflanzen - immer sinnvoll?

In Bönningstedt wird ein neuer Wald gepflanzt. © NDR Foto: Tobias Senff
Auf einem Feld bei Bönningstedt im Kreis Pinneberg an der A7 entsteht ein neuer Urwald mit der Unterstützung vieler Freiwilliger.

Nicola Uhde vom BUND in Berlin ist Expertin für Waldpolitik und sagt, dass für Aufforstungsprojekte keine andere Natur vernichtet werden sollte, wie etwa wertvolle Orchideenwiesen oder alte Moore. Gleichzeitig sollte es Maßnahmen geben, um Monokulturen, etwa reine Nadelwälder, umzubauen. Auch eine sinnvolle Raumplanung wäre toll, um Wälder zu verbinden: Junge Bäume bräuchten in den ersten Jahren auch Schutz, weil sie sonst abgefressen werden. Wichtig sei auch, was gepflanzt wird. Einheimische Mischwälder seien zukunftsfähig, Obstbäume hingegen nicht überall sinnvoll.

Auch kritische Projekte darunter

Waldaufforstungsprojekte gibt es nicht nur in Deutschland und Europa, sondern beispielsweise auch in Südamerika oder Afrika. Laut Nicola Uhde seien regionale Projekte für Unterstützer*innen natürlich besser zu kontrollieren als ausländische. Es habe im Ausland schon Fälle von Landgrabbing gegeben. Dabei wird Land enteignet und bepflanzt, weil die Eigentumsrechte von Einwohnern oft nicht konkret festgehalten wurden. Korrupte Regierungen und Organisationen können da richtig Kasse machen. Wer sich trotzdem im Ausland engagieren will, dem hilft der Korruptionsindex. Er kann Anhaltspunkte über die Lage in fernen Ländern liefern.

CO2-neutrales Handeln ist eine Illusion

Immer mehr Unternehmen werben mittlerweile damit, beispielsweise für jeden verkauften Pullover einen Baum pflanzen zu wollen. Auch die Belastung durch Flugreisen soll durch das Pflanzen von Bäumen ausgeglichen werden. Können Verbraucher*innen so also Öko-Sünden ausgleichen? Handelt es sich bei all diesen Projekten um Greenwashing? Laut Uhde wollen viele Unternehmen ein gutes Gewissen verkaufen. Um einschätzen zu können, ob das Projekt sinnvoll ist, helfe oft einfache Logik: Ein Flugzeug bläst große Mengen Abgase in die Atmosphäre. Bis die gepflanzten Bäume das umgewandelt haben, dauere es Jahrzehnte. Ein anderes Beispiel seien Logistikunternehmen, die "CO2-neutrale" Pakete liefern wollen. Eine Handlung könne nie CO2-neutral sein, das solle man sich immer bewusst machen, kritisiert Waldexpertin Uhde.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 07.10.2021 | 10:09 Uhr

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