Lösung für die Pisa-Misere? Wie eine Schule in SH Lesekompetenz fördert
Lesepatenschaften und Nachhilfe in Kleinstgruppen: Eine Schule in Kiel versucht, frühestmöglich Lernrückstände bei ihrer Schülerschaft aufzufangen. Aber: Der Einfluss der Schule ist begrenzt.
"U-n-ter-schied, un-ter-schiedliche", ein kompliziertes Wort, findet Nina. Aber die Viertklässlerin lässt sich nicht entmutigen und bahnt sich weiter ihren Weg durch Silben, Wörter und Sätze. Nur ganz selten hilft Mia aus, die neben ihr auf einem kleinen Sofa im Klassenraum sitzt. Das Heft halten die beiden Mädchen gemeinsam in den Händen. Lesetraining in der Max-Tau Grund- und Gemeinschaftsschule in Kiel Mettenhof. Die älteren Schülerinnen und Schüler aus der siebten bis neunten Klasse kommen einmal die Woche als Lesepaten zu den Kleineren in die Klasse.
Ohne Lesen auch kein Rechnen
Die "Lesestunde" hatte die Schule schon lange vor den Pisa-Ergebnissen der vergangenen Woche eingeführt. "Lesen ist der Schlüssel für alle Bereiche", sagt Schulleiter Dieter Lange, "Wenn ich eine Sprache nicht verstehe, kann ich auch in Mathe oder Naturwissenschaften keine guten Ergebnisse erzielen." Das belegt auch die Pisa-Studie, bei der die deutschen Schüler und Schülerinnen im internationalen Vergleich so schlecht wie nie zuvor abgeschnitten haben. Sowohl im Lesen als auch in Mathematik und Naturwissenschaften handle es sich um die niedrigsten Werte, die für Deutschland jemals im Rahmen von Pisa gemessen wurden.
Die Max-Tau Grund- und Gemeinschaftsschule versucht, so früh wie möglich gezielt das Lesen zu fördern - mit Erfolg: Seit zwei Jahren üben Nina und Mia zusätzlich zum Unterricht gemeinsam und das Formulieren gelingt immer flüssiger. "Zuhause lese ich nicht so viel", sagt die Zehnjährige. So geht es vielen Klassenkameradinnen und -kameraden. "Die Kinder lesen nicht nur weniger in ihrer Freizeit, sie schreiben auch kaum mehr. Ich erlebe, dass alles über soziale Medien und Tablets funktioniert. Die Kinder schicken sich Sprachnachrichten oder kurze Videos. Das sind alles gehörte Dinge", sagt Lehrerin Katrin Kampovsky, geschriebener Text begegne den Kindern im Alltag kaum noch.
Training in Kleinstgruppen
Ein weiterer Faktor: In etwa der Hälfte der Elternhäuser der Max-Tau-Schülerschaft wird nicht deutsch gesprochen. Auch deshalb erhält die Schule zusätzliche Förderungen vom Land. Damit kann Schulleiter Lange drei weitere Lehrkräfte finanzieren. Das ermöglicht zum Beispiel gezieltes Training in Kleingruppen, wie bei Lisa Amann. Die Lehrerin sitzt mit vier Erstklässlern in einem Kreis und die Kinder würfeln Silben auf dem Boden. Gemeinsam sprechen sie nach. "Die Kinder brauchen Mut, um aus sich herauszukommen. Das gelingt in so einer kleinen Runde viel leichter", sagt Lisa Amann. Es sei wichtig, früh Lernrückstände zu erkennen, sonst gerieten Kinder schnell in eine Schleife aus Schulfrust und Angst, zu versagen.
Überrascht haben die Ergebnisse der Pisa-Studie den Schulleiter und die Lehrerinnen nicht. Schon vor Corona konnten sie eklatante Rückstände erkennen - die Pandemie mit dem Homeschooling habe das Problem nur verschärft.
"Wir brauchen Ganztagsbetreuung"
Gemeinsam sehen die Kollegen auch eine Chance in den schlechten Ergebnissen: Pisa bestätige, wie wichtig Ganztagsbetreuung sei. "Unsere Einflussmöglichkeiten als Schule sind nur begrenzt, den Großteil verleben die Kinder in Freizeit und Familie", sagt Katrin Kampovsky. Es brauche mehr Unterstützung für die Kinder und Jugendlichen abseits des Unterrichts.
"Wir brauchen verbindliche Nachmittagsbetreuung", unterstützt Schulleiter Lange. Denn das hat Pisa auch gezeigt: Der Zusammenhang zwischen Elternhaus und Schulerfolg hat sich in Deutschland weiter verstärkt. Kinder, denen bei Hausaufgaben zuhause geholfen werden kann, sind bevorteilt. Bislang gibt es das Ganztagsangebot an der Schule in Mettenhof nur für die jüngeren Kinder. Die Warteliste ist lang. Doch mit den Pisa-Ergebnissen könnte neue Bewegung in die Überlegungen und Finanzierung kommen.