Sendedatum: 02.09.2020 23:20 Uhr

Unmöglich: freie Berichterstattung auf den Philippinen

von Barbara Jung

Die Reporterin Jacque Manabat ist eine von 11.000 Mitarbeitern bei ABS-CBN, die ihren Job verlieren könnten. Die 33-Jährige arbeitet seit zwölf Jahren für das Unternehmen, ihre Familie ist von ihrem Gehalt abhängig: "Ich könnte meiner Mutter die Krankenhausrechnungen nicht mehr bezahlen, meine Geschwister könnten nicht weiter studieren, ich weiß nicht, wie es dann weitergehen soll."

Manabat ist enttäuscht von der philippinischen Regierung. Präsident Rodrigo Duterte stelle seinen persönlichen Rachefeldzug gegen ABS-CBN über das Wohl der Philippiner. Er sei dabei, das Land zu zerstören.

Dutertes "Vendetta" gegen ABS-CBN

Die philippinische Journalistin Manabat.
In bedrohlicher Lage: die philippinische Journalistin Manabat.

Das philippinische Parlament hatte dem Netzwerk im Juli die Sendelizenz nicht verlängert. Dahinter wird Präsident Duterte vermutet. Von einer persönlichen "Vendetta" Dutertes gegen ABS-CBN - einer Privatfehde - spricht Phil Robertson von Human Rights Watch. Duterte habe das Netzwerk mit aller Macht zerstören wollen.

Der Präsident hatte seit seinem Amtsantritt immer wieder gegen den Sender gehetzt und mit Lizenzentzug gedroht. Das Netzwerk mit mehr als 40 TV-Sendern und 18 Radiostationen gehört der einflussreichen Lopez-Familie. Ohne Sendelizenz gehen dem Privatunternehmen die wichtigsten Werbeeinnahmen verloren.

Kündigungen mitten in der Corona-Krise

Tausende Mitarbeiter von ABS-CBN, dem größten und ältesten TV-Netzwerk der Philippinen, haben bereits ihre Kündigung erhalten. Weitere sollen folgen. Die Abendnachrichten zeigen, wie sich Mitarbeiter weinend in die Arme fallen.

Die Arbeitslosigkeit auf den Philippinen liegt derzeit bei 45,5 Prozent, sie könnte nun weiter steigen. Zahlreiche Programme des beliebten Netzwerks, darunter auch Nachrichtensendungen, werden mit dem heutigen Tag eingestellt - und das mitten in der Corona-Pandemie. Die Philippinen sind mit bis zu 5000 Neuinfektionen täglich derzeit das Land in Südostasien mit den meisten Corona-Infektionen.

Zu kritisch für Duterte

Vorschaubilder Sendungsvideos
Brutaler Agitator: der philippinische Präsident Duterte.

ABS-CBN hatte den Zorn von Präsident Duterte auf sich gezogen, weil es 2016 einige seiner Wahlwerbespots nicht ausgestrahlt hatte. Außerdem ärgerte sich Duterte über die kritischen Berichte zu seinem blutigen "Anti-Drogen-Krieg". 30.000 Menschen sind dem Morden nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits zum Opfer gefallen.

Auch Medienschaffende gerieten immer wieder in das Visier von Duterte: Er nannte sie "Müll" und rief ihnen "Fuck you" entgegen. Schon unmittelbar nach seiner Wahl hatte er klar gemacht, wohin die Reise geht: "Nur weil ihr Journalisten seid, seid ihr nicht von Tötungen ausgenommen".

Morddrohungen gegen Journalisten

Seit Jahren schon gelten die Philippinen als eines der gefährlichsten Länder für Journalistinnen und Journalisten weltweit. Seit 1986 wurden laut Angaben der Nationalen Journalistenunion mehr als 180 Medienschaffende ermordet, 16 allein während Dutertes Präsidentschaft. 

Auch ABS-CBN-Reporterin Manabat hat mehrfach Morddrohungen erhalten, aber sie fühlt sich dadurch nur zusätzlich motiviert. "Meine Mutter hat mich einmal gefragt, warum ich ausgerechnet Journalistin werden will, wo das auf den Philippinen so gefährlich ist. Um das zu ändern, habe ich gesagt." Jacque Manabat glaubt fest daran, dass sie das Land besser macht, indem sie Ungehörten mit ihrer Arbeit eine Stimme gibt. Gerade während der Corona-Krise.  

Pressefreiheit im freien Fall

"Eigentlich hat die Pressefreiheit auf den Philippinen eine lange Tradition", sagt Phil Robertson von Human Rights Watch. "Aber seit Duterte an der Macht ist, hat sie eine steile Talfahrt erlebt". Vor allem für ländliche Regionen war ABS-CBN eine wichtige, weil unabhängige Informationsquelle. Die Programme hatten etwa jeden zweiten Haushalt auf dem Archipel mit mehr als 7500 Inseln erreicht. "Für die Regionen ist das ein Desaster", sagt Phil Robertson.

Gerade die Ärmeren seien auf freie Fernseh- und Nachrichtenangebote angewiesen. ABS CBN könne zwar im Netz weitermachen, aber viele Philippiner könnten sich Internetzugänge nicht leisten. Was bleibt, sei eine regierungsfreundlichere Medienlandschaft und das Signal an andere Medienschaffende: Leg dich ja nicht mit dem Präsidenten an. "Andere sollen eingeschüchtert und in Selbstzensur getrieben werden", so Robertson. 

Politisch motiviertes Vorgehen gegen Journalisten

Ihm zufolge ist die Lizenzverweigerung für ABS-CBN ganz klar politisch motiviert. Genauso wie der Prozess gegen Maria Ressa, eine der schärfsten Kritikerinnen Dutertes. Die mehrfach ausgezeichnete frühere CNN-Reporterin und "Person of the Year 2018" ist Chefin des investigativen Nachrichtenportals "Rappler".

Ressa wurde im Juni wegen Verleumdung verurteilt. Ihr und einem Kollegen drohen bis zu sechs Jahre Haft. Hintergrund war die Anzeige eines Geschäftsmanns, der sich durch einen Rappler-Artikel diffamiert fühlte. Auch die größte philippinische Tageszeitung Daily Inquirer gerät zunehmend unter Druck.  

Zweites Aus für ABS CBN seit 48 Jahren

ABS-CBN wurde schon einmal die Lizenz verwehrt: 1972, als Präsident Ferdinand Marcos das Kriegsrecht ausrief. Was folgte, waren dunkle Jahre der Diktatur. ABS-CBN ging erst 1986 nach einem Volksaufstand und dem Sturz Marcos' wieder auf Sendung. 

Reporterin Jacque Manabat kann noch weiterarbeiten, rechnet aber bei jedem Anruf damit, dass nun auch ihr die Kündigung ins Haus steht. "Wir Journalisten sind es gewohnt, andere zu fragen, wie es ihnen geht. Niemand fragt uns. Aber wenn ihr es wissen möchtet: Ich glaube, ich kämpfe ums Überleben".

Mitarbeit: Yasmin Coles.

Weitere Informationen
Die philippinische Journalistin Manabat mit einem Kollegen.

Kritische Lage: Philippinische Journalisten

Die Philippinen sind unter Präsident Duterte eines der gefährlichsten Länder für Journalisten. Die Journalistin Manabat kehrt nach drei Monaten in Deutschland zurück in ihre Heimat. mehr

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ZAPP | 02.09.2020 | 23:20 Uhr

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