Schützt die Presse!

Sendedatum: 20.01.2021 23:20 Uhr

Eine Anfrage der Grünen zeigt: Die Politik weiß sehr wohl, dass die Angriffe gegen Medien zunehmen. Die Innenministerkonferenz tut aber: nichts. Das ist gefährlich.

Ein Kommentar von Daniel Bouhs

Na, erinnern wir uns noch an den „Hutbürger“? Als der im Sommer 2018 am Rande einer Demonstration ein Team des ZDF bedrängt und an der Arbeit gehindert hat, stoppte die Dresdner Polizei nicht ihn, sondern die Journalisten. Eine Viertelstunde nahmen sie ihre Personalien auf und hinderten sie so an ihrer Arbeit.

Dass die Polizei sich nicht unbedingt um auffällige Demonstrantinnen und Demonstranten kümmert, sondern die Berichterstattenden ausbremst, kam in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder vor. Im Archiv der "Tagesschau" findet sich etwa ein Beitrag, der dokumentiert: Am Rande einer IWF-Tagung in Berlin kesselten Beamten 1988 mehr als 20 Reporter eine halbe Stunde lang ein.

Demonstrationen sind für Berichtende zunehmend eine Risikozone

ZAPP Autor Daniel Bouhs © Christian Spielmann Foto: Christian Spielmann
ZAPP Autor Daniel Bouhs ärgert sich über die Lippenbekenntnisse der Politik.

Das sollte eigentlich anders sein, oder? Auch in den vergangenen Monaten waren Journalistinnen und Jourrnalisten immer wieder darauf angewiesen, dass Polizistinnen und Polizisten sie schützen. In Dortmund schlug im Mai 2020 ein Rechtsextremer einem WDR-Journalisten die Kamera aus der Hand. Am Rande von Hygienedemos, wie der Widerstand gegen die Corona-Schutzmaßnahmen anfangs noch bezeichnet wurde, wurden mehrfach Kameraleute attackiert.

Klar, nicht immer kann die Polizei ihre Augen überall haben und lückenlos präsent sein. Wenn die Beamten vor Ort sind, gehen sie aber manchmal sogar selbst viel zu weit, wie der Fall eines NonstopNews-Kameramanns zeigte: Ein Beamter drückte ihn im Herbst 2019 im brandenburgischen Treuenbrietzen gewaltsam zu Boden.

Als Medienjournalist gehe ich meistens nicht zu solchen Einsätzen, aber viele mutige Kolleginnen und Kollegen. Denen wünscht man, dass die Polizei ihnen hilft. Tatsächlich haben sich Presse und Politik schon 1993 als späte Folge der Erfahrungen rund um das Gladbecker Geiseldrama auf Verhaltensgrundsätze für Medien und Polizei geeinigt.

Das Versprechen der Innenminister

Weil die nicht mehr zeitgemäß sind, hat der Presserat der Innenministerkonferenz einen neuen Vorschlag vorgelegt. Das war Ende November 2020, nach den Erfahrungen am Rande der sogenannten Querdenker-Demos und nach den Vorfällen auch in Cottbus und Chemnitz.

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Polizist nimmt Personalien von Kameramann auf
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"Verhaltensgrundsätze" für Polizei und Presse

Zwischen der Polizei und den Medien wurden "Verhaltensgrundsätze" für die Zusammenarbeit vereinbart - bereits vor 25 Jahren. Nicht jeder scheint sie zu kennen, wie jüngste Vorfälle zeigen. 5 Min

"Angriffe auf Journalisten und Polizisten sind völlig inakzeptabel", sagte der damalige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thüringens Ressortchef Georg Maier (SPD). Man werde auf dem Treffen mit seinen Länderkollegen im Dezember auch über Angriffe auf Journalisten und Polizisten bei Demonstrationen sprechen.

Klingt gut, oder? Als würde die Politik das Problem ernstnehmen. Nun zeigt aber eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag: Die Politik weiß sehr wohl, wie sich die Lage entwickelt hat. Sie tut aber nicht das, was sie könnte.

Zahl der Angriffe auf Medienschaffende verdoppelt sich

In den Antworten , über die zunächst tagesschau.de und "Süddeutsche Zeitung" berichtet haben, liefert die Bundesregierung ein Lagebild. Demnach hat sich die Zahl der Attacken auf Journalisten mehr als verdoppelt. Der Kriminalpolizeiliche Meldedienst hält fest: Im vergangenen Jahr gab es 252 Straftaten, die sich "gegen Medien" richteten, 2019 waren es noch 104.

Reporter ohne Grenzen befürchtet schon länger, "dass die jüngsten Angriffe Medienschaffende verunsichern und diese im Zweifel weniger von Kundgebungen berichten". Und das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) hielt bereits im März 2020 fest: Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten seien "in Deutschland das neue Normal". 

Lippenbekenntnisse der Politik

Und was machen die Innenminister der Länder, wenn die Faktenlage für Medien bedrohlicher wird, auch Probleme im Umgang der Polizei mit Berichtenden bekannt werden und ihnen der Presserat einen konkreten Vorschlag vorlegt? Das erklärt die Bundesregierung auch: "Der Entwurf dieses Papiers wurde nicht auf der 213. Sitzung der Innenministerkonferenz behandelt."

Ich glaube, das nennt man Lippenbekenntnisse. Mehr nicht. Dabei, liebe Politik vor allem in den Ländern, ist es eure originäre Aufgabe, nicht nur eure Beamten zu schützen, sondern auch die Freiheit der Presse. Das ist nämlich - Achtung! - ein Grundrecht. Gewalt übrigens nicht. Also: Mal ran!

 

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Ein Hamburger Polizist steht neben einem Streifenwagen. © DPA/Picture Alliance Foto: Marcus Brandt

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ZAPP | 20.01.2021 | 23:20 Uhr

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