Reichelt in Rage – ZAPP gucken hilft
Das Medienmagazin ZAPP hat eine Anfrage an BILD geschickt, über die sich Chefredakteur Julian Reichelt bei BILD TV aufregt, noch bevor der Film von ZAPP überhaupt veröffentlicht wurde.
Ein Kommentar von Redaktionsleiterin Annette Leiterer
"ZAPP, für alle, die es nicht gucken, viele gucken es nämlich nicht, ist ein Medienmagazin des NDR, das sich besonders gerne immer wieder kritisch mit BILD beschäftigt", erklärte Chefredakteur Julian Reichelt gestern bei BILD TV und ich wage die Vermutung, dass danach eher mehr als weniger Menschen den ZAPP-YouTube-Film angesehen haben. Worum ging's?
Zwei ZAPP-Reporterinnen sind ins Ahrtal gefahren mit der Frage: Was kann und was muss Journalismus im Ahrtal jetzt eigentlich leisten? Dafür hat ZAPP auch bei BILD angefragt, ob wir die BILD-Reporter – schließlich hat BILD neuerdings ein eigenes Büro dort – begleiten dürfen. Durften wir nicht. Auch in Ordnung. Vor Ort trafen die Reporterinnen neben vielen anderen Bewohnerinnen und Bewohnern, Geschädigten und Journalisten auch jemanden, der sich über die BILD im Ahrtal aufregt: Den Lehrer Christoph Amediek aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. In einem Leserbrief an mehrere Zeitungen hatte er seinem Ärger Luft gemacht und zu ZAPP dann Folgendes gesagt: "Wenn man sich nur die Überschriften anschaut, dann geht es immer darum, dass irgendwelche Stellen versagt hätten. Dann bedienen sie ja genau ein Narrativ, was im Moment die ganze Zeit von queren und rechten Kreisen bemüht wird. Ja, ganz genau. Und da muss ich sagen, dann ist vielleicht auch das privatwirtschaftliche Unternehmen BILD einfach nur daran interessiert, eine gewisse Klientel als Kernklientel zu halten."
Ein harter Vorwurf. Dazu wollten wir BILD zu Wort kommen lassen und haben um eine Stellungnahme gebeten.
Alle Seiten hören – selbstverständlich. Und natürlich haben wir die Antwort von BILD im Beitrag zitiert. Doch noch bevor die Reportage überhaupt veröffentlicht war, warf BILD in einem Online-Artikel ZAPP und dem NDR eine "Attacke gegen kritischen Journalismus vor". Kurz darauf legte Julian Reichelt bei BILD TV noch einmal nach. Auch Personen, die sich zurückgenommen auszudrücken pflegen, könnten diese 6-Min-Einlassung des BILD-Chefs als "emotional" charakterisieren.
ZAPP-Anfrage bei BILD TV. Wie kann das sein?
Bei der Erklärung hilft ZAPP. Erst im August erklärte BILD TV-Programmchef und Mitglied der Chefredaktion Claus Strunz, wie BILD TV zu seinen Themen kommt: "Unser Navigationssystem durch den Tag ist, was uns bewegt, was uns aufregt, wo wir glauben, dass man den Finger heben muss und darauf hinweisen muss, was uns gut unterhält, worüber wir uns freuen." Getreu diesem Sendemotto hat sich Julian Reichelt nun ganz offensichtlich aufgeregt über die ZAPP-Anfrage: "Was hatten wir gestern da für eine Anfrage bekommen: ZAPP war also jetzt auch in den Flutgebieten, um darüber zu berichten, wie wir berichten." Meinte er und fuhr fort: "Natürlich mag ZAPP keinen regierungskritischen Journalismus. Natürlich möchte man bei ZAPP lieber, dass gefeiert wird, was die Regierung sagt, dass für richtig erklärt wird, was die Regierung sagt, wie es viel zu oft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen passiert." Und da steckt nun wirklich viel drin für ZAPP: Viele Falschaussagen. Aber wie mache ich das jetzt, ohne LeserInnen mit seitenlangen Abhandlungen zu nerven? Das Öffentlich-Rechtliche feiert in der Flutkatastrophe die Regierung. Dazu nur einmal die Ergebnisse einer kurzen Netzrecherche:
Liveticker, ein SWR extra vom 10.8.: Hochwasser: Hilfen für die Flutopfer oder auch diese Beiträge von tagesschau.de: "Viele scheitern schon am Antrag", "Hat der Katastrophenschutz versagt?" und "Scharfe Kritik am Krisenmanagement".
Und: ZAPP mag keinen regierungskritischen Journalismus, echt jetzt? Als Medienmagazin berichten wir – oh Wunder – viel über Medien, nicht immer über Regierungshandeln. Aber die Regierung kommt vor, auch bei uns. Da geht es dann zum Beispiel um Versuche der Einflussnahme der Politik auf Medien oder um Regierungs-PR, die als Journalismus daher kommt. Wer sich einen Eindruck verschaffen will, dem sei das Dossier Medienpolitik von ZAPP empfohlen. Die Behauptung, dass ZAPP oder gar der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk regierungstreu berichten, stimmt nicht. Reichelt belegt das auch nicht.
Er wiederholt es nur immer wieder
Im ZAPP-Beitrag über BILD TV meinte Reichelt schon, andere Medien würden die Regierung nicht kritisieren, was er als gesellschaftlichen Missstand empfinde, aber als Marktlücke für sich. Warum wiederholt er das? Und wieder lohnt sich ein Blick ins ZAPP-Archiv: Die von BILD wenig geschätzte Spachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling hat das bei ZAPP mal ganz gut erklärt, was passiert, wenn falsche Behauptungen ständig wiederholt werden:
"Lügen sind interessant, weil sie oftmals hoch emotional aufgemacht sind, und das Gehirn, wenn es eine Lüge einmal hört, zweimal hört, dann merkt es vielleicht noch auf und sagt ja, Moment mal, stimmt das alles so ganz? Und dann beim dritten, beim vierten, beim fünften Mal ergeben sich Einschleifprozesse im Gehirn und ein Wiedererkennungseffekt. Egal, ob die Sache wahrhaft ist oder eine Lüge. Und dann sagt das Gehirn irgendwann, ist mir viel zu anstrengend, ist für mich jetzt eine Wahrheit."
Aber zurück zu Julian Reichelts Aufregung. Er scheint getroffen: "Niemand kommt darauf, vielleicht einfach mal zu sagen, dass es dort Missstände gibt – auf die Idee kommt man gar nicht bei unseren öffentlich-rechtlichen Freunden." Doch doch, nur für diese Erkenntnis hätte der Bild-Chef auf den Film warten müssen, der zum Zeitpunkt der ZAPP-Anfrage eben noch nicht fertig war – sonst hätte die Anfrage ja auch wenig Sinn ergeben. Er hat aber nicht gewartet, sondern allein die Anfrage zum Anlass genommen, sich aufzuregen. Die Reporterinnen bei ZAPP kommen nämlich zu dem Schluss: "Es ist erstmal gut, dass viele Medien hier sind. Um zuzuhören und Informationen zu überprüfen." Das gilt auch für BILD.
Und noch was zum Sinnieren: Der Chefredakteur des "Compact" Magazins Jürgen Elsässer, dessen Blatt der Verfassungsschutz als rechtsextremen Verdachtsfall beobachtet, lobte im ZAPP Interview ganz ausdrücklich die BILD und ihre Berichte im Ahrtal: "Da sehen wir uns nicht als Konkurrenz, sondern als synergetischer Partner," meinte Elsässer. Seine Fans kann man sich nicht aussuchen, seine Kritiker auch nicht.