Mehr als lustige Überschriften: 40 Jahre "taz"
In einer ruhigen Wohnstraße in Berlin-Charlottenburg wurde Ende der 70er Jahre die Revolution für den deutschen Zeitungsmarkt ausgerufen. Zumindest sahen das die Mitbegründer der Tageszeitung "taz" so: Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und Publizistin Ute Scheub. Wo heute ein Beauty-Salon für Permanent Make-up wirbt, wurde vor 40 Jahren zum ersten Mal von links gegen das Establishment angeschrieben. Mit scharf angespitzter Feder: "Weil wir die Welt verändern wollten. Und das ging nur, wenn man das radikal macht", erinnert sich Ströbele. Und seine ehemalige Kollegin Scheub ergänzt: "Normale Zeitungen gab es ja auch schon en masse. Von denen fühlten wir uns einfach nicht vertreten. Wir waren aktiv in Bürgerbewegungen, in der Frauenbewegung, in der Friedensbewegung - und dafür haben wir uns eine Zeitung gewünscht."
Linkspolitische Ideale, niedrige Gehälter - damals wie heute
Sie sollte vor allem unabhängig sein, sich rein aus dem Verkauf, nicht aus Anzeigen kapitalistisch getriebener Konzerne finanzieren. Der Preis dafür: niedrige Gehälter. Bis heute bekommen die "taz"-Redakteure mitunter nur die Hälfte des Tariflohns. Antrieb sind bis heute die eigenen linkspolitischen Ideale, auch wenn die Zeitung dabei vor allem in den ersten Jahren nach ihrer Gründung manchmal über das Ziel hinausschoss. Pädophilie wurde einst als freie Liebe interpretiert. Häufig verwischten die Grenzen zwischen Aktivismus und Journalismus. Zum Beispiel startete die Zeitung dem Spendenaufruf "Waffen für El Salvador" für militante Guerillas. Die "taz" sammelte mehr als 4 Millionen Mark ein, einen Teil brachte Hans-Christian Ströbele persönlich nach El Salvador: "Also wenn wir das heute machen würden, wäre ich wahrscheinlich nicht hier, sondern in Moabit im Gefängnis. Weil heute ist die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung ein Straftatbestand."
"taz" setzte früh auf visionäre Themen wie Frauenrechte und Klimaschutz
Wie ein roter Faden ziehen sich bestimmte Themen durch die Geschichte der "taz", über die mittlerweile viele Medien schreiben: Klimaschutz, Frauenrechte, soziale Bewegungen und Migration, stets versehen mit einer klaren Haltung und der Suche nach dem utopischen Ideal. Kritiker wünschen sich heute wieder mehr davon und vermissen das Visionäre der "taz", die längst im Establishment der deutschen Medienlandschaft angekommen ist. Die stellvertretende taz-Chefredakteurin Katrin Gottschalk meint dazu: "Die alten 'taz'-Themen, die besetzen wir immer noch. Ich finde auch, kenntnisreicher und tiefer als andere Medien das machen." Aber auch sie gibt zu, dass die "taz" neue Themenfelder identifizieren und sich zu eigen machen müsse, etwa alles rund um digitale Demokratie. "Was passiert mit dem Netz, wenn verschiedene Konzerne eine schier unbrechbare Monopolstellung einnehmen. Das ist eines der großen Themen unserer Zeit, und da sehe ich viel Chancen für die 'taz', da neue Perspektiven mit reinzubringen", sagt Gottschalk.
Die gedruckte "taz" wird abgeschafft, die Zukunft ist online
Beim Thema Digitales will die 'taz" außerdem bald eine neue Revolution auf dem Zeitungsmarkt anstoßen: Ab 2022 soll es die Zeitung auf Papier nur noch am Wochenende geben - unter der Woche erscheint sie dann nur noch digital. Der Verlag will damit Vertriebs- und Druckkosten einsparen und sich mit diesem radikalen Schritt quasi selbst zwingen, mit neuen Online-Bezahlinhalten mehr Leser zu gewinnen. Erste Ideen flossen in einen großen Innovationsreport, den die stellvertretende "taz"-Chefredakteurin Katrin Gottschalk mit verantwortet hat. Sie weiß, dass die "taz" in ihrer Online-Strategie anderen Medien hinterherhinkt - bei keiner anderen Zeitung sinkt derzeit die Online-Reichweite wie bei der "taz". "Die Marke ist stark, wir müssen es dann nur schaffen, die Artikel online so auszuspielen, dass die Leute auch die Artikel lesen."
Crowdfunding 1.0: Genossen als treue Unterstützer
Eine treue Leserschaft ist ihr nach wie vor hier gewiss: Mit ihren mittlerweile mehr als 18.000 Genossen, die Anteile am Verlag halten und ihr damit eine feste finanzielle Basis ermöglichen. Als einzige Zeitung wandelte sich die "taz" 1992 in eine Genossenschaft um, quasi Crowdfunding und Community-Building der ersten Stunde. An den Gedanken, in vier Jahren keine gedruckte Ausgabe mehr täglich am Frühstückstisch zu lesen, können sich viele nicht so richtig gewöhnen, so das Stimmungsbild auf der jährlichen Genossenschaftsversammlung Mitte September: "Ich habe selber auch lieber ein Papier in der Hand und würde nicht gerne nur digital lesen. Ich denke, man muss, solange es geht, zweigleisig fahren", sagt eine Abonnentin. Ein anderer zeigt sein Verständnis nur zähneknirschend: "Ich bin in dem Alter, in dem man es gerne rascheln hört. Aber ich kann verstehen, dass es aus Kostengründen ein Auslaufmodell ist."
Die Redaktion zieht um - und lässt Diekmanns Phallus zurück
Für ein neues Kapitel steht auch der baldige Umzug: Raus aus der Rudi-Dutschke-Straße, hinein in einen Bau aus viel Glas, Beton und Stahl in der Friedrichstraße. Nur das Kunstwerk in Form eines riesigen Phallus von Kai Diekmann, ehemaliger "Bild"-Chef und einstiger Erzfeind, darf nicht mit. Dieses sei mittlerweile eine Touristenattraktion, ein Umzug des Gemächts wäre daher verwirrend, scherzt Katrin Gottschalk. Für Ideen zu neuer aussagekräftiger Kunst im neuen Verlagshaus sei man aber durchaus offen.
Dass ihre Zeitung nun tatsächlich 40. Geburtstag feiert, überrascht ihre Gründer. "Wir waren ja wirklich jeden Tag froh, dass überhaupt eine Zeitung rauskam. Das war unser tägliches Wunder", sagt Ute Scheub. Und Ströbele ergänzt: "Jahr um Jahr ging ins Land. Man konnte es kaum begreifen, wie das geklappt hat."