Maaßen und die "links grüne Propaganda" - ein Faktencheck
Hans-Georg Maaßen (CDU) zitiert auf Twitter eine falsche Quelle, um gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu wettern. Es hat nie eine Sonntagsfrage von "infratest dimap" unter Volontären gegeben.
In einer Videokolumne hatte CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg Maaßen erst kürzlich über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk behauptet: "Wir haben linke Journalisten und grüne Journalisten, die ihren Auftrag nicht mehr ansehen, ausgewogen zu berichten, sondern Propaganda zu verbreiten und zu agitieren." Die Menschen hätten immer noch nicht begriffen, dass es sich bei "Tagesthemen", "Tagesschau" und "heute" weniger um Berichterstattung als um Propaganda handele. Dafür wurde er von vielen Seiten kritisert, unter anderem vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Am Freitag legt er auf Twitter nach und verteidigt seine Aussagen, will ihnen offenbar eine seriöse Faktenbasis geben:
#DJV meint, ich würde „medienfeindlich“ „herumschwurbeln“, 90 % der Journalisten im ÖRR seien für Grüne, Linke und SPD. Hierzu Infratest Sonntagsfrage aus 5/2020 zu Volontären der ARD: 57 % Grüne, 23,4 % SED/Linke, 11,7 % SPD, 7,9 % Rest. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1184876/umfrage/sonntagsfrage-ard-volontaere/
Doch diese Aussage stimmt so nicht. Es gab keine "Infratest Sonntagsfrage zu Volontären der ARD", weder im Mai 2020 noch davor oder danach. Das bestätigt "Infratest dimap" auf Nachfrage von ZAPP: "Eine Sonntagsfrage mit Volontären der ARD hat es nie gegeben", teilt das Meinungsforschungsinstitut mit.
Maaßen könnte das wissen, hätte er sich die Mühe gemacht, die ursprüngliche Quelle für diese Umfrage, einen Artikel in der Fachzeitschrift "journalist" vom 4. November 2020, aufmerksam zu lesen. Urheber der Zahlen ist eben nicht "infratest dimap", sondern eine Volontärin und zwei Volontäre der EMS, die Ausbildungsstätte des rbb. Diese hatten im Mai 2020 innerhalb eines Datenprojekts lediglich eine Umfrage unter ihren damaligen Volo-Kolleginnen und Kollegen von ARD, Deutscher Welle und Deutschlandradio durchgeführt. Der Saarländische Rundfunk und das ZDF hatten damals keine Volontäre in Ausbildung.
Insgesamt gab es zu dem Zeitpunkt 183 öffentlich-rechtliche Volontärinnen und Volontäre. Davon kontaktierten die Autoren 150, von denen wiederum nur 77 überhaupt auf die Frage zu ihrer Wahlentscheidung antworteten. Die statistische Aussagekraft dieser Sonntagsfrage für die Grundgesamtheit - also alle 183 Volos - ist damit mehr als fragwürdig. Dennoch werden die Ergebnisse seither immer wieder als vermeintlicher Beleg für eine politische Linksneigung des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks verwendet.
Irrtum bei Statista
Das von Maaßen verlinkte Online-Portal "Statista" hatte irrtümlich "infratest dimap" als Urheber dieser Zahlen angegeben, wie "Statista" gegenüber ZAPP einräumt: "Aufgrund einer missverständlichen Darstellung in der Ursprungsquelle wurde bei der verlinkten Statistik fälschlicherweise infratest dimap als Quelle der Volontärserhebung genannt. Die Quellenangabe wurde zwischenzeitlich korrigiert."
Text und Grafik im "journalist" stellen die Zahlen der Volontärsumfrage einer Umfrage von "infratest dimap" unter allen Wahlberechtigten zwischen 18 und 39 Jahren gegenüber. So habe wohl der Eindruck entstehen können, dass beide Umfragen von "infratest" stammten.
Daran, dass die Wahlentscheidung der damaligen Nachwuchsjournalistinnen und Journalisten nicht jener der Gesamtbevölkerung entspricht, ändert dieser Irrtum freilich nichts. Für Kommunikationswissenschaftler Gregor Daschmann von der Uni Mainz ist dieser Befund nicht neu, er sei auch kein Alleinstellungsmerkmal der Öffentlich-Rechtlichen. Ursächlich sind sowohl das journalistische Berufsbild als auch die Zugangsvoraussetzungen für die Volontariate. Der Journalismus sei insgesamt überdurchschnittlich akademisiert und ziehe Menschen an, die eines teilen: "Das idealistische Motiv, gesellschaftliche Missstände abschaffen zu wollen", heißt es im "journalist".
Über Vielfalt innerhalb der Ausbildungsprogramme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu diskutieren ist wichtig. Genau das war Ausgangspunkt der Volontärsumfrage, mit der sich nun die Gegner der Öffentlich-Rechtlichen munitionieren, allen voran Hans-Georg Maaßen. Doch dessen Umgang mit dieser Quelle scheint vor allem von politischen Absichten geleitet - und trägt damit kaum zu einer Versachlichung dieser Debatte bei.