Linksextremisten? Schule wehrt sich gegen Berichte
Ihre Schule, ein Hort des Linksextremismus? Dass ihre Lokalzeitung in diese Richtung berichtete, erfuhren Laura und ihre Mitschüler im Computerraum: "Ein Freund kam rein, zeigte uns die Zeitung und sagte: 'Guckt mal, was hier passiert ist'. Und wir so: Oh mein Gott, was ist jetzt passiert?! Wir waren richtig geschockt und haben dann erst mal alles durchgelesen." Das "Hamburger Abendblatt" berichtete mit der alarmistischen Überschrift "Linksextremisten agieren ungestört an der Schule" und einem Kommentar, in dem es hieß, die Schule rolle "Extremisten so den roten Teppich aus". Und weiter: "Entweder sind die verantwortlichen Lehrer so ahnungslos, dass man sich fragt, was sie ihren Schülern beibringen. Oder sie halten linken Extremismus (anders als rechten) für eine im Grunde gute Sache."
Vorwurf kam über AfD-Meldeportal
Ein harter Vorwurf. Woher er kam? Die AfD hatte über ihr Meldeportal, das auch viele Medien als "Schulpranger" kritisieren, einen Hinweis erhalten. Über ihre Bürgerschaftsfraktion stellte sie eine schriftliche Kleine Anfrage an den Senat. Schon darin war die Rede von "verfassungsfeindlichen linksextremistischen Aktivitäten" unter Duldung von Kollegium und Schulleitung. Als Beleg aufgeführt wurden unter anderem Aufkleber an einer Pinnwand in einem Klassenraum, Aufkleber an der Rückseite einer Wand im Eingangsbereich der Schule, Aufkleber und Plakate innerhalb des Schulgebäudes, der Schriftzug "ACAB" ("All Cops Are Bastards") an einer Wand im Gebäude sowie Fotos von Schülern. Eines davon zeigt Schüler, die in einem Klassenraum mit einem Transparent posieren, das sich ironischerweise gegen den "Schulpranger" der AfD richtet.
Zeitung rechtfertig Berichterstattung mit Eingriff der Schulbehörde
Die Schulbehörde schickte aufgrund der Anfrage ohne Rücksprache mit der Schulleitung mitten in den Ferien die Schulaufsicht los, die einige Sticker entfernen und den "ACAB"-Schriftzug übermalen ließ. Es sei gegen das politische Neutralitätsgebot an Schulen verstoßen worden, eine Fachlehrerkonferenz solle sich damit auseinandersetzen. "So oft passiert es nicht, dass die Schulbehörde die Schulaufsicht in eine Schule schickt, um das politische Neutralitätsgebot zu bewahren", rechtfertigt "Abendblatt"-Chefredakteur Lars Haider die Berichterstattung seiner Zeitung. "Ab dem Moment war es für uns eine Geschichte. Insofern sind wir da einfach die Überbringer der schlechten Nachricht und wollen niemanden in irgendeine Ecke stellen, sondern wir wollen diesen Vorgang einfach nur beschreiben."
Schulleitung weist Vorwürfe zurück
Die Schulleitung hingegen ist "entsetzt über diesen Artikel, gerade mit dieser reißerischen Überschrift", so Direktor Kevin Amberg, "die uns in eine linksextreme Ecke gestellt hat, und sinngemäß ja formuliert war: Schulleitung oder Lehrer dulden linksextreme Propaganda. Das hat uns entsetzt. Uns als Schulleitung, aber auch die Schülerschaft." Schließlich berichteten auch andere Medien, darunter der NDR. Die Schulleitung hat ihrerseits inzwischen in einer Stellungnahme klargestellt: Einige Sticker waren in einer schwer einsehbaren Ecke. Die Pinnwand war eine offizielle Aktion, um anschließend im Unterricht über die Sticker zu diskutieren - Pädagogik statt Propaganda.
"Abendblatt"-Autor löscht seinen "überzogenen" Kommentar
"Abendblatt"-Autor Jens Meyer-Wellmann räumt auf seiner Internetseite ein, manches aus der heutigen Sicht "überzogen formuliert" zu haben. Seinen "Abendblatt"-Kommentar hat er gelöscht. Darüber reden will er mit ZAPP aber nicht. Sein Chefredakteur Lars Haider hat dagegen eine klare Haltung: "Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre der Kommentar nicht gelöscht worden. Weil es ist ein Kommentar, das ist eine Meinung, die jemand hat. Es ist eine rein individuelle persönliche Entscheidung dieses Reporters gewesen. Dann hab ich gesagt: Okay, bitte nehmt es runter, wenn es ihm so wichtig ist."
Demonstration von Schülern und Eltern gegen Berichterstattung
Doch aus Sicht vieler Schüler, Eltern und Lehrer schaden diese ersten Berichte dem Ruf des Journalismus: Sie demonstrierten am vergangenen Sonntag in Hamburg zusammen mit ca. 3.000 Teilnehmern gegen die AfD und die Berichterstattung, die aus ihrer Sicht notwendigen und verfassungskonformen Antifaschismus kriminalisiere.
"Antifaschismus ist nicht Gewaltverherrlichung, sondern notwendig"
Die Schülerin Helia erläutert, warum die Berichterstattung viele so sauer macht: "Es ist sehr traurig zu sehen, wie unter anderem vom 'Abendblatt' der Wortlaut von der AfD übernommen worden ist. Und diese unreflektierte Berichterstattung ist sehr problematisch aus meiner Sicht. Wenn das erst mal in den Köpfen der Menschen ist, dann geht das nicht so schnell wieder raus. Und das ist schlimm. Weil Antifaschismus ist nichts, was irgendwie mit Gewaltverherrlichung in Verbindung gebracht werden sollte, sondern notwendig."
"Abendblatt" berichtete nicht über Schüler-Demo
Über die Demo der Schüler hat das "Abendblatt" nicht berichtet. Der einzige Fehler, den Chefredakteur Haider einräumt: "Dass wir über diese Demo nicht berichtet haben, das ist wirklich ärgerlich und das ist unser Fehler. Ansonsten schließ ich mich da dem an, was Jens Meyer-Wellmann, der Autor, geschrieben hat: Die Herangehensweise der Berichterstattung, so wie sie war, würden wir heute genauso wieder machen."
Das Vertrauen von Helias Freundin Laura wird er so nicht zurückgewinnen. Sie verteidigt ihre Schule: "Es gibt keinen Linksextremismus an unserer Schule. Unsere Schule hat nur Schüler, die interessiert sind an Politik und sich dafür einsetzen. Aber es ist kein Linksextremismus, wir werden ja nicht von den Lehrern dazu gezwungen oder die Antifa ist ja nicht an unserer Schule und rekrutiert Leute."