Eine blanke Ausgabe der Kyiv Post © Kyiv Post Foto: Oleg Petrasiuk

"Kyiv Post" - Laut statt stumm

Stand: 18.11.2021 14:30 Uhr

Der Besitzer der renommierten "Kyiv Post" hat seine gesamte Redaktion entlassen. Diese beklagt Eingriffe in ihre Unabhängigkeit - und macht jetzt alleine weiter.

von Konstanze Nastarowitz

Der Ort für das Skype-Interview ist ein bisschen laut und trubelig, aber gerade geht es nicht anders: Oleksiy Sorokin hat seit Montag, den 8. November, keinen ruhigen Arbeitsplatz mehr - und auch keinen Job. Der Journalist arbeitete drei Jahre lang als politischer Reporter für die englischsprachige "Kyiv Post", die seit 26 Jahren in der Ukraine als unabhängige Zeitung auf Englisch publiziert und vor allem für die internationale Gemeinschaft eine wichtige Informationsquelle darstellt. Am Morgen des 8. November wurde Sorokin vom Besitzer der Zeitung, dem Bauunternehmer Adnan Kivan, gefeuert - gemeinsam mit der gesamten Redaktion. "Uns wurde gesagt, dass wir das Büro am Montag verlassen müssen - das war unser letzter Tag", erinnert sich Sorokin.

Gesamte Redaktion an einem Tag gefeuert

Das bedeutete die Kündigung von 50 Leuten auf einen Schlag, schreibt die Redaktion auf einer nun neu eingerichteten Website "Save the Kyiv Post". Die Entscheidung überraschte die Journalisten und Journalistinnen. Auch wenn es vorher bereits einige Schwierigkeiten gegeben hatte, so habe man sich doch eher auf ein hartes Gespräch eingestellt, aber nicht darauf, dass die gesamte Redaktion ihren Job verliere, erzählt Sorokin im Gespräch mit ZAPP. Auf der Homepage der englischsprachigen Zeitung deutet nur ein kleiner Artikel auf die ungewöhnliche Entscheidung des Verlegers hin: "Kyiv Post closes on Nov. 8 'for a short time'" - "Die Kyiv Post schließt am 8. November für eine kurze Zeit." Kivan, der Verleger, wird zitiert mit den Worten: "Eines Tages hoffen wir, die Zeitung größer und besser wiederzueröffnen." Was ist da passiert?

VIDEO: Interview mit dem ukrainischen Reporter Oleksiy Sorokin (1 Min)

Redaktionelle Unabhängigkeit kann unbequem werden

In einem Statement der gefeuerten Redaktion in den sozialen Medien werden schwere Vorwürfe laut: "Wir sehen es so, dass der Besitzer unbequeme, faire und ehrliche Journalisten loswerden wollte." Von einem "Racheakt" ist die Rede. Der gefeuerte Journalist Oleksiy Sorokin glaubt: "Der Besitzer hatte einfach genug davon, mit einer unabhängigen Redaktion umgehen zu müssen, die ihm Probleme bereitet. Er ist eben derjenige, der die Anrufe bekommt. Wenn ich etwas über den Präsidenten oder die Generalstaatsanwältin oder so schreibe, dann bekomme nicht ich die Anrufe - sondern er und der Chefredakteur. Und ich glaube, davon hat er jetzt genug gehabt.” Diese Wahrnehmung schildern auch die gefeuerten Journalisten und Journalistinnen auf ihrer Website: Der Verleger Kivan habe sich mehrfach über Druck der Behörden beschwert infolge der Berichterstattung durch die "Kyiv Post". Der ehemalige Chefredakteur Brian Bonner vermutet in einem Interview mit der "Columbia Journalism Review", dass Kivan wohl nicht damit gerechnet habe, dass es Gegenwind bedeutet, wenn man ein wirklich redaktionell unabhängiges Medium besitzt. Gleichzeitig betont er in diesem Interview, Kivan habe auch im Vergleich zu vorherigen Herausgebern der "Kyiv Post" am wenigsten Einfluss genommen. Der Bauunternehmer kaufte die Zeitung im Jahr 2018. Er bezeichnet sich auf der Website seines Unternehmens als einen der 100 reichsten Ukrainer.

Hohe Standards in einer von Oligarchen dominierten Medienlandschaft

Die Ukraine befindet sich auf der Pressefreiheits-Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" (RSF) auf Platz 97 von 180. Viele Medien sind in den Händen von Oligarchen und sind laut RSF "vor allem Mittel im Kampf um wirtschaftliche und politische Macht".

Die "Kyiv Post" galt lange Zeit als anders, unabhängiger: Sie ist eben nicht in den Händen eines Oligarchen - das betont auch die Selbstbeschreibung auf der Homepage. Dort sind auch die journalistischen Standards der Zeitung aufgelistet.

"Reporter ohne Grenzen" erklärte in einem Statement, die Organisation befürchte, "dass die Kyiv Post vor allem aufgrund ihrer regierungskritischen Berichterstattung unter Druck geraten ist." Sie fordert Adnan Kivan dazu auf, die Zeitung zu verkaufen, denn nur so könne sichergestellt werden, dass sie unabhängig bleibt.

Auch der gefeuerte Politik-Journalist Oleksiy Sorokin betont die hohen journalistischen Standards, nach denen die Zeitung gearbeitet habe: "Wenn Sie kein Ukrainisch oder Russisch können, dann ist die "Kyiv Post" Ihre Hauptinformationsquelle. Wenn Sie ein Diplomat sind, oder eine Person, die sich einfach für die Ukraine interessiert, oder auch ein potentieller Investor - die "Kyiv Post" ist Ihre einzige Informationsquelle und deswegen ist sie so wichtig. Wir mussten immer alles doppelt und dreifach checken, haben für jede Zeile einen Faktencheck gemacht und waren so fair wie möglich, weil wir wussten: Für manche sind wir die einzige Stimme der Ukraine."

Und tatsächlich: Nachdem die Krise bei der "Kyiv Post" bekannt wurde, konnte man vor allem auf Twitter verfolgen, wie internationale Diplomaten und Diplomatinnen ihrer Enttäuschung und Sorge um die Pressefreiheit in der Ukraine Luft machten:

Diskussionen über Expansionspläne

Hinzu kam wohl auch noch ein Streit über den Führungsstil und Expansionspläne des Besitzers - vor kurzem soll er den Start einer ukrainischsprachigen Version der Zeitung angekündigt haben. Das Problem: Von diesem Schritt und dazugehörigen Personalentscheidungen erfuhren die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nach eigenen Aussagen erst im Nachhinein. Auf der neuen Website der gefeuerten Redaktion wird die Vermutung deutlich, Kivan könnte mit der ukrainischen Version der "Kyiv Post" versuchen, Geschichten zu veröffentlichen, die seinen Interessen dienen - und den Namen der Zeitung "beschädigen". "ZAPP" hat das Unternehmen von Adnan Kivan, die KADORR Group, um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten, aber keine Rückmeldung erhalten.

Das ehemalige Redaktions-Team der "Kyiv Post" will sich mit der Kündigung aber nicht zufrieden geben: In mehreren Gespräche habe man versucht, mit dem Verleger über einen Verkauf des Blattes zu reden, heißt es auf der Website der abgesetzten Redaktion. Herr Kivan habe abgelehnt. Stattdessen habe er angeboten, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch zur Zeitung zurückkehren könnten - dann allerdings unter einem neuen Manager. Das Team lehnte ab.

Neustart mit Newsletter

Sie hätten jetzt etwas Eigenes vor, erzählt Oleksiy Sorokin: Die ehemalige Redaktion hat einen Newsletter gestartet, schmiedet Pläne für einen Podcast und eine eigene Website. Etwa 30 ehemalige "Kyiv-Post"-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seien dabei, berichtet der ehemalige Mitarbeiter Sorokin.

Auf ihrer Website schreibt die abgesetzte Redaktion: "Wenn wir die Marke ‚Kyiv Post' nicht retten können, dann können wir zumindest ihre Werte retten." Sorokin sagt, die "Kyiv Post" war eine "sehr gute Schule für englischsprachigen Journalismus". Diesen Journalismus macht die abgesetzte Redaktion nun selbst weiter.

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