"Perspective Daily" will Lösungen bieten
Wer bei dem Wort "Start-up" an ein hippes Großstadt-Loft mit Möbeln aus Holzpaletten denkt, ist bei "Perspective Daily" an der falschen Adresse. Seit neun Monaten arbeiten die 25 festen und freien Mitarbeiter des Online-Magazins am Stadtrand von Münster in einem schmucklosen Gebäude im Industriegebiet. Kahle Wände, funktionelle Schreibtische, blauer Linoleum-Fußboden. Teure Kaffeemaschine? Fehlanzeige. Die braucht hier keiner. Geld und Motivation sollen komplett in Inhalte fließen und nicht in schicke Büromöbel und Schnickschnack, sagen sie. Für die Mitarbeiter ist "Perspective Daily" nicht einfach nur ein Online-Medium. Für sie ist "Perspective Daily" eine Vision. Eine Vision von einem anderen Journalismus: einem Journalismus, der Perspektiven aufzeigt.
Konstruktiver Journalismus als Leitmotiv
Seit Juni 2016 erscheint auf der Website "Perspective Daily" an jedem Werktag ein neuer Artikel für die Leser, die dafür einen Jahres-Mitgliedsbeitrag von 60 Euro zahlen. Die Inhalte reichen vom Klimawandel über Trump bis zur Nahostpolitik. Themen, wie man sie durchaus auch in großen Wochenzeitungen oder Nachrichtenmagazinen verfolgen kann. Aber die Macher von "Perspective Daily" verfolgen einen anderen Ansatz: Sie wollen konstruktiv berichten. Konstruktiver Journalismus soll ihnen zufolge nicht nur Probleme beschreiben, sondern vor allem Lösungen anbieten bzw. diskutieren.
Klassische Medien produzierten zu negatives Weltbild
Die klassische Medienlandschaft ist viel zu sehr auf Negativschlagzeilen fokussiert und zeichnet ein zu negatives Bild von der Welt, meint Maren Urner, promovierte Neurowissenschaftlerin und Mitgründerin von "Perspective Daily". Sie kritisiert, dass die Medienlandschaft mit ihrem "Negativitäts-Bias" das Weltbild der Rezipienten verzerre - und das psychologische Folgen haben könne. "Wenn wir lernen, dass die Welt nur schlecht ist und wir nichts dagegen ausrichten können, dann entsteht ein 'Zustand der gelernten Hilflosigkeit', wir werden zynisch und passiv", meint Urner. Und genau dagegen wollen die Autoren von "Perspective Daily" anschreiben.
"Es geht nicht ums Schönreden"
Ursprünglich sollte "Perspective Daily" eigentlich "Positive Daily" heißen. Und tatsächlich wurde das Online-Magazin in der Vergangenheit häufiger mit dem Vorwurf konfrontiert, Wohlfühl-Journalismus beziehungsweise positiven Journalismus zu betreiben. Dagegen wehrt sich Maren Urner ganz entschieden: "Es geht nicht ums Schönreden. Sondern es geht immer darum, das Problem zu verstehen. Aber eben auch kritisch zu hinterfragen und dann zu schauen: Wie kann es weitergehen?" Um die 150 Artikel stehen mittlerweile online. Wie konstruktiver Journalismus funktionieren soll, kann man in einem Text von Maren Urner nachlesen: In ihrem Artikel "Fakten, Fakten, Fakten? Nein!" meckert sie nicht etwa über den Klimawandel, sondern gibt Tipps, wie man Klimaskeptiker vom Klimawandel überzeugen kann.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Viele Artikel sind lang, sehr wissenschaftlich und kompliziert verfasst; auch wenn sie mit "Verständlichkeit" werben. Und manche Themen sind auch nicht wirklich neu. So erschien ein Text über die vorbildliche Klimapolitik Costa Ricas so ähnlich ein Jahr zuvor im "Tagesspiegel". Auch der Anspruch auf unterschiedliche Perspektiven wird nicht immer eingehalten: Die Argumentation des Artikels "Das Öl der Anderen" bezieht sich beispielsweise auf nur eine Quelle - das Buch "Blood Oil" von Leif Wenar. Und in einem der Texte, die sich bei "Perspective Daily" mit dem Thema Terrorismus befassen, wird behauptet, in Deutschland seien autofahrende Senioren gefährlicher als Terroristen. Das mag durchaus augenzwinkernd gemeint sein, erscheint aber angesichts der jüngsten Ereignisse nicht wirklich konstruktiv.
Redaktionsteam besteht aus Wissenschaftlern
Ein Grund für die langen und oft wissenschaftlich anmutenden Texte ist der akademische Hintergrund des Teams: Maren Urner hat "Perspective Daily" gemeinsam mit Han Langeslag, ebenfalls Neurowissenschaftler, und Bernhard Eickenberg, einem promovierten physikalischen Chemiker, gegründet. Eickenberg ist inzwischen aus dem Unternehmen ausgestiegen. Keiner der Autoren bei "Perspective Daily" ist den klassischen Weg mit einem journalistischen Volontariat gegangen. Stattdessen muss jeder, der für das Magazin schreibt, einen wissenschaftlichen Hintergrund haben. Das sehen sie hier als klaren Vorteil, da die Autoren so viel tiefer in ihre Themen eintauchen könnten, als klassische Journalisten. Für die leseroptimierte Aufbereitung von Inhalten kann das aber auch ein Nachteil sein.
Crowdfunding-Kampagne ermöglichte "Perspective Daily"
Die Gründer von "Perspective Daily" initiierten Anfang Januar 2016 eine zehnwöchige Crowdfunding-Kampagne, die den Start des Magazins finanziell möglich machen sollte. Prominente Unterstützung bekamen sie von Schauspielerin Nora Tschirner oder Ex-Fußballer Mehmet Scholl. Die Kampagne sorgte für großes Aufsehen - 12.000 Mitglieder und über eine halbe Million Euro später konnte "Perspective Daily" an den Start gehen. Mittlerweile zählt das Online-Magazin nach eigenen Angaben über 14.000 Abonnenten. Spannend wird es für das Team im Juni, wenn klar wird, welches Mitglied sein Abo um ein weiteres Jahr verlängern wird. Denn bislang finanziert sich das Magazin ausschließlich über seine Mitglieder, so die Geschäftsführer.