Faktencheck ZAPP-Talk: Welche ARD wollen wir?
In unserem ZAPP Talk mit Kai Gniffke, Heike Raab, Julia Jäkel und Yasmine M’Barek sind einige Fragen aufgetaucht, auf die wir an dieser Stelle noch einmal genauer eingehen wollen.
Wie repräsentativ war unsere Umfrage?
Zunächst einmal beklagt SWR-Intendant Kai Gniffke bei Minute 28: “Wenn wir jetzt nicht-repräsentative Umfragen zur Basis von Diskussionen machen, wie wir medienpolitische Entscheidungen treffen, dann kommen wir in den Wald.”
Die Meinungen des Publikums, die wir anhand von Zahlen und Grafiken in die Sendung eingebracht haben, stammen aus einer Umfrage unter 12.718 Menschen auf dem NDR-Umfrageportal #NDRfragt. Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings nach den statistischen Merkmalen Alter, Geschlecht, Bundesland und Schulabschluss gewichtet.
Das heißt: Antworten von Bevölkerungsgruppen, die unter den Befragten seltener vertreten sind als in der norddeutschen Bevölkerung, fließen stärker gewichtet in die Umfrage-Ergebnisse ein. Und die Antworten von in der Befragung überrepräsentierten Gruppen werden schwächer gewichtet. Insgesamt verteilen sich die Antworten dann am Ende eher so, wie es der tatsächlichen Verteilung der Bevölkerungsgruppen in Norddeutschland entspricht. Andere statistische Merkmale wie etwa der Migrationshintergrund werden nicht erfasst.
Woher kommen die Zahlen zur Verwendung des Rundfunkbeitrags?
Die Zahlen aus der Grafik, die in Minute 29 die anteilige Verwendung des Rundfunkbeitrags zeigt, stammen aus folgender Aufschlüsselung der ARD:
Den Anteil der Altersversorgung haben wir anteilig aus den Zahlen, die der aktuelle KEF Bericht liefert, errechnet.
In der Sendung haben wir einzelne Ausgabenposten miteinander verglichen, um eine Diskussion über die Verwendung der Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag anzustoßen. Der Anteil von ARD Aktuell (darunter versammeln sich alle Produkte der Tagesschau), liegt nach o.g. Aufschlüsselung der ARD bei 0,25€. Der Anteil für Kultur und Wissenschaft liegt bei 0,34€.
Die anteiligen Ausgaben für Sport oder die Altersversorgung sind demnach größer als das Budget für Kultur und Wissenschaft oder die Tagesschau, jedoch nicht größer als die Ausgaben für Journalismus insgesamt.
An dieser Stelle war die folgende Zuspitzung von Tilo Jung in Minute 31 nicht korrekt: “Ich würde gerne meinen Eltern sagen: dass, was Ihr jeden Monat zahlt, das fließt mehr in Journalismus, ins Programm, als in die Altersversorgung.”
Denn: Es wird auch über die in der Grafik aufgeführten Posten hinaus Geld für Journalismus und Informationsangebote in der ARD ausgegeben. Kai Gniffke hat mit seiner Aussage Recht, dass in den 25 Cent, die das Budget von ARD-Aktuell am Rundfunkbeitrag ausmacht, nicht die Zulieferungen aus zahlreichen Redaktionen der ARD-Rundfunkanstalten für Sendungen wie das ARD Morgenmagazin oder das Mittagsmagazin sowie die Kosten für die Auslandsstudios und die politischen Magazine der ARD enthalten sind (Minute 34).
Wie groß ist der Einfluss der Politik auf ARD und ZDF?
Zunächst noch einmal der Verweis auf unsere Umfrage, die die Grundlage für unsere Diskussion war: Wir haben die Teilnehmenden bei #NDRfragt nach dem Einfluss der Politik auf Auftrag und Verfasstheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefragt. Die genaue Frage lautete:
“In Deutschland bestimmen die Landesregierungen gemeinsam den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten sitzen auch Vertreterinnen und Vertreter der politischen Parteien. Wie viel Einfluss sollte die Politik Ihrer Ansicht nach auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben?” (Minute 64)
Uns ist wichtig zu betonen, dass sich die Frage nach dem politischen Einfluss, der in der Runde diskutiert wurde, auf die Zusammensetzung der Kontrollgremien von ARD und ZDF bezog. Es ging also explizit nicht um eine vermeintliche Einflussnahme auf das Programm oder redaktionelle Inhalte, wie sie oft fälschlich behauptet wird. Für eine solche Einflussnahme gibt es nach unserer Kenntnis keine Belege. Auch diesbezügliche Vorwürfe an das NDR Landesfunkhaus Kiel aus dem vergangenen Jahr haben sich nach zwei Untersuchungen nicht bestätigt.
Dennoch ist der Einfluss der Politik in den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten groß. In Minute 56 sagt Tilo Jung: “Es gibt Freundeskreise. Beim ZDF wird man nicht Intendant oder Chefredakteurin, wenn man nicht die SPD-nahen oder CDU-nahen Freundeskreise hinter sich hat.”
Tilo bezieht sich damit auf Hintergründe zur Wahl des amtierenden ZDF-Intendanten Norbert Himmler im Juli 2021. Im Interview mit dem Deutschlandfunk im Juni 2021 beschrieb Leonhard Dobusch, Professor an der Uni Innsbruck und Mitglied im Fernsehrat des ZDF, die “Freundeskreise” im 60-köpfigen Fernsehrat, der den Intendanten wählt, wie folgt:
Man spreche nur inoffiziell vom „roten und schwarzen Freundeskreis“, so Dobusch. Ersterer werde vom Verdi-Vorsitzenden und SPD-Mitglied Frank Wernecke angeführt, zweiterer von Franz Josef Jung, CDU-Politiker und ehemaliger Bundesverteidigungsminister.
Mitglieder des ZDF-Fernsehrates könnten sich frei aussuchen, ob sie einem der beiden „Freundeskreise“ beitreten wollen oder nicht: „Man bekommt am Anfang eine Einladung aus beiden Freundeskreisen und da, wo man dann hingeht, ist man dann dabei. Die Freundeskreise tagen parallel – man kann also nur zu einem hingehen oder auch zu keinem.“ Er habe sich zu Beginn für den „roten Freundeskreis“ entschieden, so Dobusch. Zwei Drittel der Mitglieder des ZDF-Fernsehrates seien seit seiner neuen Zusammensetzung 2016 nicht von vornherein klar parteipolitisch zuzuordnen.
Mitglieder der „Freundeskreise“ würden jedoch nicht automatisch einen bestimmten Kandidaten wählen – anders als in Parlamenten gebe es im Fernsehrat keinen Fraktionszwang.
Damit ist folgende Aussage von Tilo Jung vielleicht zugespitzt, aber keineswegs “Fake News”, wie ihm Heike Raab, die Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder, vorwirft.
Tilo Jung: “Kein Intendant kommt im ZDF auf seinen Posten ohne SPD- und Union-Stimmen. Das ist ein Fakt.” (Minute 59)
Für die Wahl einer Intendantin oder eines Intendanten braucht es 36 von 60 Stimmen des Fernsehrates. Es gilt eine drei Fünftel Mehrheit. Da das Gremium aber nur zu maximal ein Drittel mit staatsnahen Mitgliedern besetzt sein darf (Urteil des Bundesverfassungsgerichts, s.u), bleiben 40 Mitglieder, die andere gesellschaftliche Gruppen repräsentieren. Diese könnten sich theoretisch alle zusammenschließen und ohne Beteiligung der “staatlichen und staatsnahen Mitglieder” die Intendantenposition besetzen. Da die politischen Stimmen jedoch in den “Freundeskreisen” vertreten sind und diese maßgeblich zur Findung einer mehrheitlichen Entscheidung beitragen, ist es faktisch extrem unwahrscheinlich, dass der Posten ohne Stimmen von SPD oder CDU besetzt wird. Aber: “Schwarzer” und “Roter” Freundeskreis brauchen jeweils Stimmen des anderen Lagers, um “ihre” Kandidat:innen durchzubringen. Weitere Quellen: Tagesspiel, Süddeutsche Zeitung und Tagesspiegel.
Musste ein Chefredakteur auf Wunsch eines Ministerpräsidenten gehen?
Im weiteren Verlauf sagt Tilo Jung: “Der ZDF Chefredakteur Nikolaus Brender musste gehen, weil der CDU Ministerpräsident Koch wollte, dass er geht.” (Minute 56)
Im Februar 2009 wurde eine Debatte um den Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk laut, da die unionsnahe Mehrheit um den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) im ZDF-Fernsehrat den Vertrag von Chefredakteur Nikolaus Brender nicht verlängern wollte. Als Reaktion darauf entschied das Bundesverfassungsgericht 2014, den Anteil staatlicher und staatsnaher Mitglieder in den Aufsichtsräten auf maximal ein Drittel zu begrenzen.
In den Leitsätzen zum Urteil heißt es:
2. Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss als Ausdruck des Gebots der Vielfaltsicherung dem Gebot der Staatsferne genügen. Danach ist der Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien konsequent zu begrenzen.
a) Der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder darf insgesamt ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen.
b) Für die weiteren Mitglieder ist die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konsequent staatsfern auszugestalten. Vertreter der Exekutive dürfen auf die Auswahl der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben; der Gesetzgeber hat für sie Inkompatibilitätsregelungen zu schaffen, die ihre Staatsferne in persönlicher Hinsicht gewährleisten (Quelle).
Weitere Presseberichte zum Fall Brender hier:
Von der Politik in die Sender?
Tilo Jung: “Ulrich Wilhelm war aktiver Regierungssprecher von Angela Merkel und ist direkt gewechselt nach München als Intendant des Bayerischen Rundfunks. [...] Ulla Fiebig ist SWR Landessenderdirektorin Rheinland Pfalz beim SWR. Sie war früher Sprecherin, ich kenne sie noch aus der Bundespressekonferenz, von Franziska Giffey, ebenfalls SPD.” (Minute 56/57)
Auch diese Aussage stimmt. Ulrich Wilhelm wurde noch während seiner Zeit als Regierungssprecher zum Intendanten des BR gewählt. Bis Juli 2010 führte er noch sein Amt als Regierungssprecher aus und begann im Februar 2011 seinen Job als Intendant beim BR.
Die parteilose Journalistin Ulla Fiebig leitete bis September 2021 das Pressereferat des Bundesfamilienministeriums unter Franziska Giffey. Seit Februar 2022 ist sie nun Landessenderdirektorin im Funkhaus Mainz.
Parteipolitik auch im geplanten “Zukunftsrat”?
Im weiteren Verlauf der Diskussion geht es dann noch um die Besetzung des so genannten "Zukunftsrats", der die Rundfunkkommission der Länder im weiteren Reformprozess von ARD und ZDF beraten soll. Hier fragt Tilo Jung: “Es ist also falsch, dass jeweils vier Personen von unionsgeführten Bundesländern entsendet werden und jeweils vier von den SPD-geführten? Das ist falsch?” (Minute 66)
Die Koordinatorin der Rundfunkkommission Heike Raab entgegnet daraufhin: “Es wird einen gemeinsamen Vorschlag geben. Es gibt kein Entsendeprinzip." Die Mitglieder des Zukunftsrates seien noch nicht bestimmt.
Tilo Jung bezieht sich auf einen Bericht des Branchendienstes Medieninsider. Demnach soll es bei dem geplanten Zukunftsrat Streit zwischen CDU und SPD gegeben haben. Die SPD sei nicht mit dem Vorschlag der CDU zufrieden, dem ehemaligen Chef der sächsischen Staatskanzlei, Johannes Beermann, einen Sitz im besagten Zukunftsrat zu geben. Medieninsider spricht in diesem Zusammenhang von A- und B-Ländern, die die Mitglieder des Zukunftsrates entsenden. Beermann ist ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und war früher Medienpolitiker bei der CDU.