"Die politische Ungebildetheit ist groß"
Ina Ruck leitet seit Juli 2015 das ARD-Studio in Washington und berichtet mit ihren Kollegen Stefan Niemann, Sandra Ratzow und Ingo Zamperoni aus 50 US-Bundesstaaten und sieben Zeitzonen über Menschen und Merkwürdigkeiten im Land der unbegrenzten Möglichkeit. Neben dem "american way of life", den verschiedenen Kulturen und Landschaften, steht natürlich auch die Politik im Fokus der Berichterstattung. Ina Ruck war viele Jahre im ARD-Studio in Moskau und von 2007 bis 2009 auch schon einmal als Korrespondentin in Washington. Im Interview spricht sie daher von ihren Erfahrungen aus beiden Berichtsgebieten.
Auf Twitter können Sie Ina Ruck folgen unter: @InaRuck.
Was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Ina Ruck: Der Optimismus der Menschen, die Fähigkeit, nach Niederlagen immer wieder aufzustehen und dann eben etwas Neues zu probieren. Das fasziniert mich immer wieder. Und: der fehlende Neid. In Russland, wo ich zuvor viele Jahre gelebt habe, unterscheidet man zwischen "schwarzem" und "weißem" Neid. Der schwarze Neid ist ein zerstörerischer: man gönnt dem anderen nicht, dass er mehr hat als man selbst: "Wieso soll der es besser haben als ich"? Der weiße Neid hingegen spornt an: "Wenn die das schafft, dann kann ich das auch“. Hier in den USA erlebe ich vor allem weißen Neid. Und diesen unverwüstlichen Optimismus. Das ist faszinierend für eine doch eher pessimistisch veranlagte Deutsche.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Ruck: Die politische Ungebildetheit so vieler. Auch hier muss ich noch einmal den Vergleich mit Russland ziehen: Dort habe ich immer wieder erlebt, dass Menschen tief in der Provinz (und nicht nur), wo es außer dem Staatsfernsehen keine Nachrichtenquelle gab, eine sehr einseitige Vorstellung von der Welt hatten. Dass es hier, im Land der allzeit und überall verfügbaren Medien, nicht viel anders ist, schockiert mich sehr. Auf dem konservativen Land schaut man - wenn überhaupt - die Nachrichten auf Fox, Zeitungen spielen keine Rolle, im Netz sucht man auch nur das, was einen in allem bestätigt. Dementsprechend simpel ist die Weltsicht. Und dementsprechend groß ist der Erfolg eines Mannes wie Donald Trump. Dessen Beliebtheit im Vorfeld der Wahlen schockiert mich auch.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondentin erzählen?
Ruck: Ich will eher etwas herausfinden - nämlich was eigentlich dieses Land trotz allem so fest zusammenhält. Die Gesellschaft ist zerrissen, unüberbrückbar scheinen die Klüfte zwischen Arm und Reich, zwischen Demokraten und Republikanern, zwischen Schwarz und Weiß. Ich erlebe hier eine Gesellschaft bestehend aus Parallelgesellschaften, die miteinander kaum noch etwas zu tun haben. Und doch sind alle stolz auf ihr Land. Meinen alle dasselbe Land? Worauf genau sind sie stolz? Das kapiere ich nicht, und will gerne herauskriegen, was es ist, dass Amerika so unverbrüchlich zusammenhält.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Ruck: Ganz klar: der Zeitunterschied. Wenn hier das politische Leben beginnt, sind in Deutschland die ersten Ausgaben der Tagesschau schon gelaufen. Wir produzieren vormittags für die 20 Uhr-Ausgabe - und abends für die Ausgaben am nächsten Vormittag.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Ruck: Ein kleines Daunenkissen. Nichts ist schlimmer als die Kunststoff-Kissen amerikanischer Hotelketten. Je nach Ziel und Dauer auch eine kleine Press-Kaffeekanne und vernünftigen Kaffee.
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Ruck: Die größte ist immer die letzte Panne - denn die ärgert einen am meisten. Aktuell ist das ein "Hänger" während einer Tagesthemen-Schalte. Ich habe mitten im Satz komplett den Faden verloren - und ihn nach geschlagenen neun Sekunden (ich habe es nachher tatsächlich ausgestoppt) erst wiedergefunden. Das waren die längsten neun Sekunden meines Lebens …
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Ruck: Oh ja, oft. In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion erlebt man das ja häufig - von gekochten Hammelaugen bis zu rohem Rentierfleisch. Hier in den USA ist mir das erst einmal passiert, und zwar auf einem Lastschiff auf dem Mississippi. Die Bordköchin hat der Mannschaft zu besonderen Anlässen gern einen Kuchen in Form einer nackten Frau gebacken. Auch für uns hat sie gebacken - und weil unser Fernsehteam aus drei Frauen und einem Mann bestand, bekamen wir: einen nackten Mann. Viel zu süß und klebrig, aber recht detailgetreu. Ablehnen ging nicht.
Was ist Ihr Lieblingsplatz in Washington?
Ruck: Ehrlich gesagt: der Sessel, der zuhause so am Fenster steht, dass man draußen die Eichhörnchen über die Stromleitungen laufen sehen kann. Die rennen da um die Wette, man kann ihnen stundenlang zugucken. Klingt vielleicht spießig, aber wenn man ständig so viel unterwegs ist, ist man gern zuhause.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Ruck: Ausschlafen, lange und lecker frühstücken, dabei eine dicke Sonntagszeitung lesen und sich gegenseitig erzählen, was man da so Interessantes findet. Oder sich festquatschen an einem der Themen. Danach kann kommen, was will: denn der Tag hat ja schon mal gut angefangen.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Ruck: Je länger ich weg bin, desto mehr weiß ich, dass es gar nicht so sehr das Brot ist oder Maggi oder Gummibärchen - sondern: die Sprache. Nicht einfach die deutsche Sprache, mit der habe ich ja täglich zu tun. Sondern genau die Ausprägung der deutschen Sprache, die zuhause in meiner westfälischen Heimat gesprochen wird. Ich höre ganz genau, wo jemand herkommt. Ein Soester klingt anders als eine Münsteranerin oder jemand aus meiner Heimatstadt Unna. Bei uns gibt es da einen Begriff, der regional auf einen sehr kleinen Bereich eingegrenzt ist: Hümmelken. So heißt in Unna und Umgebung ein kleines Schälmesser. Und dieses Hümmelken, das vermisse ich.