"Unfreundlichkeit ist ein No-Go"
Sandra Ratzow ist seit Januar 2015 Korrespondentin der ARD im Studio Washington. Sie schätzt an den USA vor allem die positive Grundstimmung und die Begeisterungsfähigkeit der Amerikaner. Gemeinsam mit ihren Kollegen berichtet sie unter anderem im Videoblog "#USA" über die große Politik, aber auch über Alltägliches aus 50 Bundesstaaten in sechs Zeitzonen. Auf Twitter können Sie Sandra Ratzow folgen unter: @SandraRatzow.
Was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Sandra Ratzow: Die Offenheit, mit der hier alle Neuankömmlinge begrüßt werden. Man kommt sehr schnell ins Gespräch und ist generell nett zu einander. Unfreundlichkeit ist ein absolutes No-Go. Man kann die amerikanische Freundlichkeit oberflächlich finden, aber sie gibt dem Alltag eine gewisse Leichtigkeit. Hinzu kommt: Die Amerikaner beäugen die Deutschen deutlich weniger kritisch als umgekehrt. Deutschland hat in Amerika gerade einen exzellenten Ruf - als Wirtschaftsmacht, als Fußballnation, aber auch als Demokratie - und das bekomme ich in vielen Gesprächen angenehm zu spüren.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Ratzow: Wie sehr getrennt die Lebenswelten von Schwarzen und Weißen oft noch sind. Man muss nicht nach Ferguson oder Baltimore fahren, um das festzustellen. Im wohlhabenden Nordwesten von Washington ist die "gefühlte" Wahrscheinlichkeit größer, einen Schweizer oder Schweden auf einer Party kennenzulernen als einen Schwarzen. Und das obwohl gut die Hälfte aller Einwohner von Washington Afroamerikaner sind. In den reicheren Stadtteilen treten sie oft nur als Busfahrer oder Kassierer im Supermarkt in Erscheinung. In den ärmeren Stadtteilen im Südosten hingegen wird man wiederum so gut wie keine Weißen treffen. Diese Art von Segregation finde ich erschreckend.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondentin erzählen?
Ratzow: Zwischen Obama und den Oscars gibt es unendlich viel zu erzählen. Mich faszinieren die Extreme in diesem Land, indem man grundsätzlich immer mit Vollgas und voller Überzeugung in die eine oder andere Richtung fährt. Das größte Highlight aber werden sicherlich die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Ratzow: Die Zeitverschiebung von sechs Stunden. Wenn man hier um 8 oder 9 Uhr im Büro ankommt, dann ist in Deutschland der Arbeitstag schon fast wieder vorbei oder Kollegen sind gerade in Sitzungen. Oft führt man die wichtigsten Telefonate mit den Absprachen für den Tag schon morgens kurz nach dem Aufstehen von zu Hause aus. Beim ARD-Morgenmagazin, für das ich hier in Washington zuständig bin, habe ich das Glück, dass die Kollegen in den Sendewochen im Dreischichtdienst arbeiten und immer jemand in der Redaktion erreichbar ist.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Ratzow: Meinen amerikanischen Führerschein, der hier so eine Art Ersatz für den Personalausweis ist. Außerdem ist ein gut aufgeladenes Smartphone das A und O. Alles andere kann man im Notfall überall fast rund um die Uhr kaufen.
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Ratzow: Zum Glück nur Fast-Pannen. Als wir im Frühjahr spontan nach Ferguson aufgebrochen sind, hatte ich in der Eile meinen Mini-Ohrkopfhörer vergessen, über den ich bei Live-Schalten die Fragen der Moderatoren höre. Wir kamen dort am späten Abend an und mussten schnell für das Morgenmagazin schalten. Da hieß es Improvisieren. Unser Techniker kam auf die Idee einfach die kleinen Kopfhörer vom Smartphone und das Smartphone für die Tonleitung nach Deutschland zu nutzen. Das hat fünf Live-Schalten lang wunderbar funktioniert. Für die Zuschauer sah alles aus wie immer, aber ich hatte das Herz in der Hose.
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Ratzow: Jede Reise ins amerikanische Hinterland ist bereits kulinarisch eine Herausforderung, wenn man kein Fan von Hamburgern und Fast Food ist.
Was ist Ihr Lieblingsplatz in Washington?
Ratzow: Der Georgetown Harbour: Architektonisch keine Glanzleistung, aber der Blick ist einfach schön. Im Sommer kann man abends bei einem Drink über den Potomac-Fluss in den Sonnenuntergang schauen und im Winter gibt es dort eine kleine Eisbahn zum Schlittschuhlaufen.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Ratzow: Lange schlafen, dann ein riesiges amerikanisches Frühstück mit Spiegeleiern, Schinken und Pfannkuchen mit Ahornsirup. Danach mit der Familie in den National Zoo, wo man wunderbar spazieren gehen und picknicken kann und nachmittags ein Cappuccino in meinem Lieblingscafé im historischen Georgetown.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Ratzow: Familie und Freunde sind neun Flugstunden entfernt. Das ist eine Herausforderung. Skypen hilft immerhin, um in Kontakt zu bleiben. Kulinarisch muss man auf nichts verzichten. Fast alles gibt es in Washington und Umgebung irgendwo zu kaufen.