Zeitreise: Das "Brettersegeln" kommt nach Deutschland
Sylt, Frühjahr 1972: Sturm peitscht in Windstärke sieben über das Meer, es regnet und es ist kalt, als der Werbekaufmann Calle Schmidt zum ersten Mal einen neuen Sport erprobt. In einer Zeitschrift hatte er kurz zuvor vom "Brettersegeln" in den USA gelesen und sofort die nötige Ausrüstung geordert. Schmidts erste Versuche vor Sylt werden zum Debakel: "Ich fuhr keinen einzigen Meter, die Beine voller Schrammen, ich bekam einen fürchterlichen Muskelkater! Ich war so frustriert, dass ich nachts in Amerika anrief und dem Amerikaner sagte: Das ist eine Fehlkonstruktion! Ich schick dir das wieder zurück! Das kann kein Mensch hier gebrauchen!"
Weltklassesurfer Jürgen Hönscheid erinnert sich
Hersteller Hoyle Schweitzer schickt Hilfe: Seine 17-jährige Nachbarstochter Lisa Parducci fliegt aus den USA ein, übt mit Calle Schmidt das Surfen und tourt mit ihm durch Deutschland. Am Meer und auf Baggerseen begeistern sich viele für die Surfvorführungen der beiden. Und sie bestellen bei Calle Schmidt Surfbretter, die er bald in großen Mengen aus Amerika ordert und damit das Windsurfen in Deutschland begründet. Wenig später veranstaltet der Sylter Pionier die ersten Wettkämpfe. Der spätere Weltklassesurfer Jürgen Hönscheid erinnert sich: "Ich weiß noch, wie ich da völlig ohne Plan in der Blidselbucht rumgetuckert bin, bei Windstärke eins. Nach der Veranstaltung habe ich das Buch "Taktik des Regattasegelns" gleich fünf Mal geschenkt bekommen!"
Angesteckt von Surfbazillus
Die ersten Windsurfer stoßen nicht überall auf Begeisterung: Segler fürchten um ihr Revier, Behörden beklagen "Verkehrsprobleme" auf Binnenseen, Ruderer haben Angst vor Kollisionen mit den "Polyesterkapitänen". Der neue Sport findet im Laufe der 1970er-Jahre dennoch immer mehr Anhänger. Manfred Charchulla, der gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Jürgen ebenfalls zu den Pionieren zählt, berichtet: "Die waren richtig alle angesteckt von dem Surfbazillus! Es waren viele! Es war eine Krankheit!"