Schulte: "Integration kommt ohne Bildung nicht voran"
Das Zugehörigkeitsgefühl zur Türkei ist deutlich größer als das zu Deutschland und es wächst - geben die Daten einen Hinweis woran das liegt? Und ist es eine Entwicklung, die aus ihrer Sicht nachdenklich machen sollte?
Schulte: Die Heimatverbundenheit zur Türkei wächst und das Verhältnis zu den Deutschen verschlechtert sich. Einer der zentralen Gründe, die in dieser Studie benannt werden, ist die Berichterstattung in den Medien über die politischen deutsch-türkischen Konflikte. Diese Studie streift den Bereich Mediennutzung nur kurz, belegt aber trotzdem bereits, dass türkische Medien deutlich mehr genutzt werden und ihnen eine höhere Glaubwürdigkeit zugebilligt wird. Da unser Institut auch regelmäßig die Reichweiten türkischer Medien in Deutschland ermittelt, wissen wir, dass es in Wirklichkeit noch viel extremer ist. Fernsehen ist mit einer täglichen Nutzung von über 90 Prozent Reichweite das zentrale Medium in diesem Bevölkerungssegment. Und türkische TV Sender haben in den vergangenen Jahren ihre Marktanteile noch kontinuierlich ausbauen können. Momentan erreichen türkische Sender einen kumulierten Marktanteil von 85 bis 90 Prozent. Das heißt, die türkeistämmigen Migranten sind Tag für Tag einer aus deutscher Sicht sehr einseitigen medialen Berichterstattung ausgesetzt, die sich praktisch ausschließlich auf AKP- und Erdogan Linie befindet. Dieses Informationsmonopol Erdogans gilt es zu brechen, indem Informationsalternativen geschaffen und der Zielgruppe angeboten werden.
Trotz aller empfundenen oder tatsächlichen Unterschiede will ein Großteil der Befragten in Deutschland bleiben, auch in den unterschiedlichen Alters- oder Bildungsstufen gibt es da kaum Unterschiede. Wenn Sie Ihre Umfrage insgesamt bewerten, gibt es Integrationsprobleme? Wenn ja, woran liegt es? Wie könnte man dagegen vorgehen?
Schulte: Aus deutscher Sicht sehe ich natürlich viele Integrationsprobleme. Diese Studie zeigt, dass dies viel mit mangelnder Bildung zu tun hat. Aus anderen Studien wissen wir, dass es auch mit der Ausbildung von türkischen Gettos in den Großstädten oder auch einem sehr einseitigen Konsum türkischer Medien zu tun hat. Das sind Probleme die sich nicht von heute auf morgen lösen lassen, aber die Schlüssel zur Lösung sind eigentlich bekannt: Mehr und bessere verbindliche Bildungsangebote, Schaffung von Chancengleichheit in Ausbildung und Beruf, städtebauliche Neuorientierung, Vermeidung und Rückbau von Gettos und schließlich Schaffung von türkischsprachigen Massen-Kommunikationsangeboten etwa nach dem Vorbild des deutsch-französischen Kulturkanals Arte. Hier sehe ich ganz besonders den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Pflicht.
Was ist die besondere Herausforderung, eine Umfrage unter türkisstämmigen Menschen in Deutschland zu machen?
Schulte: Der erste und wichtigste Punkt: man braucht ein multikulturelles Team, viel Erfahrung und entwickelt im Laufe der Jahre ein sicheres Gespür dafür, was geht und was nicht geht, wo sind kulturelle oder religiöse Tabus, welche Fragen kann man stellen und welche Fragen sollte man besser anders formulieren, um wahrheitsgetreue Antworten zu erhalten. Die Fragestellungen, die zumeist auf Deutsch, Englisch oder Hoch-Türkisch an uns herangetragen bzw. von uns entwickelt werden, müssen in eine Sprache transportiert werden, die von den hier lebenden türkeistämmigen Migranten gesprochen und verstanden wird und die ist oftmals nicht deckungsgleich mit dem Türkisch, das in der Türkei gesprochen wird. Dazu kommt viel Know-how über die klassische Aufgabenteilung in türkischen Familien, um die bestmöglichen Interviewpartner für das jeweilige Projekt zu finden. Und alles geht natürlich nur mit muttersprachlichen Interviewern, die regelmäßig von uns ausgebildet und geschult werden. Eine große Mehrheit unserer Interviews wird in der Muttersprache geführt. So auch bei diesem Projekt, bei dem 97 Prozent aller Interviews in türkischer Sprache geführt wurden.
Wie schafft man es, eine Umfrage repräsentativ zu gestalten? Und bezieht sich repräsentativ auf den bundesdeutschen Durchschnitt oder den Durchschnitt türkeistämmiger Migranten?
Schulte: Unsere Studien sind grundsätzlich repräsentativ für die türkeistämmige Bevölkerung im Umfragegebiet angelegt. Das heißt, wenn wir eine lokale Studie zu Türken in Berlin durchführen, dann ist diese Studie repräsentativ für die Berliner Türken, wenn wir eine bundesweite Studie durchführen, dann für die Türken in Deutschland. Das gleiche gilt für Umfragen z.B. in Österreich, Frankreich, den Niederlanden usw. Die Stichprobe muss ein möglichst exaktes Spiegelbild der Bevölkerung im Untersuchungsgebiet bezüglich möglichst vieler demografischer Merkmale sein. Hierzu verfügen wir über umfangsreiches eigenes Datenmaterial, beobachten seit Jahrzehnten die offiziellen amtlichen Statistiken und führen auch selbst Studien durch, um diese Basisdaten auf einem aktuellen Stand zu halten. Zum Teil ergeben sich dadurch auch gewisse Abweichungen von der amtlichen Statistik. Das Statistische Bundesamt koppelt den Begriff "Migrationshintergrund" relativ eng an die eigene bzw. die Staatsangehörigkeit der Eltern und weißt daher aktuell für Deutschland zum Beispiel nur 2,8 Millionen Einwohner mit türkischem Hintergrund aus. Wir fassen den Begriff "Migrationshintergrund" etwas weiter, schauen uns auch die kulturellen Zusammenhänge an und kommen daher aktuell auf etwa 3,2 bis 3,3 Millionen türkeistämmige Einwohner.
Das Interview führte Moira Lenz
- Teil 1: Die große Mehrheit fühlt sich gut integriert
- Teil 2: Das Zugehörigkeitsgefühl zur Türkei ist deutlich größer als das zu Deutschland und es wächst