Schulte: "Integration kommt ohne Bildung nicht voran"
Für die Umfrage zur Politisch-Sozialen Situation türkeistämmiger Migranten in Deutschland wurden 2.839 Menschen befragt. Im Fokus der Studie standen politisches Wahlverhalten, Stand der gesellschaftlich-politischen Integration sowie Auswirkungen des politischen Konflikts zwischen der Türkei und Deutschland auf das soziale Miteinander. Panorama - die Reporter hat mit Studienleiter Joachim Schulte gesprochen.
Was ist Ihre Haupterkenntnis aus dieser Umfrage?
Schulte: Die türkeistämmigen Migranten haben sich in Deutschland eingerichtet, leben im Durchschnitt schon bereits seit rund 30 Jahre hier. Die große Mehrheit fühlt sich gut integriert, weiß das Leben, ihren Job, ihre Wohnung, die Lebensperspektiven oder auch die soziale Sicherheit in Deutschland zu schätzen. Dennoch hat es Deutschland bislang nicht geschafft ihr Herz zu gewinnen. Das schlägt bei den allermeisten nach wie vor für und in der Türkei.
Sie besitzen ihre ganz eigene (politische) Weltsicht, die auch stark durch die türkischen Medien geprägt wird. Das sorgt oftmals für gegenseitiges Nicht-Verstehen. Der Integrationsprozess scheint aktuell still zu stehen oder sich möglicherweise sogar rückwärts zu entwickeln. Das Verhältnis zu den Deutschen ist schlechter geworden und könnte sich in absehbarer Zeit zu einer sozialen Zeitbombe weiterentwickeln. Noch reagieren die Türkeistämmigen mit einem Rückzug aus dem öffentlichen und politischen Leben. Die politischen Konflikte zwischen der Türkei und Deutschland tragen zu einer größeren Distanz zwischen Türkeistämmigen und Deutschen bei. Die Politik Erdogans wirft schließlich sogar Schatten auf das Zusammenleben der Türkeistämmigen untereinander.
Hat Sie ein Ergebnis überrascht?
Schulte: Ja, und zwar die Erkenntnis wie stark alles von der Bildung abhängt. Die formal höher Gebildeten weisen die höchsten Werte im Integrationsindex auf, haben überwiegend bereits die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, stehen der Politik Erdogan am kritischsten gegenüber und sind zum Beispiel auch die einzige Gruppe, die das Türkeireferendum abgelehnt hat. Gleichzeitig sind sie auch besonders sensibel gegenüber Diskriminierungen und Ausländerfeindlichkeit. Pflegen aber auch in besonderem Maße ihr Verhältnis zu deutschen Nachbarn und Kollegen. Und dadurch wird auch klar, dass Integration ohne Bildung nicht vorankommt. Wenn es die deutsche Politik und Gesellschaft mit der Integration ernst meint, müssen wir es schaffen, den Migranten mehr Bildung zukommen zu lassen, für mehr Chancengleichheit in der Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Jeder Migrant, der es in Deutschland beruflich geschafft hat, ist Vorbild und Multiplikator für seine Landsleute. Mehr Bildung heißt in aller Regel dann auch mehr Einkommen und dies kann wiederum dazu beitragen die integrationshemmenden Großstadtgettos, in denen zu oft ethnische Isolation vorherrscht, verschwinden zu lassen, da die Besserverdienenden wegziehen werden.
Nicht diskriminiert wegen Namen oder Herkunft empfinden sich 58 Prozent - allerdings nimmt das Empfinden bei den Jüngeren zu. Woran könnte das liegen?
Schulte: Die Älteren leben verstärkt noch fast ausschließlich im Rahmen ihrer Familien bzw. unter Landsleuten. Das heißt, sie haben potentiell weniger Kontakt mit Deutschen. Die Jüngeren haben in Ausbildung und Beruf zwangsläufig mehr Kontakte zur deutschen Gesellschaft, was dann auch mehr Raum für potentielle Diskriminierungen bietet. Gleichzeitig ist die formale Bildung und damit dann zum Beispiel auch die deutschen Sprachkenntnisse in den jüngeren Jahrgängen höher, was sicherlich auch zu einer höheren Sensibilität gegenüber Diskriminierungen führt.
Das Heimatgefühl für die Türkei ist bei allen Altersgruppen und Generationen sehr stark. Ist das überraschend? Gibt es Vergleiche zu anderen Migrantengruppen?
Schulte: Die starke Heimatverbundenheit türkeistämmiger Migranten ist auch aus früheren Studien bekannt. Für sie ist der Begriff "national" sehr positiv belegt und sie sind sehr stolz auf ihr Heimatland. Bei einem Fußballspiel Deutschland gegen die Türkei würden nur 10 Prozent der hier lebenden Türkeistämmigen die Daumen für beide Mannschaften und nur 1 Prozent für Deutschland drücken. Eine Studie, die wir im vergangenen Jahr für die Hanns-Seidel-Stiftung in Bayern durchgeführt hatten, zeigte dass die Heimatverbundenheit der Türken besonders hoch ist. In dieser Studie hatten wir Migranten aus über 20 verschiedenen Herkunftsländern befragt und kamen zu einem recht eindeutigen Ergebnis: "Die größte Distanz zum Leben in Deutschland und Bayern wurde - trotz zahlreicher positiver Aspekte - bei türkeistämmigen Migranten ermittelt. Sie weisen die höchste Rückkehrabsicht, die engste Anbindung ans Mutterland auf, beteiligen sich häufig noch an Wahlen im Herkunftsland, bei ihnen ist der Begriff "national" nicht negativ besetzt. Sie zeigen das geringste Vertrauen und die geringste Übereinstimmung mit politischen Parteien. … Bei ihnen wurde die höchste Nutzung muttersprachlicher Medien und die geringste Verwendung der deutschen Sprache festgestellt."
- Teil 1: Die große Mehrheit fühlt sich gut integriert
- Teil 2: Das Zugehörigkeitsgefühl zur Türkei ist deutlich größer als das zu Deutschland und es wächst