Lars Windhorst und der H2O-Skandal in Frankreich

Stand: 10.09.2024 20:28 Uhr

Eine Investmentfirma legte das Geld Tausender französischer Anleger in Firmen des deutschen Skandalunternehmers Lars Windhorst an. Die Gelder sind wahrscheinlich weg - und damit etwa die Altersvorsorge vieler Franzosen.

von Nils Naber

Bénédikte und Christophe © Screenshot
Bénédicte und Christophe haben im H2O-Skandal mehrere Hunderttausend Euro verloren.

Bénédicte und Christophe sitzen an ihrem Esstisch. Durch die offene Terrassentür kommt warme Luft herein, draußen scheint die Sonne. Es ist ruhig in dem Pariser Vorort, in dem beide leben. Ihr Nachname soll auf ihren Wunsch nicht genannt werden. Christophe erzählt davon, dass sie vor ungefähr fünf Jahren sehr viel Geld in Fonds investiert hätten, auch für die Rente.

Im Jahr 2020 habe er plötzlich erfahren, dass die Fonds zahlungsunfähig sind. "Da habe ich gehört, dass wir die Firmen eines deutschen Unternehmers finanziert haben, der Lars Windhorst heißt", sagt Christophe. Den Namen habe er zum ersten Mal gehört. Sie dachten, dass die Fondsmanager ihr Geld in Wertpapiere von soliden und großen Unternehmen investieren würde.

Nun sind mehr als 400.000 Euro verloren, sagen Bénédicte und Christophe. Ein Großteil davon ist wahrscheinlich im großen Firmenreich von Windhorst verschwunden. Nicht nur Bénédicte und Christophe geht es so. Auch Tausende andere Anleger haben erst nachträglich erfahren, dass man dem einstigen Wunderkind der deutschen Wirtschaft jahrelang mit ihrem Geld und ohne ihr Wissen kräftig unter die Arme gegriffen hatte.

Eine der größten Sammelklagen der französischen Geschichte

Eine wesentliche Rolle bei dieser Geschichte, die mittlerweile zu einem der größten Finanzskandale Frankreichs geworden ist, spielt die H2O Asset Management. Diese Firma wird von Franzosen geleitet, sitzt aber bisher in London und verwaltet von dort Investmentfonds in Frankreich. Gegen diese Firma klagt das Ehepaar nun in Paris, zusammen mit rund 9.000 anderen Klägern. Ihr Anwalt Dominique Stucki spricht von der wahrscheinlich größten Sammelklage in der französischen Geschichte.

Die Klage richtet sich allerdings nicht nur gegen H20, sondern auch gegen Natixis, eine Investmentfirma, die zur zweitgrößten französischen Bank BPCE gehört. Bis 2022 war Natixis Mehrheitseigentümer von H2O. Darüber hinaus klagt Anwalt Stucki gegen die Tochterfirma einer weiteren Bank und gegen das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG. Allen wirft er vor, den Skandal nicht aufgehalten oder verhindert zu haben. Insgesamt wollen die Kläger 800 Millionen Euro zurück. Geld, das mutmaßlich in Windhorsts Firmen verschwunden ist.

Offenbar Geld aus Frankreich für Windhorsts Einstieg bei Hertha BSC

Fans von Hertha BSC Berlin zeigen ein Banner mit einem durchgestrichenen Konterfei von Lars Windhorst © picture alliance / Fotostand Foto: Fotostand / Taeger
Hertha-Fans protestieren gegen den damaligen Investor Windhorst.

In seinem Büro an der Champs-Élysée erzählt der Anwalt, wie im Jahr 2015 alles angefangen habe, zwischen den Managern von H2O und Lars Windhorst. Zunächst scheint alles gut gelaufen zu sein. Die Manager von H2O dachten wohl "sie bekommen das Geld in jedem Fall sicher zurück", vermutet Stucki heute. In den Jahren 2016 und 2017 seien die Beträge, die von H2O in Windhorsts Firmen investiert wurden, schnell immer größer geworden. Im Nachhinein stellt sich raus: Mit dem Geld, das Lars Windhorst erhielt, seien auch Schulden, die der Deutsche bei mindestens einem anderen Investor hatte, bezahlt worden. "Das wissen wir sicher", sagt Stucki.

Der Anwalt geht davon aus, dass Windhorst auch mindestens einen Teil seiner umfangreichen Investitionen in den Fußballklub Hertha BSC Berlin mit Geld von H2O finanziert habe. Das Geld kam dabei ursprünglich aus den von H2O verwalteten französischen Investmentfonds, in die wiederum auch Menschen wie Bénédicte und Christophe eingezahlt hatten. Letztendlich hat Lars Windhorst als zwischenzeitlicher Mehrheitseigentümer von Hertha BSC Berlin mutmaßlich mehrere hundert Millionen Euro verloren.

Die Geschäfte zwischen H2O und Windhorst seien sogar weitergelaufen, nachdem die "Financial Times" 2019 erstmals ausführlich darüber berichtet hatte, erzählt der Anwalt. Erst 2020 wurden auf Druck der französischen Finanzaufsicht AMF die betroffenen Fonds teilweise gesperrt, um die Interessen der Anleger zu schützen.

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Lars Windhorst © picture alliance/SZ Photo Foto: Friedrich Bungert

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Finanzaufsicht: H2O hat Risikoprüfungen vernachlässigt

In vielen Fällen erwarb H2O offenbar Anleihen, die Windhorsts Firmen ausgegeben hatten. Dabei leiht sich ein Unternehmen bei einem Investor Geld, dass er nach einer bestimmten, vorher festgelegten Laufzeit verzinst zurückzahlen muss. Zumindest im Normalfall. Üblicherweise informiert sich der Investor vorher genau über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens, dem Geld geliehen wird, um das Risiko des Geschäfts einzuschätzen.

Doch im Fall von H2O ist das laut einem aktuellen Bericht der britischen Finanzaufsicht FCA in vielen Fällen kaum oder gar nicht passiert. Laut FCA hätten Mitarbeiter von H2O später, nach Auffliegen des Skandals, mehrfach gegenüber der Behörde mit nachträglich erstellten Dokumenten den Eindruck erwecken wollen, man habe sich an die Regeln gehalten. Dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass Windhorst Mitarbeiter von H2O sehr häufig eingeladen hat. In mehr als 50 Fällen soll der deutsche Investor die Bewirtung übernommen haben. Zwei Spitzenmanager von H2O wurden außerdem auf Windhorsts Yacht eingeladen, Flüge und Ausflüge wurden ihnen laut des Berichts geschenkt.

Anleger haben womöglich Milliarden verloren

Anwalt Dominique Stucki kann nicht sagen, wie viel Geld genau verschwunden ist. Das lasse sich schwer beziffern, meint er. Nach einer Berechnung im Auftrag der Anleger beträgt der Verlust insgesamt 2,35 Milliarden Euro, inklusive entgangener Gewinne. H2O will sich auf Nachfrage nicht offiziell zum Verfahren äußern. Nach ihren bisherigen Pressemitteilungen sei nur Anlegergeld im Umfang von 1,6 Milliarden Euro bei Windhorst investiert worden. Außerdem seien 229 Millionen Euro zurückgezahlt worden. 250 Millionen Euro sollten noch an Anleger ausgezahlt werden, wenn diese dafür auf ihr Klagerecht verzichten.

"Das wäre alles nicht passiert, wenn die Geschäfte normal beaufsichtig worden wären", sagt Anlegeranwalt Stucki. Er meint damit speziell die damalige Mehrheitseigentümerin von H2O, Natixis, und das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG. Natixis hält die finanziellen Forderungen allerdings für unbegründet und will sich juristisch verteidigen, teilt ein Pressesprecher mit. KPMG will das Verfahren nicht kommentieren.

Rekordstrafe gegen H2O-Manager

Gebäude der französischen Finanzaufsicht AMF © Screenshot
H2O hätte das Geld seiner französischen Anleger nicht in Windhorsts Firmen stecken dürfen, entschied die Finanzaufsicht AMF.

Die französische Finanzaufsicht AMF hat mittlerweile eine noch nie dagewesene Rekordstrafe von insgesamt 93 Millionen Euro gegen H2O und die zwei führenden Manager verhängt. Aus Sicht der Behörde sei es schlicht unzulässig gewesen, das Geld aus den französischen Investmentfonds in Windhorsts Firmen zu investieren, unter anderem, weil die Sicherheiten für die Anleger nicht ausreichend gewesen seien. Gegen diese Strafe geht H2O juristisch vor. In Großbritannien stellt H2O Ende 2024 alle geschäftlichen Aktivitäten ein. Wohl auch auf Druck der Aufsichtsbehörde FCA.

Bénédicte und Christophe hoffen unterdessen darauf, dass sie zumindest einen Teil ihres Geldes zurückbekommen. Von Natixis und H2O fühlen sie sich betrogen. "Man fragt sich schon, wie all diese Leute es geschafft haben, so ein System zu ermöglichen," meint Bénédicte. Christophe ist sicher: "Lars Windhorst wird weitermachen, wenn nichts gegen ihn unternommen wird."

Doch danach sieht es momentan nicht aus. Bisher hat wegen der finanziellen Verluste nicht einmal H2O eine Klage gegen Windhorst eingereicht. Wo all das Geld wirklich geblieben ist, scheint von Seiten der Aufsichtsbehörden niemand genau wissen zu wollen.

Windhorsts Pressesprecher lässt alle konkreten Fragen unbeantwortet. Er schreibt vielmehr sehr allgemein, in der Recherche würden Zahlen verwendet, "die vielfach falsch und teilweise widerlegt" seien. Er selbst könne allerdings "aus vielerlei Gründen - z.B. Wettbewerbs-Schutz" keine Angaben zu den Geschäften von Lars Windhorst machen.

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Lars Windhorst © picture alliance/dpa Foto: Daniel Bockwoldt

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 10.09.2024 | 21:15 Uhr

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